Die Covid-19-Pandemie hat unseren Alltag weiter fest im Griff. Nach den Sommerferien
infizierten sich wieder mehr Menschen. Dr. Andreas Zaruchas erlebt all das am
Brüderkrankenhaus St. Josef in Paderborn hautnah mit. Er leitet dort die Pneumologie,
in seinen Verantwortungsbereich fällt die Behandlung von Covid-19-Patienten. Außerdem
war er von Beginn an Mitglied des Corona-Krisenstabes des Krankenhauses und
im regionalen Krisenstab der Stadt Paderborn. Im Interview erzählt er, wie er persönlich
die zurückliegenden Monate erlebt hat, wie das Brüderkrankenhaus sich in der Pandemie
aufgestellt hat und wie man sich für eine zweite Welle wappnen kann.
Ich halte das Virus für deutlich gefährlicher als die normale Grippe. Es ist ansteckender und macht viel kränker. Man kann es am ehesten mit der Spanischen Grippe vergleichen, die vor rund 100 Jahren weltweit Millionen Todesopfer gefordert hat. Denn es greift nicht nur die Lunge an, sondern kann auch das Gefäßsystem, das Herz, das zentrale Nervensystem und die Nieren befallen. Das macht es zu einer sehr komplexen Erkrankung.
Mindestens bis es einen Impfstoff gibt. Das Virus ist weiter existent, und es ist hochansteckend.
Im Herbst sind wir generell deutlich anfälliger für Atemwegsinfektionen. Die Schleimhäute trocknen schneller aus, das Immunsystem ist empfindlicher. Gleichzeitig bevorzugt das Coronavirus offenbar kühlere Temperaturen. Von daher sind die Bedingungen für eine zweite Welle dann auf jeden Fall da.
Wir kennen das Virus inzwischen viel besser und können deshalb gezielter darauf reagieren. Wir wissen, dass die Übertragung hauptsächlich über die Atemluft erfolgt. Und genau da müssen die Schutzmaßnahmen ansetzen.
Es ist wichtig, dass weiter viel und intensiv getestet wird, vor allem in bekannten Hotspots. Wir müssen wissen, wie präsent das Virus ist.
Ja. Wir haben ausreichend Vorräte an Schutzausrüstung, ausreichend Testkapazitäten, Organisationspläne für steigende Patientenzahlen, das Personal ist geschult. Alle wissen jetzt Bescheid, die Strukturen sind geschaffen. Wir sehen uns deshalb gut auf eine zweite Welle vorbereitet.
Zu Beginn der Pandemie wurden Patienten sehr früh künstlich beatmet. Damit kann man der Lunge auch Schaden zufügen. Wir wissen heute, dass das in vielen Fällen gar nicht nötig ist. Oft können wir sie mit einer intensiven Sauerstofftherapie ebenso gut behandeln. Dabei bekommen die Patienten reinen Sauerstoff über eine Nasensonde statt, wie bei der künstlichen Beatmung, über einen Schlauch in der Luftröhre.
Zum ersten Mal vom Coronavirus habe ich an einem Abend im Januar 2020 gehört. In der Tagesschau war damals die Rede von einem neuen Virus in China. Damals schien das noch weit weg. Aber ich hatte trotzdem schon ein mulmiges Gefühl. Ich hatte nämlich gleich die Befürchtung, dass sich das Virus weltweit ausbreiten könnte. Wir hatten diese Erfahrung bereits mit anderen Virusepidemien gemacht, zum Beispiel mit der Schweinegrippe im Jahr 2009/2010. Die hat uns schon sehr stark getroffen. Mir war deshalb klar, dass in einer globalisierten Welt Viruserkrankungen immer das Potenzial haben, sich weltweit auszubreiten.
Am Anfang war die Situation zunächst völlig unklar. Wir hatten irgendetwas, von dem keiner genau wusste, was es macht, wie gefährlich es ist oder wie es behandelt wird. Als ich dann die ersten Bilder aus Wuhan mit den drastischen Maßnahmen, die die chinesischen Behörden getroffen haben, um diese Epidemie einzudämmen, gesehen habe, als uns die ersten Bilder von Toten erreicht haben, da war mir sehr schnell klar, dass es sich dabei nicht nur um eine einfache Grippe handelt. Da rollte etwas Größeres auf uns zu.
