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25.09.2020

Damit Essen Genuss bleibt

Wenn jede Mahlzeit zum Risiko wird, vergeht der Appetit schnell. Viele, überwiegend ältere Menschen leiden an unerkannten Schluckstörungen. Das Team der Geriatrie im Gemeinschaftskrankenhaus Bonn erkennt die Krankheit und hilft Betroffenen.

„Es kommt relativ häufig vor, dass Nahrung in die Luftröhre gelangt“, weiß Chefarzt Frank Otten.

Essen ist mehr als nur die bloße Nahrungsaufnahme: Zu Weihnachten gehört ein Festmahl, gemeinsame Mahlzeiten im Kreis der Familie stärken den Zusammenhalt und der Besuch eines ausgefallenen Restaurants ist ein Erlebnis, das in Erinnerung bleibt. Doch es gibt Menschen, für die der Genuss plötzlich zur Qual wird.

Viele, vor allem ältere Personen entwickeln Probleme mit dem Schlucken. Sie verschlucken sich häufig, Speisen oder Getränke gelangen in die Luftröhre. Das kann zu einer großen Belastung werden. Oft ziehen sich Betroffene zurück, vermeiden es, in Gesellschaft zu essen, und verlieren zum Teil sichtbar an Gewicht. Frank Otten, Chefarzt der Geriatrie im Haus St. Elisabeth des Gemeinschaftskrankenhauses Bonn, und sein Team helfen Menschen mit Schluckstörungen.

„Es kommt relativ häufig vor, dass Patienten aspirieren, also dass die Nahrung in die Luftröhre gerät“, sagt der Facharzt für Innere Medizin, der sich auf Altersmedizin spezialisiert hat. Das kann schlimme Folgen haben, denn wenn Nahrungsreste in die Lunge gelangen, kann das zu einer Lungenentzündung führen. Das ist gerade für Senioren lebensgefährlich, erklärt Otten.

Eine Kamera zeigt die Probleme

In der Geriatrie im Haus St. Elisabeth setzt man deshalb auf eine spezielle endoskopische Untersuchung, um Schluckstörungen frühzeitig zu erkennen. Dabei wird eine kleine Kamera mit einem drei Millimeter dünnen Schlauch über die Nase in den Rachen eingeführt. Das Gerät ist an einen sogenannten „Turm“ angeschlossen, an dem ein großer Monitor befestigt ist. Die Bilder der Kamera werden darauf in Echtzeit
übertragen. „Die Patienten bekommen Testflüssigkeiten angereicht, zum Beispiel blau gefärbtes Wasser, das in verschiedenen Konsistenzen angedickt wurde, und dann beobachten wir sie beim Schlucken“, erklärt Frank Otten das Vorgehen.

Das Verfahren ist in der Regel schmerzfrei, die Patienten spüren ein leichtes Kratzen in der Nase oder müssen niesen. „Viele haben Angst vor Schläuchen oder schlechte Erfahrungen gemacht. Bei dieser Untersuchung sind sie oft im Nachhinein überrascht, wie unkompliziert das war“, betont der Chefarzt.

Bei der Endoskopie sind auch Sprachheilpädagoginnen wie Sonja Bergmann
dabei und besprechen mit Frank Otten die Diagnose.

Wichtige Reflexe fehlen

Das Ergebnis erstaunt in vielen Fällen ebenfalls. Oft zeigt sich, dass ein Teil der Testsubstanzen beim Schlucken nicht in die Speiseröhre, sondern in die Luftröhre gerät. „Ein gesunder Mensch würde sofort stark husten“, sagt der Chefarzt. Liegt eine Schluckstörung vor, fehlt jedoch dieser lebenswichtige Reflex.

Betroffene bemerken von der Schluckstörung oft gar nichts. Manchmal fällt ihnen das Kauen schwerer, oder sie haben das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben. Weitere Symptome können eine vermehrte Speichelbildung, fehlende Kraft in der Zunge oder eine gestörte Gefühlswahrnehmung im Mund-Rachen-Raum sein.

