Das Gesundheitssystem ist im Umbruch: Patienten werden immer selbstbewusster und recherchieren selbst nach Behandlungswegen, der besten Therapie und wo sie zu finden ist. Zugleich hat die Politik mit der Krankenhausreform 2016 die Weichen für eine bessere Behandlung und ein wirtschaftlicher agierendes Gesundheitssystem gestellt - dabei dreht sich vieles um Qualität.
Die Zahl ist erschreckend: Wechsel- oder Nebenwirkungen von Medikamenten
führen nach Angaben des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums
jährlich zu rund 4.300 Todesfällen in den Krankenhäusern an Rhein und
Ruhr. "Stellen Sie sich vor, jeden dritten Tag würde ein Flugzeug
abstürzen. Im gleichen Verhältnis erleiden Patienten in Deutschland
täglich schwere, unerwünschte Arzneimittelwirkungen", beschreibt Dr.
Ralf Beyer, Ärztlicher Direktor im St.-Marien-Hospital Marsberg, die
Dimension der Zahlen. Grund genug für das Krankenhaus im sauerländischen
Marsberg, einen Arzneimittelcheck einzuführen. Seit Dezember prüft eine
Fachapothekerin alle von den Patienten eingenommenen
Medikamente. Neben- und Wechselwirkungen, Kontraindikationen oder auch
Nierenbelastungen sollen so verhindert werden.
Wie in Marsberg gibt es in vielen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen der BBT-Gruppe Initiativen, um die Qualität der Versorgung und Pflege zu verbessern. Qualität ist in aller Munde. Denn Krankenhäuser, Ärzte und Pflegeeinrichtungen stehen massiv im Wettbewerb; Patienten verstehen sich verstärkt als selbstbewusste Kunden, die vergleichen und hohe Ansprüche haben.
Zeitschriften wie der FOCUS veröffentlichen Ranglisten der vermeintlich
besten Ärzte und Kliniken. Qualitätsmessung ist allerdings nichts Neues:
Seit 2005 müssen die Kliniken alle zwei Jahre Qualitätsberichte
veröffentlichen. Auf Internetseiten wie "Krankenhausnavi" oder
"Klinikfinder" schaffen die Krankenkassen Vergleichsmöglichkeiten.
Allein die Techniker Krankenkasse hat vergangenes Jahr 300.000 Besuche
bei ihrem "Klinikführer" registriert.
Auch das unabhängige Institut für angewandte Qualitätsförderung und
Forschung im Gesundheitswesen (AQUA) analysiert bundesweit klinische
Daten. 2013 etwa untersuchte es unter anderem die Daten von fast 40.000
Patienten in 78 herzchirurgischen Kliniken in Deutschland und
begutachtete Bypassoperationen und Aortenklappenersatz. Der Herz- und
Thoraxchirurgie im Brüderkrankenhaus in Trier etwa bescheinigten die
Prüfer, zu den Besten in Deutschland zu gehören. Aber auch intern führen
Krankenhäuser zunehmend Instrumente zur Qualitätsmessung ein und lassen
sich zertifizieren. Dabei legen die kirchlichen Häuser zusätzlich
besonderes Augenmerk auf Merkmale, die aus ihrer
Werteorientierung heraus prägend sind: etwa die Palliativversorgung oder
die Behandlung von Demenzkranken. Ziel ist es, auch die
religiös-spirituelle Dimension von Krankheit wahrzunehmen.
Patientenbefragungen sind mittlerweile für alle Häuser Pflicht. Gefragt
wird etwa nach Wartezeiten und Atmosphäre der Klinik, nach der Qualität
der Informationen und dem Einfühlungsvermögen von Ärzten und
Pflegekräften. Auch Fehlermeldesysteme sind Bestandteil des
Risikomanagements: OP-Checklisten, Meldesysteme und Besprechung
kritischer Fälle, Hygienekonzepte oder Qualitätskonferenzen sind auch in
den Krankenhäusern der BBT-Gruppe etabliert und werden
ständig weiterentwickelt. "Wir können doch nicht von den Ärzten fordern,
dass sie Patienten partnerschaftlich gegenübertreten und gleichzeitig
erwarten, dass sie als Halbgötter in Weiß keine Fehler machen", lobt der
Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, die
Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen.
Die Qualität der medizinischen Versorgung ist auch Leitthema der
Gesundheitspolitik. Jährlich werden in Deutschland mehr als 290
Milliarden Euro für Gesundheit ausgegeben, darunter weit mehr als 60
Milliarden für Krankenhäuser. Dennoch urteilte die
Unternehmensberatung KPMG 2014 in einer internationalen
Vergleichsstudie, das deutsche Gesundheitswesen zeichne sich durch ein
vergleichsweise hohes Ausgabenniveau bei "zu wenig Qualität" aus.
