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Frank Feinauer09.12.2021

Jetzt reicht`s

So kann es mit der Pflege in Deutschland nicht weitergehen

Eine neue Bundesregierung beginnt ihre Arbeit und laut Koalitionsvertrag soll der Pflege eine große Stellung eingeräumt werden. Die Inhalte sind jedoch sehr sparsam und lassen nicht erkennen, mit welchen Maßnahmen der Pflegenotstand bekämpft werden soll. Frank Feinauer, Pflegedirektor am Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim, hat sich Gedanken über Wege aus der Misere gemacht.

Frank Feinauer ist Pflegedirektor am Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim.
Frank Feinauer ist Pflegedirektor am Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim.

Jeden Tag arbeiten Pflegende am Limit und noch viel schlimmer: Sie erkranken an Covid-19, erleiden psychische Erkrankungen und sind vielfach erschöpft. Grund ist eine Überlastung des Gesundheitssystems. Nicht erst durch die Coronapandemie, sondern weil über viele Jahre versäumt wurde, der Pflege die Stellung zu geben, die sie verdient und die sie auch braucht. Fast täglich berichten die Medien, wie schlecht es der Pflege geht. Kein Wunder also, dass viele dem Pflegeberuf den Rücken kehren und junge Menschen sich nur schwer vorstellen können, ihn überhaupt zu erlernen.

Daher braucht es jetzt Lösungen, gute Vorschläge und vor allem schnelle Umsetzungen, damit die Pflege wieder so arbeiten kann, dass eine gute Versorgung der ihr anvertrauten Patientinnen und Patienten ermöglicht wird.

Was kann Pflege leisten?

Viele Politiker*innen fordern, der Pflegeberuf müsse attraktiver werden. Ich selbst bin seit Jahren in der Pflege aktiv und frage mich: Warum muss ein eigentlich attraktiver Beruf attraktiver gemacht werden? Das Problem sind die Rahmenbedingungen, unter denen wir arbeiten müssen. Warum wurden zum Beispiel die Pflegepersonal­untergrenzen während der Pandemie mehrfach aufgehoben? Gerade Covid-Patient*innen haben einen stark erhöhten Pflegebedarf. Die Pflege wird weiter verdichtet und nun will die neue Bundesregierung mit „PPR 2.0“ ein neues Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstrument einführen – ein weiteres Bürokratiemonster, das die Pflege weg vom Bett holt.

Was wir brauchen, ist ein Pflegeschlüssel von Patient : Pflegefachkraft – und nichts anderes.

Wir brauchen keine Diskussion wie viele Krankenhausbetten Deutschland braucht, sondern es muss die Frage gestellt werden: Wie viele Krankenhausbetten können pflegerisch versorgt werden? Daher brauchen wir kein weiteres Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstrument, sondern einen Pflegeschlüssel, der fachliches und zugewandtes Arbeiten in der Pflege ermöglicht. Das bedeutet auch die Abschaffung der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) sowie eine Anpassung der Bettenanzahl an das vorhandene Pflegepersonal.

Pflege braucht eine gute Ausbildung

Dass in Deutschland ein Pflegenotstand herrscht, ist nicht erst seit heute oder gestern bekannt. Es fehlen mehrere zehntausend Pflegende. Die einzige Chance, Pflegekräfte zu gewinnen, ist, junge Menschen anzusprechen und zu zeigen, dass der Pflegeberuf toll ist.
Dies kann unter anderem durch die Einführung von Pflege als Unterrichtsfach in allen Schularten geschehen - unterrichtet von Pflegenden. Ebenso sollten Schülerinnen und Schüler ein Pflichtpraktikum in einem Sozialberuf machen, auch ein soziales Pflichtjahr wäre denkbar. Jedes Krankenhaus und jede Sozialeinrichtung sollte zur Ausbildung verpflichtet werden. Dabei müssen die Auszubildenden eng begleitet und vor allem in schwierigen Situationen unterstützt werden. Die Ausbildung ist aus meiner Sicht der einzige Weg aus der Pflegekrise. Allerdings: Sie braucht Struktur, Begleitung und Engagement.

Ein wichtiger Teil der Ausbildung sollte die Begleitung der Auszubildenden, vor allem in schwierigen Situationen, sein. Aus diesem Grund hat das Caritas-Krankenhaus ein Pilotprojekt zur Unterstützung von Pflegeauszubildenden gestartet.
Ein wichtiger Teil der Ausbildung sollte die Begleitung der Auszubildenden, vor allem in schwierigen Situationen, sein. Aus diesem Grund hat das Caritas-Krankenhaus ein Pilotprojekt zur Unterstützung von Pflegeauszubildenden gestartet.

Woher sollen ausländische Pflegefachkräfte kommen?

