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28.09.2020

Ein gutes Bauchgefühl

Patienten aus ganz Deutschland kommen ins Theresienkrankenhaus Mannheim. Die allgemein- und viszeralchirurgische Abteilung um Professor Dr. Peter Kienle hat sich als eines von wenigen Zentren hierzulande auf die operative Behandlung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen spezialisiert. Dank ihrer Expertise können die Ärzte den zumeist jungen Patienten ein großes Stück Lebensqualität zurückgeben.

Der Operationssaal ist abgedunkelt, eine OP-Lampe beleuchtet den Bauch der Patientin. Konzentriert schauen Professor Dr. Kienle und die beiden Chirurgen Tanja Holzinger und Benjamin Beck auf drei Bildschirme. Gezeigt werden verschwommene Formen in Fleischfarben. Doch sobald man die 3D-Brille aufsetzt, ergibt sich ein glasklares dreidimensionales Bild von Schlingen des Dünndarms.

Einer der Ärzte bedient eine Endoskopie-Kamera, die durch einen kleinen Schnitt und eine Hülse in das Innere des Bauchraums eingeführt wurde. So kann der Chirurg sehen, an welcher Stelle er den Darmabschnitt abtrennen muss.

Jahrelange Tortur

Mit modernster Technik und ausgereiften Verfahren operieren Professor Dr. Peter Kienle, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie am Theresienkrankenhaus Mannheim, und sein Team Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, die beiden häufigsten Formen, bedeuten für die zumeist jungen Patienten oft eine jahrelange Tortur. Die Betroffenen leiden unter Durchfällen und Bauchkrämpfen, die Entzündung kann zudem Fisteln, Entzündungsgänge und Abszesse verursachen und so zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Eine Operation kann den Patienten ein großes Stück Lebensqualität zurückgeben. 

Schätzungen gehen davon aus, dass rund 420.000 Menschen in Deutschland an CED leiden. Knapp die Hälfte leidet an Morbus Crohn, die andere Hälfte an Colitis ulcerosa. Einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden Erkrankungen nennt Professor Dr. Kienle: „Beim Morbus Crohn kann vom Mund bis zum After jeder Bereich der Verdauung von der Entzündung betroffen sein, bei der Colitis ulcerosa ist es in der Regel nur der Dickdarm.“

Mit 19 Jahren wurde bei Alma Philippi Morbus Crohn diagnostiziert.

Junge Patienten

Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen, und grundsätzlich können Menschen jeden Alters erkranken. „Tatsächlich betreffen chronisch entzündliche Darmerkrankungen vor allem jüngere Patienten zwischen 15 und 30 Jahren“, erläutert der Chefarzt. Jeder fünfte an Morbus Crohn leidende Patient ist zum Zeitpunkt der Diagnose jünger als 20 Jahre. 

So war es auch bei Alma Philippi. „Mit 19 hatte ich häufig Durchfälle, die ich nicht zuordnen konnte“, erinnert sich die heute 31-Jährige, die in Saarlouis im Saarland wohnt. Nach mehreren Untersuchungen beim Hausarzt und einer Darmspiegelung erhielt sie die Diagnose: Morbus Crohn. „In mir ist eine Welt zusammengebrochen“, erzählt sie. Gerade volljährig geworden – ihr ganzes Leben vor sich, wie sie es beschreibt –, ist sie mit einer chronischen Krankheit konfrontiert, die sie nicht einordnen kann. Und für die es keine definitive Heilung gibt.

Nicht heilbar

„Wir können nur die Symptomatik beziehungsweise die Komplikation behandeln, die Erkrankung ist de facto eigentlich nicht heilbar“, erklärt der Experte. Denn was genau Morbus Crohn (und auch Colitis ulcerosa) auslöst, ist nicht abschließend bekannt. Sicher ist nur, dass die natürliche Barrierefunktion der Darmwand gestört ist. Bakterien können eindringen, was zu einer Abwehrreaktion des Körpers führt, die schließlich aus dem Ruder läuft. Es kommt zu einer Entzündungsreaktion, die chronisch wird. Glücklicherweise ist die Lebenserwartung von Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen in der Regel nicht eingeschränkt.