Zugleich stehen die Krankenhäuser wirtschaftlich massiv unter Druck.
Rund 42 Prozent schrieben 2013 Verluste, viele erwarten keine
Besserung. Um über die Runden zu kommen, haben viele Häuser ihren
Personalstand drastisch runtergefahren. Andere haben die Zahl der
Operationen gesteigert. Und zwar so stark, dass nach Meinung von
Kritikern Patienten befürchten müssen, auch aus wirtschaftlichen Gründen
auf dem OP-Tisch zu landen.
Deshalb verstärkt auch der Staat den Druck zur Verbesserung der
Qualität. Ende des letzten Jahres hatte eine Bund-Länder-Kommission
Eckpunkte für eine Krankenhausreform 2016 vorgelegt. Das Ziel: eine
"qualitätsorientierte Vergütung" der Kliniken. Glaubt man
Gesundheitsexperten, könnte das die gesamte Krankenhauslandschaft
verändern. Ein Paket von Maßnahmen ist geplant. Indem Patienten das
Recht auf ein Zweitgutachten erhalten, soll die Zahl unnötiger Eingriffe
verringert werden. 660 Millionen Euro sollen Bund und Länder in den
nächsten drei Jahren für zusätzliche Pflegestellen bereitstellen.
Zentral aber ist die Absicht, bundesweite Qualitätsstandards festzulegen
- eine heikle Angelegenheit. In Deutschland finden pro Jahr etwa 19
Millionen Krankenhausbehandlungen statt, bei denen rund 50 Millionen oft
komplizierte Prozeduren an immer älteren Patienten durchgeführt werden.
Ein neues "Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im
Gesundheitswesen" soll dafür sorgen, dass Daten einheitlich definiert,
ausgewertet und "leicht verständlich" veröffentlicht werden.
Nach den Plänen der Politiker sollen die Krankenhäuser in Zukunft
auch nach Qualität bezahlt werden. Für unterdurchschnittliche Qualität
soll es Abschläge geben. Doch das Vorhaben ist umstritten. Durch
schlechtere Vergütung werde die Qualität nicht verbessert, sagt Rudolf
Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein. "Im Gegenteil - dann wird
doch nur der Spardruck erhöht: weniger Sachmittel, weniger
Personal.” Auf Kritik stößt auch der zunehmende Aufwand für
Qualitätsmessung. "Seit einigen Jahren sind wir dabei, in der Medizin
eine Parallelwelt zu schaffen, die sehr viel Zeit, Arbeitskraft und
Geld in Anspruch nimmt, ohne zu einem wirklichen Fortschritt
beizutragen", schreibt der Leiter der Universitäts-Frauenklinik in
Magdeburg, Serban-Dan Costa. Verfahren aus der Industrie ließen sich
nicht einfach auf Krankenhäuser übertragen. Thomas Vortkamp,
Geschäftsführer des Katholischen Krankenhausverbandes
Deutschland, fordert deshalb Rahmenbedingungen, die Qualität auch
ermöglichten. So drückten sich die Bundesländer seit Jahren davor,
ausreichende Investitionsmittel für die Kliniken zur Verfügung zu
stellen. Nur wenn das System Krankenhaus ausreichend finanziert ist,
sind Qualitätsverbesserungen wie der Medikamentencheck im
Marsberger St.-Marien-Hospital möglich.
Qualitätsmanagement im katholischen Krankenhaus
Internes Qualitätsmanagement ist auch bei katholischen Krankenhäusern ein unverzichtbares Führungsinstrument geworden. Sie setzen dabei auf die ökumenische Zertifizierungsgesellschaft proCum Cert, die Gesundheits- und andere soziale Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft überprüft. Bundesweit haben katholische Krankenhäuser zudem die Möglichkeit, an Projekten zur Messung der Ergebnisqualität teilzunehmen. Ein Beispiel ist der Verein "Qualitätsindikatoren für Kirchliche Krankenhäuser - QKK".
Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Merkmalen, die für christliche
Häuser prägend sind, etwa die Palliativversorgung oder die Behandlung
von Demenzkranken. Zudem führen kirchliche Häuser regelmäßig
Befragungen zur Patientenzufriedenheit durch. Die Ergebnisse können in
Internetportalen wie der sogenannten Weißen Liste der
Bertelsmann Stiftung verglichen werden. Gefragt wird unter anderem nach
dem Umgang der Ärzte und des Pflegepersonals mit den Patienten und dem
wahrgenommenen Behandlungserfolg.
TEXT: CHRISTOPH ARENS