In ihrem Koalitionsvertrag setzt die neue Bundesregierung auch auf ausländische Pflegekräfte. Ich frage mich nur, wo diese herkommen sollen? Europa? USA? Indien? Von dort wird aktuell kein Visum ausgestellt. Südamerika oder Südostasien? Grundsätzlich ist jede ausländische Pflegekraft, die sich bei uns bewirbt, herzlich willkommen. Im großen Stil Pflegekräfte aus dem Ausland anzuwerben, halte ich aber für schwer umsetzbar. Hauptgrund ist aus meiner Sicht vor allem, dass wir auf der Welt unterschiedliche Pflegesysteme haben und viel Zeit für die Einarbeitung aufbringen müssen. Genauso wichtig ist jedoch ebenso eine finanzierte und gut vorbereitete Integration, damit sich die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch bei uns wohl fühlen. Daher muss die Anwerbung ausländischer Fachkräfte staatlich organsiert sein, was zur Folge hat, dass private Vermittler verboten werden müssen.

Es braucht ein staatlich finanziertes Integrations- und Einarbeitungsprogramm mit einem schnellen und strukturierten Anerkennungsverfahren. Dabei darf das Gesundheitssystem des jeweiligen Heimatlandes jedoch nicht unter dem Weggang der Pflegekräfte leiden. Es darf auf keinen Fall passieren, dass Familien auseinander gerissen werden, weil Deutschland einen Pflegenotstand hat.

Und noch ein Gedanke: Warum gibt es in einigen Ländern zu viele Pflegekräfte? Weil sie junge Menschen ausbilden und für viele junge Menschen im Ausland der Pflegeberuf eine Perspektive im eigenen Land oder auch im Ausland bietet. Nochmal: Der Weg aus der Pflegekrise wird nur über Ausbildung gehen.

Der Weg aus der Pflegekrise wird nur über Ausbildung gehen.

Pflegekräfte verdienen mehr

Eine der größten Diskussionen in der aktuellen Situation rund um die Pflege dreht sich um die Bezahlung. Pflegekräfte verdienen schlecht, Pflege wird nicht angemessen bezahlt. Meiner Meinung nach muss sich das Gehalt an der hohen Verantwortung und Tätigkeit, die Pflegende tagtäglich auf sich nehmen, orientieren. Dazu braucht es aber Maßnahmen. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Honorarkräfte: Warum gehen Pflegende in die Honorararbeit? Weil sie dort einen höheren Lohn erhalten, als in einer Anstellung. Wenn alle Pflegenden einheitlich und angemessen verdienen würden, gäbe es keine Zeitarbeit.
Ein weiteres Problem stellen Prämien und Co. dar. Es muss gesetzlich verboten werden, dass Krankenhäuser Einspringprämien, Anwerbeprämien, Durchhalteprämien usw. bezahlen. Wenn alle gleich und angemessen bezahlt werden, braucht es keine Prämien.

Aus diesem Grund sollte ein bundeseinheitlicher Tarifvertrag eingeführt werden, der in allen Einrichtungen, in denen Pflegende arbeiten, verbindlich ist. Der Lohn muss angemessen sein und sich an der Verantwortung der Pflegenden orientieren. Zeitarbeit sollte abgeschafft und Prämien aller Art gesetzlich verboten werden.

Letztendlich ist es nur eine Umverteilung von Geld. Klar ist, dass Pflege in Zukunft mehr kostet. Dazu braucht es eine Finanzierung, die auch die Maßnahmen umsetzbar macht.

Wir brauchen eine Solidaritätskampagne Pflege

Gute Pflege braucht die Solidarität aller.
Gute Pflege braucht die Solidarität aller.

Die Situation in der Pflege ist ernst und gefährdet die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten, wenn nicht schnell umfassende und tiefgreifende Maßnahmen ergriffen werden. Klar ist auch: Der Weg aus der Pflegekrise kostet viel Geld. Daher brauchen jetzt eine bundesweite Solidaritätskampagne für die Pflege, um unseren Patient*innen die Pflege ermöglichen zu können, die sie brauchen. Professionelle Pflege geht nicht ohne ausgebildete Fachkräfte. Wir brauchen einen Pflegesoli, der die aufgeführten Maßnahmen finanziert oder eine deutliche Erhöhung der Krankenkassenbeiträge. Auf jeden Fall benötigen wir die Solidarität aller!

P.S.
Noch ein Wort zu meiner Person: Ich bin Pflegedirektor an einem Schwerpunkt Krankenhaus mit 424 Planbetten. Wir haben vor zwei Jahren begonnen, aktiv Praktikant*innen von Schulen zu gewinnen und konnten dieses Jahr zum ersten Mal in der 75-jährigen Geschichte des Caritas-Krankenhaus zwei Ausbildungsklassen bilden. Wir begleiten seit April unsere Auszubildenden mit dem Programm AusbildungXtra in Zusammenarbeit mit der Diözese Rottenburg Stuttgart. Wir wollen weiterhin junge Menschen für den Pflegeberuf begeistern und unterstützen, dass sie die Ausbildung gut schaffen.

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