Bei Alma Philippi war der Übergang zwischen Dünn- und Dickdarm entzündet, der am häufigsten betroffene Darmabschnitt bei Morbus Crohn, erklärt Professor Dr. Kienle. Die festgestellte Entzündung stellte sich als  leicht heraus, sie konnte mithilfe von Cortison gut behandelt werden. Mit dem Medikament wird das Immunsystem unterdrückt und die Entzündungsreaktion geht zurück.

Professor Dr. Peter Kienle beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit der Behandlung von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Das Theresienkrankenhaus Mannheim gehört zu den Schwerpunktzentren Deutschlands.

Krankheit in Schüben

„Beide Formen der CED treten üblicherweise schubweise auf. Dabei können zwischen den Schüben große Zeiträume liegen“, sagt der Chefarzt. Alma Philippi sollte vier Jahre Ruhe haben, in denen sie ein ganz normales Leben führen konnte.

Im Jahr 2012 kam der nächste Schub, die Entzündungsherde waren dieses Mal deutlich ausgeprägter. Daher erhielt die junge Frau Cortison in höherer Dosis. Dieses Mal spürte Alma Philippi die Nebenwirkungen. „Ich war innerlich total angespannt, unruhig und konnte nachts nicht schlafen. Außerdem hatte ich Wassereinlagerungen im Gesicht und im Nacken sowie Flaum im Gesicht, auf dem Rücken und an den Armen. Auf dem Kopf gingen die Haare dagegen aus“, erinnert sie sich. Bekannte, die sie länger nicht gesehen hatten, erkannten sie zunächst nicht. Als sie es dann taten, konnte sie das Entsetzen in ihren Gesichtern sehen, erzählt Alma Philippi. „Es war sehr schwer, sich immer wieder aufs Neue zu motivieren und rauszugehen, auch wenn man sich gar nicht wohlfühlte in seiner Haut.“ Noch Jahre später ist ihr anzumerken, wie belastend diese Zeit für sie war.

Die Behandlung mit Cortison in höherer Dosierung kann zudem deutlich schwerwiegendere Nebenwirkungen verursachen, unter anderem Osteoporose, also Knochenschwund, Diabetes oder die Augenerkrankung Grauer Star. „Es hat eine Fülle von Nebenwirkungen, die – wenn man es in höheren Dosen und länger nimmt – problematisch sein können“, erklärt der Chefarzt. Daher versuche man, das Arzneimittel nicht dauerhaft in höherer Dosierung zu geben.

Notfall-Operation

Mit dem zweiten schweren Schub im Frühjahr 2019 gingen so starke Magenschmerzen und Krämpfe einher, dass Alma Philippi in ein Krankenhaus in der Nähe ihres Wohnorts gebracht wurde. Die Ultraschalluntersuchung und MRT-Aufnahmen ließen eine schwere Entzündung vermuten. Ein Notfall –Alma Philippi musste operiert werden. Bei der OP erkannten die Ärzte, dass sich durch die Entzündung im Darm Fisteln gebildet hatten, das heißt Entzündungsgänge. Diese wiederum verursachten einen sogenannten Abszess, eine abgekapselte Ansammlung von Eiter, an Eileiter und Eierstock. Solch eine Entzündung kann unentdeckt zu Unfruchtbarkeit und in extremen Fällen zu einer lebensgefährlichen Blutvergiftung führen. 

„Das hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen“, sagt Alma Philippi. Sie war gerade 30 geworden, im Jahr zuvor hatte sie geheiratet. Zusammen mit ihrem Ehemann will sie eine Familie gründen, ein Kind haben. Diese Lebenspläne sah sie durch die Erkrankung in Gefahr.

Bei Alma Philippi war der Übergang zwischen Dünn- und Dickdarm entzündet, der am häufigsten betroffene Darmabschnitt bei Morbus Crohn, erklärt Professor Dr. Kienle.