Warnsignale erkennen

Wenn Familienmitglieder oder Freunde beobachten, dass ihre Angehörigen nur noch kleine Mengen zu sich nehmen, den Kopf beim Essen nach vorne neigen oder sich ihre Stimme nach dem Schlucken gurgelnd anhört, sind das Warnsignale. In vielen Fällen ist aber für Angehörige und sogar erfahrene Ärzte und Pflegekräfte von außen nicht zu erkennen, dass die Nahrung fehlgeleitet wird.

„Deshalb führen wir die Endoskopie bei allen Patienten durch, die mit Lungenentzündung oder neurologischen Erkrankungen wie Parkinson oder Schlaganfall zu uns kommen“, so Frank Otten. Krankheiten, bei denen das Nervensystem betroffen ist, können Schluckprobleme auslösen. Bei Schlaganfallpatienten ist eine sogenannte Aspitationspneumonie, also eine durch Verschlucken ausgelöste Lungenentzündung, sogar eine der häufigsten Todesursachen.

Frank Otten, Facharzt für Innere Medizin, hat sich auf Altersmedizin spezialisiert und ist Chefarzt der Geriatrie im Gemeinschaftskrankenhaus Bonn, Haus St. Elisabeth.

Auch junge Patienten sind betroffen

Zudem betreuen speziell geschulte Diplom-Sprachheilpädagogen die Senioren auf der Geriatrie. Auch bei Patienten ohne neurologische Probleme achten sie auf kleinste Auffälligkeiten und überprüfen in einer klinischen Untersuchung, ob Gesichtsmotorik, Zungenmuskulatur und Reflexe wie Husten oder Würgen funktionieren. In Verdachtsfällen führt Frank Otten eine Endoskopie durch.

Von Schluckstörungen sind aber nicht nur ältere Menschen betroffen. Jeder, der über einen Zeitraum von mehreren Tagen oder sogar Wochen künstlich beatmet wurde – zum Beispiel nach einem schweren Unfall –, hat ein erhöhtes Risiko, eine solche Problematik zu entwickeln.

Enge Zusammenarbeit

Frank Otten arbeitet deshalb auch eng mit Dr. Gerrit Schuhmacher, Oberarzt und Leiter der Intensivstation im Haus St. Petrus des Gemeinschaftskrankenhauses, zusammen. „Wir haben viele, auch jüngere Patienten, die über einen Schlauch beatmet wurden. Dieser beeinträchtigt Abläufe, die sonst ganz natürlich
sind, wie zum Beispiel das Schlucken“, erklärt der Intensivmediziner.

Je länger die Beatmung dauert, desto mehr stumpft der Hustenreflex ab, mit dem der Körper sich normalerweise gegen den Fremdkörper wehren würde. Entfernen die Mediziner den Beatmungsschlauch, weil sich der Zustand bessert, kann das zum Problem werden. Obwohl der Patient scheinbar wieder in der Lage ist, selbstständig zu essen, werden Speisen und Getränke oft unbemerkt aspiriert.

Frank Otten (li.) arbeitet eng mit Dr. Gerrit Schuhmacher (re.), Oberarzt der Intensivstation, zusammen, denn auch nach einer künstlichen Beatmung kann es Probleme beim Schlucken geben.

Gefahr eines Rückschlags

„In dieser kritischen Phase der Entwöhnung müssen wir genau wissen, was der Betroffene schon kann. Dabei hilft die Endoskopie“, sagt Dr. Gerrit Schuhmacher. Seit Anfang des Jahres hat Frank Otten für den Einsatz auf der Intensivstation ein mobiles Endoskopiegerät, das mit einem Tablet verbunden wird.

„Durch die Untersuchung können wir den Patienten optimal bei der Genesung unterstützen und senken das Risiko einer Lungenentzündung erheblich. Sonst ist diese Komplikation ein enormer Rückschritt und bedeutet mindestens eine weitere Woche auf der Intensivstation“, so Dr. Gerrit Schuhmacher.

Der Leidensdruck ist groß

Schluckstörungen lassen sich in vielen Fällen gut behandeln. Frank Otten setzt dabei auf eine enge Zusammenarbeit mit dem dreiköpfigen Team von Diplom-Sprachheilpädagoginnen.

