Wer wird wann geimpft, welche Länder sind schneller, wer hat sich mehr Dosen gesichert? Aufgrund des andauernden Lockdown, Lieferschwierigkeiten und unterschiedlicher Wirksamkeit blickt mittlerweile manch einer neidisch auf die Impfung anderer - selbst unter Kolleg*innen.
Sowohl im Büro als auch zu Haus ist das Thema Impfung seit Dezember ein Dauerbrenner. Dabei hat es innerhalb der drei Monate eine Kehrtwende gemacht. Sprach man im Dezember oder Anfang Januar mit Kolleg*innen, der Familie oder Freunden darüber, war in der Regel die erste Frage: „Und lässt du dich impfen?“. Mittlerweise ist die Frage eher „Wann bis du dran mit der Impfung?“ Spätestens seitdem die ersten Impflinge keine oder nur sehr leichte Nebenwirkungen verspürten, wollen fast alle Kolleg*innen, Angehörige und Freund*innen die Impfung haben, am liebsten sofort! Und da ist der Haken an der Sache: Leider gibt es nicht genügend Impfstoff.
Prompt waren die ersten Berichte zu lesen über Prominente und Politiker, die geimpft wurden, obwohl sie laut der geltenden Impfreihenfolge nicht zur ersten Gruppe gehören – mittlerweile haben sie sogar schon einen eigenen Namen: Impfdrängler. Im Gedächtnis geblieben ist mir vor allem der „Skandal“ um den Wiener Kardinal Christoph Schönborn. Als Schirmherr einer Geriatrieeinrichtung, die als eine der ersten in Österreich Impfstoff erhielt, wurde ihm eine der überzähligen Dosen angeboten. Anschließend musste sich der Kardinal dem öffentlichen Vorwurf stellen, dass „Eliten“ bei der Impfung vorgezogen würden, während es viele Menschen in Österreich gäbe, die den Impfschutz dringender bräuchten.
In mir hat diese Diskussion Unverständnis hervorgerufen, denn es will mir einfach nicht in den Kopf, warum sich ein 75-jähriger Mann, der sich im vergangenen Jahr einer schweren Krebsoperation unterziehen musste und einen Lungeninfarkt erlitt, plötzlich für seine Impfung rechtfertigen muss. Er ist in meinen Augen nicht wirklich ein Impfdrängler. Impfdrängler sind für mich gesunde Menschen, die sich aufgrund ihrer Position die Impfung erschleichen – dem möchte die Regierung künftig mit Geldstrafen bis zu 25.000 Euro vorbeugen.
Doch nicht nur Impfdrängler vermeiden es, über ihre Impfung zu sprechen. Auch Kolleg*innen in der BBT-Gruppe, die den ersehnten Piks völlig rechtmäßig erhalten haben, trauen sich manchmal gar nicht darüber zu sprechen, weil so viele andere auch gerne wollen, aber nicht können. So erzählte mir ein Kollege aus der Verwaltung, dass er schon fragende bis empörte Blicke für seine Impfung geerntet habe und deswegen mittlerweile nicht mehr darüber spreche. Auch ich selbst war zunächst sehr überrascht, als er aber erzählte, dass er nebenbei im Corona-Testzentrum aushilft, habe ich es verstanden. Trotzdem musste er sich damit in gewisser Weise rechtfertigen. Heute tut mir meine Reaktion sehr leid, denn kein Kollege und keine Kollegin sollte sich für eine Impfung rechtfertigen müssen.
Mit der Zulassung des Impfstoffs von Astra Zeneca hat der Neid noch einmal eine neue Wendung genommen. Im Gespräch mit Kolleg*innen höre ich die Angst, sich trotz Impfung mit der südafrikanischen Mutation zu infizieren, denn es mehren sich Berichte über eine unzureichende Wirksamkeit bei der Mutation. Aussagen wie „Ich lasse mich nur mit Biontech/Pfizer oder Moderna impfen. Bei Astra Zeneca fühle ich mich nicht ausreichend geschützt!“ sind in der BBT-Gruppe und im privaten Umfeld keine Seltenheit.
