Im
Rahmen der aktuellen Debatte um ein gesetzliches Verbot jeglicher organisierter
Suizidbeihilfe fordern sowohl Politiker wie auch Vertreter der Kirchen und
verschiedener Verbände immer wieder die Stärkung der Palliativ- und Hospizarbeit. Sie müsse flächendeckend auch in ländlichen Gebieten angeboten werden. Dazu sei auch eine bessere Zusammenarbeit zwischen
Krankenkassen und Leistungserbringern nötig. Mit Blick auf unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern sprachen sich die Koalitionsspitzen für eine
bundesweite Rahmenvereinbarung zur Finanzierung der Palliativ- und Hospizarbeit
aus.
Palliative Care begleitet Menschen, die an einer Krankheit leiden, die lebensverkürzend und unheilbar ist. Das Ziel ist die Linderung aller Beschwerden, die diese Krankheit mit sich bringt. Palliativ leitet sich dabei vom lateinischen "Pallium", was so viel wie "Mantel" heißt, ab. Palliative Care will den Patienten also umsorgen und ihn gleichsam mit einem wärmenden, schützenden Mantel umhüllen.
Als Vater der amerikanischen Palliativbewegung gilt der kanadische Arzt Balfour Mount. Die Idee, die umfassende Betreuung von Patienten nach einem schützenden Mantel zu benennen, soll ihm beim morgendlichen Rasieren gekommen sein. An der Gründung der weltweit ersten Palliativstation 1975 am "Royal Victoria Hospital" in Montreal war Balfour Mount maßgeblich beteiligt.
Als zentrale Aufgaben von Palliative Care nennt die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrer Definition aus dem Jahr 2002 "frühzeitiges Erkennen, untadelige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art". Der Eintritt des Todes solle hierbei weder beschleunigt noch hinausgezögert werden.
Doch Palliative Care umfasst nicht nur die Sterbebegleitung, wie sie in Hospizen geleistet wird. Palliative Care ist ein ganzheitlicher Ansatz: Es geht darum, sich in schwerkranke Menschen und deren Angehörige einfühlen zu können. Der sterbende Mensch soll bis zum Schluss entscheiden und sein Leben gestalten können - nicht nur, was medizinische Leistungen angeht, sondern auch etwa die Frage, wo er seinen Lebensweg beschließen möchte. Palliativversorgung ist daher stets Teamarbeit, und zwar disziplin- und berufsübergreifend. Medizinische, pflegerische, psychosoziale und spirituelle Begleitung greifen hierbei ineinander.
Palliative Care umfasst zwei verschiedene Bereiche: die allgemeine und die spezialisierte Palliativversorgung. Zur allgemeinen Palliativversorgung gehört nach Angaben des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands (DHPV) in erster Linie die kontinuierliche Versorgung durch Ärzte und Pflegedienste in Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen wie Seelsorgern, Psychologen und Therapeuten. Ambulante Hospizdienste zählen dazu ebenso wie stationäre Pflegeeinrichtungen und die allgemeinen Krankenhäuser. Der überwiegende Teil schwerstkranker und sterbender Menschen wird in der allgemeinen Versorgung betreut. Die spezialisierte Palliativversorgung umfasst laut DHPV stationäre Hospize, Palliativstationen sowie die 2007 eingeführte spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Rund 10 bis 15 Prozent der Sterbenden benötigen nach Schätzungen des Verbands diese spezielle Versorgung.
Die Palliativversorgung in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt: Gab es 1996 gerade einmal 28 Palliativstationen in Krankenhäusern, so waren es 2011 (neuere belastbare Zahlen gibt es nicht) schon 231. Die Zahl der stationären Hospize stieg im selben Zeitraum von 30 auf 195. Ebenso deutlich ist der Zuwachs bei den ambulanten Hospiz- und Palliativdiensten: Waren es 1996 erst 451, so gibt es heute bereits mehr als 1.500.
Rund 100.000 Menschen engagieren sich laut Schätzungen des DHPV darüber hinaus haupt- oder ehrenamtlich in der Arbeit für Schwerstkranke und Sterbende. Wie viele Menschen in Deutschland pro Jahr palliativ versorgt werden, darüber existieren keine genauen Zahlen. Hochrechnungen zufolge werden etwa 25.000 bis 30.000 Menschen pro Jahr in stationären Hospizen begleitet.
Dennoch liegt Deutschland im europäischen Vergleich nur im unteren Mittelfeld, wie die Zahlen des "Atlas of Palliative Care in Europe 2013" belegen. Während es hierzulande nur rund fünf stationäre Einrichtungen (Palliativstationen und Hospize) pro einer Million Einwohner gibt, sind es in Island, Irland, Schweden, Belgien und Luxemburg mehr als 16. Auch Länder wie Großbritannien, Polen, Österreich, Norwegen und Spanien liegen bei der Anzahl der Einrichtungen im Vergleich zur Bevölkerung vor der Bundesrepublik. In derselben Kategorie wie Deutschland finden sich etwa Frankreich, Italien, die Schweiz und Portugal. Dennoch ist der Bericht optimistisch, was die Entwicklung von Palliative Care in Deutschland betrifft: Die Notwendigkeit, diesen Sektor auszubauen, sei gesellschaftlicher und politischer Konsens, und auch in der Wissenschaft sei die Palliativmedizin mittlerweile weitgehend anerkannt. Da Deutschland zudem wenig unter der Wirtschaftskrise gelitten habe, stehe einem weiteren Ausbau der Strukturen nichts im Wege.
Wie immer, wenn es ums Gesundheitssystem geht, sind auch bei Palliative Care finanzielle Fragen mit im Spiel. Denn Palliativversorgung ist teuer. Die Krankenhäuser tun sich leichter damit, meint Erich Rösch, Geschäftsführer des Bayerischen Hospiz- und Palliativverbands. Zum einen würden die Kosten von den Krankenkassen komplett übernommen, zum anderen verbessere eine Palliativstation den Ruf eines Krankenhauses. "Das gehört mittlerweile schon zum guten Ton." Schwerer haben es laut Rösch die stationären Hospize. Gemäß den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches müssen die Träger zehn Prozent der zuschussfähigen Kosten selbst übernehmen. Umfragen hätten aber ergeben, dass es faktisch meist 30 Prozent sind, weil nirgends festgelegt sei, was zuschussfähige Kosten sind. Gerade Personalkosten würden von den Kassen oft abgelehnt. Trägern, die im Hospizbereich tätig werden, rät Rösch daher, Einzelvereinbarungen mit den Kassen zu schließen.
Als weitere Herausforderung im Bereich Palliative Care nennt der Direktor des Zentrums für Palliativmedizin an der Kölner Uniklinik, Professor Raymond Voltz, die "Hürde im Kopf". Viele Ärzte empfänden Scheu davor, dem Patienten die Wahrheit über seine unheilbare Krankheit zu sagen. Die Folge: "Wir bekommen die Patienten viel zu spät." Palliativbehandlung müsse parallel zu sinnvollen onkologischen Maßnahmen eingesetzt werden, nicht erst danach, betont Voltz. "So könnte viel Leid verhindert werden." Von allen, die sich derzeit mit Palliative Care auseinandersetzen, wünscht sich Voltz, dass sie die Betroffenen mehr und besser einbeziehen. Schließlich dürfe es nicht nur um einen quantitativen Ausbau der Palliativversorgung gehen. Auch die Qualität müsse gemeinsam mit den Patienten weiter verbessert werden.