20 Prozent mehr Organspender gegenüber dem Vorjahr,18 Prozent mehr Transplantationen - die Entwicklung im vergangenen Jahr ist nach einem Tiefstand an Spenderorganen erfreulich. Allerdings reicht das noch nicht aus. Daher will der Bundestag noch in diesem Jahr über zwei Vorschläge abstimmen, die sehr unterschiedliche Strategien vorsehen. Eine Einschätzung von Oberarzt Michael Kiefer aus dem Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Trier.
Herr Kiefer, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach haben einen Gesetzentwurf zur
sogenannten Widerspruchslösung vorgestellt. Demnach würde jeder, der einer
Organspende nicht widersprochen hat, potenziell für eine Spende infrage kommen. Was halten Sie davon?
Bislang gilt in Deutschland die sogenannte erweiterte Zustimmungsregelung. Idealerweise soll es so sein, dass
die betroffenen Personen ihren Willen schon zu Lebzeiten kundtun. Dazu dient am
besten der Organspendeausweis, auf dem man sich für, aber auch gegen eine
Organspende entscheiden kann. Zudem sollte jede gute Patientenverfügung einen Passus beinhalten, in dem man sich im
Hinblick auf eine mögliche Organspende positioniert.
Im Jahr 2018 lag der Anteil der Patienten, die sich zu Lebzeiten schriftlich für eine Organspende bereit erklärten, bei lediglich 17,6 Prozent. Bei weiteren 25,4 Prozent war die Bereitschaft zur Organspende mündlich ausgesprochen worden. Das entspräche quasi der Zustimmungslösung.
Von der erweiterten Zustimmungslösung spricht man
dann, wenn der Wille des Betroffenen zu Lebzeiten nicht schriftlich oder verbal
festgehalten wurde. In der Regel wird dann durch die Angehörigen der vermutete
Wille, zum Beispiel aufgrund des Charakters und der Lebensweise des Betroffenen, ermittelt.
In diesem Fall spricht man von einer erweiterten Zustimmung, weil die
Entscheidung durch Stellvertreter übernommen werden muss. 2018 wurden 45,5 Prozent aller Zustimmungen zu Organspende auf diese Art ermittelt. In unserem eigenen
Krankenhaus war die Bereitschaft zur Organspende im gleichen Zeitraum in keinem
einzigen Fall schriftlich durch die Betroffenen dokumentiert.
Es
erschüttert mich immer wieder, in wie vielen Fällen die jeweiligen
Familienangehörigen nicht über den
Willen des Betroffenen Bescheid wissen. Aus diesem Grunde war
ich über Jahre hinweg ein Freund der Widerspruchsregelung - in der Hoffnung,
dass sich mehr Menschen aktiv mit der Thematik auseinandersetzen. Vereinfacht
ausgedrückt wäre man mit diesem Vorgehen automatisch Organspender, wenn man zu
Lebzeiten nicht widersprochen hätte. Ähnlich wie bei der Anschnallpflicht im
PKW stört es mich nicht, dass ein
gewisser Zwang aufgebaut wird.
In der möglichen Verletzung der Persönlichkeitsrechte liegt denn auch der größte Kritikpunkt dieser Lösung. Um das zu entschärfen, plant der Bundesgesundheitsminister eine erweiterte Widerspruchslösung. Das bedeutet, dass die Angehörigen einer Organspende widersprechen können, sollte der Betroffene dies zu Lebzeiten nicht selbst vorgenommen haben.
Aufgrund der Erfahrungen in Angehörigengesprächen glaube ich, dass ein Nein in Stellvertretung durch die Angehörigen wahrscheinlich leichter und schneller ausgesprochen wird als ein wohlüberlegtes Ja in der bisherigen erweiterten Zustimmungslösung. Deshalb bin ich von dieser Lösung nicht überzeugt.
Dann gibt es ja noch einen Gegenentwurf mehrerer Bundestagsabgeordneter um Annalena Baerbock (Grüne) und Katja Kipping (Die Linke), der an der aktuell strikten Zustimmungslösung festhält. Doch der bessere Weg?