Das wäre kein Problem, wenn wir genug Impfstoff hätten, um wählen zu können. Haben wir aber nicht. Da macht sich schnell ein Gefühl der Missgunst breit, nicht nur weil insgesamt zu wenig da ist, sondern auch, weil „nur“ Astra Zeneca geliefert wird. Im Gespräch mit Kolleg*innen aus der Pflege wird deutlich: Ein Großteil will nicht mit Astra Zeneca geimpft werden, doch wer unter 65 ist, hat eigentlich keine andere Wahl. Umso bezeichnender ist die Aussage: „Wer bis jetzt schon geimpft wurde, hat halt eben Glück gehabt!“, die ich schon von einigen gehört habe.
Zudem hat die Zulassung von Astra Zeneca die Priorisierung der Impfung geändert. Täglich lese ich Berichte über Gruppen, die aus absolut verständlichen Gründen vorgezogen werden sollen, da geht es unter anderem um Lehrer*innen, Erzieher*innen und obdachlose Personen. Auch in meinem persönlichen Umfeld hat die Änderung der Priorisierung schon Gestalt angenommen, nämlich die meines Schwiegervaters. Dabei muss ich ehrlich sagen, auf dem Papier liest sich das leichter. Mein Schwiegervater ist unter 65 und gehört mit seiner Vorerkrankung in Kategorie 2. Durch Astra Zeneca konnte er vergangene Woche geimpft werden. Eine tolle Nachricht! Aber wenn ich dann an meine über 80-jährige Oma denke, die seit Mitte Januar vergeblich auf einen Termin wartet, habe ich einen Kloß im Hals. Jeden Tag neue Diskussionen über Impfdrängler, eine Änderung der Reihenfolge sowie Berichte über Mutationen und Lieferschwierigkeiten zu lesen, macht uns alle mürbe. Umso neidvoller blicken wir auf alle, die das Glück hatten, überhaupt geimpft worden zu sein! Wir wollen gar nicht über die vermeintlichen „Glückspilze“ reden, die auch noch Biontech/Pfizer oder Moderna erhalten haben.
Diese Gefühle sind nur zu verständlich, gerade im zweiten Lockdown, der nie zu enden scheint und so langsam an den Nerven zehrt. Die Impfung ist unser Weg heraus, umso genauer beobachten wir alles, was damit zusammenhängt. Man fühlt sich wie der Esel, dem eine Karotte vor die Nase hängt, an die er jedoch nicht herankommt.
Wenn ich mich wieder mal beim Nörgeln erwische oder mich über Impfdrängler aufrege, hilft mir ein Blick auf die Weltkarte: Denn wir sollten nicht vergessen, dass viele Länder noch gar keinen Impfstoff erhalten haben und wahrscheinlich auch nicht so schnell bekommen. Deswegen habe ich beschlossen, mich über jede Impfung zu freuen, egal wer sie bekommt, denn jeder Piks bringt uns der Normalität ein Stück näher. Und auch Astra Zeneca sollten wir nicht mit Misstrauen „strafen“, schließlich hat dieser Impfstoff immer noch eine höhere Wirksamkeit als fast jede Grippeschutzimpfung. Noch dazu schützt er neusten Studien zufolge nicht nur den Geimpften, sondern auch die Menschen in seiner Umgebung. Auch hier sollten wir keinen Neid aufkommen lassen, wenn in unserem Impfpass nicht Biontech/Pfizer oder Moderna steht, schließlich können mit drei Impfstoffen mehr Menschen geimpft werden als mit zwei, die noch dazu Lieferprobleme haben.
Dem Impfneid kann man auch seine guten Seiten abgewinnen, zeigt er uns doch, dass der Impfstoff ein begehrtes Gut ist. In den letzten Monaten vor dem Ziel sind Geduld und Durchhaltevermögen gefragt. Alle, die auf ihr Impfangebot noch warten müssen, brauchen einen langen Atem. Wir dürfen nicht nachlassen beim Abstandhalten und Maskentragen. Glaubt man den Worten der Bundeskanzlerin, können aber spätestens ab dem 21. September alle geimpft werden. Diese circa 200 Tage schaffen wir auch noch gemeinsam - und besser mit Solidarität als mit Misstrauen.