Suche nach Experten 

Auch wenn der Eingriff erfolgreich verlief und die Entzündung an Eileiter und Eierstock entfernt werden konnte, machte sie sich auf die Suche nach einer Alternative zur medikamentösen Therapie: Sie informierte sich über Kliniken, die auf die chirurgische Behandlung von CED spezialisiert sind, und erfuhr so von der Arbeit von Professor Dr. Kienle und seinem Team am Theresienkrankenhaus Mannheim.

„Unsere Patienten kommen aus dem ganzen Bundesgebiet. Das liegt daran, dass sich nur einige wenige Kliniken auf diese Chirurgie spezialisiert haben“, erklärt der Chefarzt. Zudem seien viele Patienten in dem Selbsthilfeverband Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) organsiert, der die Zentren empfehlen würde.

Neue Hoffnung

Professor Dr. Kienle selbst beschäftigt sich schon seit mehr als 25 Jahren mit der Behandlung beider Erkrankungen. Seit Anfang 2018 ist er Leiter der Allgemein- und Viszeralchirurgie und baut seitdem das Theresienkrankenhaus kontinuierlich zu einem Schwerpunktzentrum aus. Die Chirurgen leisten rund 150 bis 200 Crohn-Operationen jährlich und operieren ungefähr 100-mal im Jahr Patienten mit Colitis ulcerosa.

Bei der Behandlung von Colitis ulcerosa setzt das Team im Theresienkrankenhaus auf eine spezialisierte Operationstechnik, das sogenannte Pouch-Verfahren. Es handelt sich um ein Operationsverfahren, das nur in einer Handvoll Kliniken in Deutschland in größerer Zahl angewendet wird und auf das sich Professor Dr. Kienle im Laufe seiner Karriere spezialisiert hat. Bei der OP entfernen die Chirurgen den Dick- und Enddarm, der bei dieser Form der Erkrankung ausschließlich betroffen ist. Als Ersatz für den Dickdarm schneiden sie eine Dünndarmschlinge zu und vernähen sie, sodass sie ein Reservoir bildet, den Pouch (englisch für Beutel). Dieser wird mit dem Schließmuskel verbunden. Der Pouch übernimmt – wenn auch eingeschränkt – die Funktion des Dickdarms. Dadurch kann ein künstlicher Darmausgang verhindert werden, was für viele der zumeist jungen Patienten ein erhebliches Maß an Lebensqualität bedeutet.

Kleine Schritte

Die Chirurgen wenden die sogenannte Schlüssellochchirurgie an, bei der sie nur kleine Schnitte machen, lediglich 0,5 bis 1,5 Zentimeter lang, über die Hülsen, sogenannte Trokare, eingebracht werden. Der Bauchraum wird dann mit Kohlendioxid aufgeblasen, um Platz zu schaffen. Über die Hülsen werden eine kleine Kamera mit Licht sowie die Instrumente eingebracht. Die Kamera überträgt das dreidimensionale Bild auf die Bildschirme, wo es die Chirurgen mithilfe von 3D-Brillen sehen können. Dadurch sind die Narben kleiner, und die Wundheilung geht deutlich schneller. Schon am nächsten Tag können die Patienten in der Regel aufstehen, essen und trinken.

Auch Alma Philippi wurde mittels Schlüssellochverfahren operiert. Professor Dr. Kienle und sein Team entfernten so die Übergangsstelle zwischen Dünn- und Dickdarm auf einer Länge von 19 Zentimetern. „Bei Frau Philippi sind die Erfolgsaussichten sehr gut. Denn sie hatte ja nur den Befall zwischen Dick- und Dünndarm, und diese Stelle haben wir entfernt. Somit hat sie eine Chance von deutlich mehr als 50 Prozent, dass sie langfristig keine Beschwerden hat“, sagt der Chefarzt.

Zur Ruhe kommen

Das hofft auch Alma Philippi nach der langen Zeit, in der die Krankheit ihr Leben bestimmte. „Ich wünsche mir für die Zukunft, dass ich schubfrei weiterleben kann und jetzt mein Bauch, mein Körper zur Ruhe kommt und ich mir den Wunsch einer kleinen eigenen Familie mit meinem Mann erfüllen kann.“

Text: Joris Hielscher | Fotos: André Loessel

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