Der Gegenvorschlag von Frau Baerbock und Frau Kipping behält die Zustimmungsregelung im Grunde bei. Durch das Onlineregister würde jedoch die Möglichkeit zur schriftlichen Zustimmung erweitert werden. Gleichzeitig soll aber eine regelmäßige Aufklärung über das Thema Organspende zum Beispiel durch Hausärzte aber auch durch Behörden erfolgen und die Menschen auf diese Art und Weise hin zu einer positiven Registrierung "geschubst" werden.
Um ehrlich zu sein, bin ich pessimistisch und glaube, dass sich die Organspendezahlen egal mit welcher Regelung in unserem Land nicht wesentlich steigern lassen.
84 Prozent stehen dem Thema eher positiv gegenüber, so das Ergebnis einer Umfrage. Warum tun sich die meisten Menschen dann doch so schwer mit einem Organspendeausweis?
Wahrscheinlich sind dafür mehrere Gründe verantwortlich. Zum einen die Scheu davor, sich mit dem Thema Tod und insbesondere dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Dann liegt dem Hirntod ja auch noch etwas Unheimliches inne, weil der Körper ja zunächst noch warm und rosig mit schlagendem Herzen und funktionierenden Organen vorhanden ist. Und schließlich sind bestimmt auch die Unwissenheit über das Thema Hirntod und auch der Umgang damit im Krankenhaus sowie die Angst vor Missbrauch ein Grund. Deshalb versuchen wir uns mit hohen Respekt dem Thema Hirntod zu nähern und bieten ein möglichst hohes Maß an Angehörigenbegleitung.
Sie stehen in Kontakt zu Angehörigen, die nach dem Hirntod des Patienten über die Entnahme von Organen entscheiden müssen - sofern keine Erklärung vorliegt. Um welche Fragen geht es in dieser Situation?
Ich entschuldige mich in der Regel dafür, dass ich den Angehörigen die Verantwortung für die anstehende Entscheidung nicht abnehmen kann, sondern dass sie nun dem Druck ausgesetzt sind, eine richtige Lösung zu finden. Dabei betone ich immer, dass die Entscheidung im Sinne des Patienten getroffen werden soll, dass man sich also in seine Lage oder vielmehr in sein Wesen hineinversetzen und nach einer Antwort suchen möge. Hilfsfragen, ob die betroffene Person zum Beispiel ein hilfsbereiter Mensch war, können dabei helfen.
Es gibt Situationen, in denen innerhalb von ein oder zwei Tagen ein Zugang zu den Angehörigen gefunden und diese mit diesem sensiblen Thema konfrontiert werden müssen. Jede Familie funktioniert unterschiedlich. Was sich aber sagen lässt, ist, dass dort, wo über das Thema bereits zu Lebzeiten gesprochen wurde und die Angehörigen wissen oder zumindest ein Gefühl dafür haben, was sich ihr Verstorbener gewünscht hätte, die Bereitschaft zur Zustimmung hoch ist. Ich kann nur dazu appellieren, dass man die Verantwortung von den Schultern seiner Familie nimmt und seine persönliche Einstellung am besten schriftlich dokumentiert und auch mit seinen Nächsten bespricht.
Haben Angehörige Sorge davor, ein Todesurteil auszusprechen?
Nein. Ich mache in allen Gesprächen unmissverständlich klar, dass der Patient unausweichlich versterben wird und dass der Zeitpunkt des Hirntodes auch der offizielle Zeitpunkt des Todes auf dem Totenschein sein wird. Wir sollten als Mitarbeiter im Krankenhaus immer bestrebt sein, den Angehörigen nicht das Gefühl zu geben, dass sie für den Tod des betroffenen Patienten und Familienmitgliedes verantwortlich sind. Das Faktum des Todes und die Frage nach einer Organspendebereitschaft können Angehörige größtenteils gut trennen.
Hilft ein Blick zu den Empfängern eines Spenderorgans?
Im Gespräch mit den Angehörigen? Nein, das vermeide ich, um keinen moralischen Druck auszuüben. Die Entscheidungen müssen frei und in einem ausreichenden Zeitrahmen getroffen werden. Die Angehörigen, die einer Organspende zustimmen, lenken den Blick oft von ganz alleine auf die mögliche Hilfe für betroffene Organempfänger. Ich glaube und hoffe, dass diese Hilfe für andere auch oft als tröstend empfunden wird.
Vielen Dank.
Das Gespräch führte Judith Hens.