Maria Brand ist eine von ihnen. „Die Problematik ist leider kaum bekannt. Dabei ist die Not bei den Betroffenen groß, wenn sie nicht mehr richtig essen können. Deshalb ist es wichtig, mehr darüber aufzuklären“, sagt sie. Denn mit den richtigen Tipps und Tricks ist die Störung meist gut in den Griff zu bekommen.

Abläufe gezielt trainieren

Dazu gibt es drei verschiedene Ansätze. Zunächst, so die Therapeutin, versuchen sie, den natürlichen Schluckvorgang wiederherzustellen. Mit speziellen Übungen stärken sie die Muskulatur in Zunge und Lippen des Patienten und stellen die Sensibilität im Mundraum wieder her. Das geschieht zum Beispiel mithilfe von Vibration oder Wärmeund Kältereizen. „Es geht darum, dass sie sich des Schluckens bewusst werden.“

Zusätzlich dazu üben sie Manöver ein, um Nahrung richtig herunterzuschlucken. „Schon durch eine aufrechte Sitzposition kommt mehr Schluckkraft“, erklärt Maria Brand. Aber auch die richtige Kopfhaltung und Atmung kann trainiert werden. Wichtig ist dabei, dass die Betroffenen kognitiv fit sind und die Ratschläge umsetzen können.

Frank Otten und sein Team gehen den Schluckstörungen auf den Grund, dabei helfen etwa Testflüssigkeiten in verschiedenen Konsistenzen.

Das Richtige essen

Parallel wird die Kost an die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen angepasst. Dazu wird abteilungsübergreifend zusammengearbeitet. Die Sprachheilpädagoginnen sind bei der Endoskopie dabei und besprechen mit Frank Otten die Diagnose. Bei stationären Patienten orientieren sie sich an drei Koststufen: Menschen mit starken Schluckstörungen bekommen zunächst nur ganz glatte, breiige Speisen wie Kartoffelpüree oder Fruchtmus. Flüssigkeiten werden gegebenenfalls mit Spezialpulver angedickt, um Verschlucken zu vermeiden.

Im zweiten Schritt kommt morgens und abends Graubrot ohne Rinde auf den Speiseplan. Liegt nur noch eine leichte Problematik vor, bereitet die Küche nahezu normale Speisen zu, die
jedoch keine Fasern und Krümel enthalten.

„So minimieren wir das Risiko, sich zu verschlucken. Diese Kostanpassung erfordert von den Patienten aber viel Akzeptanz“, betont Maria Brand. In der Krankenhausküche wird deshalb darauf geachtet, auch Speisebrei appetitlich anzurichten und Abwechslung, etwa durch Smoothies, zu bieten.

Angehörige können mithelfen

Die Sprachheilpädagogin legt darüber hinaus großen Wert auf einen engen Austausch mit den Angehörigen. Sie sollen verstehen, „warum ihre Oma ihren Lieblingskuchen gerade nicht essen darf“. Ein emotionales Thema und eine Belastung sowohl für den Kranken, der plötzlich nicht mehr seine Leibspeise
genießen kann, als auch für Familienmitglieder, die gerne mit besonderen Leckereien Trost spenden wollen.

Ihnen geben die Therapeuten viele Tipps, damit sie ihre Liebsten auch nach deren Entlassung aus dem Krankenhaus bestmöglich unterstützen können. Dazu gehört nicht nur, auf die richtige Sitzposition und auf die Konsistenz der Speisen zu achten. „Wichtig ist, den Alltag so normal wie möglich zu gestalten und das gilt auch für die Mahlzeiten. Die Präsentation ist wichtig, um das Essen bewusst zu erleben“, sagt Maria Brand. Auf schönem Geschirr angerichtet, kann auch Brei den Hunger wecken. Und richtig zubereitet, also etwa erst kurz vor dem Servieren püriert, schmeckt er sogar richtig lecker.

Frank Otten betont: „Wir wollen, dass die Menschen sich gut ernähren können, ohne Risiko. Wir wollen ihnen Lebensqualität geben, denn Essen soll auch im Alter ein Genuss sein.“

Text: Lena Reichmann | Fotos: André Loessel

 
 

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