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07.07.2016 / aktualisiert 16.12.2020

Und plötzlich ging es nicht mehr ohne

Hasch, Speed, Crystal Methoder Koma-Saufen - immer mehr Jugendliche machen heute schon früh Erfahrungen mit Drogen. Welche Wege in die Sucht und wieder heraus führen, schildern Dr. Bernd Balzer, Chefarzt an der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Barmherzigen Brüder Saffig, und Frank Voss, Leiter der dortigen Psychiatrischen Dienste.

Dr. Bernd Balzer (links) und Frank Voss

Drogenprävention spielt seit Langem eine wichtige Rolle an Schulen. Dennoch sinkt das Einstiegsalter für Drogen beständig und der Prozentsatz der Jugendlichen, die schon einmal illegale Drogen probiert haben, steigt. Was läuft da schief?

Frank Voss: Drogen sind heute leicht und schnell verfügbar. Sie können sie im Internet kaufen - aber auch offline. Selbst bei uns hier, im ländlichen Raum, gibt es kaum ein Schulzentrum, an dem keine "Kräutermischungen" im Umlauf sind. Hinzu kommt eine gesellschaftliche Komponente: Wenn eine Situation mal schwieriger ist, dann ist es für viele Menschen ganz normal, sich mal schnell "rauszubeamen", um der Realität nicht ins Auge blicken zu müssen. Dagegen kommt die Drogenprävention anscheinend nicht an.

Dr. Bernd Balzer: Nicht nur das. Bei vielen Veranstaltungen gehört es heute dazu, sich durch Einnahme von Amphetaminen in Stimmung zu bringen. Vor allem in den Großstädten kommt das Phänomen der synthetisch hergestellten Drogen wie CrystalMeth hinzu.

Ab und an mal was einwerfen habe janoch nichts mit Sucht zu tun, denken viele. Was sagen Sie als Experten dazu?

Dr. Bernd Balzer: Es stimmt natürlich: Nicht jeder, der Suchtstoffe konsumiert, ist abhängig. Aber die Grenzen zwischen gelegentlichem Konsum, schädlichem Konsum und Abhängigkeit sind fließend. Und oft merken die Betroffenen gar nicht, wenn eine dieser Grenzen überschritten ist - oder wollen es zumindest nicht wahrhaben. Generell kannman sagen: Je häufiger jemand konsumiert, umso größer ist die Gefahr, abhängig zu werden. Insofern sollte man die Problematik nicht unterschätzen.

Warum rutschen die einen ab, während andere die Kurve kriegen?

Frank Voss: Sucht ist immer ein komplexes Thema. Den klassischen Suchtkranken gibt es nicht, jeder Fall setzt sich aus vielen individuellen Bausteinen zusammen. Insofern ist die Ursachenforschung ein zentraler Baustein jeder Therapie.

Dr. Bernd Balzer: Aus ärztlicher Sicht lassen sich viele Faktoren identifizieren. Hierzu gehört etwa die genetische Veranlagung, die dazu führt, dass Alkohol unterschiedlich in der Leber abgebaut wird oder unterschiedliche Reaktionen bei den Überträgerstoffen im Gehirn hervorruft. Eine zentrale Rolle spielt auch die Frage, wie Menschen mit psychischen Krisen und Stress umgehen, ob sie hierbei zur Bewältigung Drogen einsetzen und sich dann daran gewöhnen.

Welche Zusammenhänge gibt es zwischen Sucht und psychischen Erkrankungen?

Dr. Bernd Balzer: Hier gibt es Wechselwirkungen. Hoher Alkoholkonsum etwa führt zu Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen. Umgekehrt erhöhen psychische Erkrankungen wie Depressionen oder ADHS das Risiko, süchtig zu werden.

Frank Voss

Wie kann das soziale Umfeld - Familie,Freunde, Kollegen - einem Suchtkrankenhelfen?

Frank Voss: Der Umgang mit einem suchtkranken Menschen stellt für das soziale Umfeld eine sehr große Herausforderung dar, denn Suchterkrankungen haben ein großes zerstörerisches Potenzial. Suchtkranken fällt es sehr schwer, sich ihre Abhängigkeit einzugestehen - und oft tun sich auch die Angehörigen nicht leicht damit. Wir sprechen hier von Co-Abhängigkeit. In diesem Fall ist es wichtig, der Wahrheit ins Auge zu sehen und den Betroffenen damit zu konfrontieren. Viele Menschen, die wir hier in der Fachklinikfür Psychiatrie und Psychotherapie in Saffig behandeln, sind gewissermaßen fremdmotiviert. Der Anstoß, bei uns Ratzu suchen, kam vom Lebenspartner, aus der Familie, vom Arbeitgeber. Das genügt zwar oft nicht, um zu einem Behandlungserfolg zu kommen, und dementsprechend sehen wir so manchen Patienten auch ein zweites oder drittes Mal. Aber letztlich kann niemand ohne professionelle Hilfe aus einer Sucht herausfinden.

Wie sieht denn eine erfolgreiche Behandlungaus?

Dr. Bernd Balzer: Wir unterscheiden hier drei Phasen: Die erste ist die körperliche Entgiftung, der Entzug. Das dauert etwa ein bis zwei Wochen. Der Suchtkranke darf in dieser Zeit nicht mehr konsumieren. Auftretende Entzugserscheinungen werden dabei behandelt. Außerdem wird der Patient durch das Pflegepersonal engmaschig überwacht, ob Komplikationen wie epileptische Anfälle oder ein Delirium auftreten. Parallel zum Entzug wird dann schon die zweite Phase vorbereitet, die Langzeittherapie. Die dauert deutlich länger, zwischen etwa sechs Wochen und sechs Monaten. Dabei wird die psychische Abhängigkeit behandelt. Als dritte Phase folgt dann die Nachsorge, die nocheinmal ein bis zwei Jahre dauern kann. Generell gilt: Bei Suchterkrankungen müssen alle Beteiligten einen langen Atem haben. Das Interview führte Andreas Laska.

Ist ein "normales Leben" nach einer Suchterkrankung überhaupt möglich?

Dr. Bernd Balzer: Suchterkrankungen sind grundsätzlich lebenslange Erkrankungen. Der Patient ist und bleibt von einer bestimmten Substanz abhängig, die Frage ist nur, ob er diese Substanz weiter konsumiert oder nicht.

Frank Voss: Ob jemand in ein mehr oder weniger normales Leben zurückkehrt, hängt vor allem von seiner Motivation ab, offen mit seiner Erkrankung umzugehen und von nun an tatsächlich abstinent zu bleiben. Hier kommt noch einmal das soziale Umfeld ins Spiel. Unterstützung von Verwandten, Bekannten oder Kollegen kann durchaus motivierend wirken. Außerdem empfiehlt sich der Kontakt zu anderen Betroffenen etwa in Selbsthilfegruppen.

Das Interview führte Andreas Laska.

 
 

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