Die Ansprache von Kanzlerin Angela Merkel, in der sie von der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg sprach, hat uns alle hier im Krankenhaus sehr beeindruckt und auch Angst gemacht. Wir haben uns damals gefühlt wie Soldaten im Schützengraben, die auf das Trommelfeuer warten.
Das war lange davor. Im Februar hier im Brüderkrankenhaus, noch vor der Heinsberg-Epidemie. Damals ist ein junger Mann mit grippeähnlichen Symptomen in die Notaufnahme gekommen. Er gab an, kurz vorher in China gewesen zu sein, ausgerechnet in der Nachbarprovinz von Wuhan. Da gingen direkt unsere Alarmglocken an. Wir haben den Mann dann sofort isoliert und den ersten Corona-Test überhaupt in Paderborn durchgeführt. Das war damals noch ein enormer Aufwand. Wir haben die Probe mit dem Taxi direkt in die Charité nach Berlin zu Professor Drosten geschickt. Zum Glück war sie negativ. Unser erster bestätigter Corona-Fall im Brüderkrankenhaus war ein älterer Mann aus einer Senioreneinrichtung. Wir haben ihn getestet und sofort auf unsere Infektionsstation verlegt. Er war dort der erste Patient. Uns war dann klar: Das Virus ist in Paderborn angekommen.
Es kamen dann in rascher Folge immer mehr Patienten. Darunter auch welche, die schwer erkrankt waren und auf die Intensivstation mussten. Das war eine große Herausforderung für den Krankenhausbetrieb. Auch in meinem privaten Umfeld gab es dann den ersten Fall. Ein guter Bekannter von mir wurde auf einmal mein Patient und musste auf der Intensivstation behandelt werden. Inzwischen hat er sich zum Glück erholt.
Wir haben rasch einen Krisenstab gebildet und direkt mit der Arbeit begonnen: Wir haben Schutzausrüstung besorgt, Infektionseinheiten eingerichtet, auf der Intensivstation zusätzliche Betten geschaffen, unsere Beatmungskapazitäten verdoppelt, Personal geschult und die Notaufnahme aufgerüstet. Das war sehr viel in sehr kurzer Zeit. Auch für die Patientinnen und Patienten und für die Besucher haben wir schon sehr früh Schutzmaßnahmen getroffen. Kontakte wurden erfasst, Besuchseinschränkungen ausgesprochen und eine Maskenpflicht für alle eingeführt.
Das waren Zwölf- bis 14-Stunden-Tage. Wir machten täglich neue Erfahrungen, die Ereignisse haben sich teilweise überschlagen. Es handelte sich um ein noch komplett unbekanntes Virus. Keiner wusste, wie es zu behandeln war, und es gab keine offiziellen Empfehlungen. Da konnten wir nur mit Schwarmintelligenz
und gebündelter Expertise gegenhalten.
Sehr große Angst sogar. Dort ist das Gesundheitssystem zum Teil komplett zusammengebrochen. Es herrschten zum Teil lazarettähnliche Zustände, die eher an Krieg erinnerten. Uns war klar: Wir müssen jetzt ganz schnell und an ganz vielen Fronten gleichzeitig handeln, um solche Zustände hier in Paderborn zu verhindern.
Wir konnten uns vorbereiten, und wir haben uns vorbereitet. Außerdem haben wir ein sehr gut ausgestattetes Gesundheitssystem: Es gibt in Deutschland deutlich mehr Krankenhausbetten, mehr Intensivplätze und auch mehr Beatmungskapazitäten als zum Beispiel in besonders schwer betroffenen Staaten wie Italien. Das Entscheidende war meiner Meinung nach aber, dass die Bevölkerung vom Sinn der getroffenen Maßnahmen überzeugt war und mitgezogen hat.
Entscheidend ist ein intaktes Immunsystem. Was kann ich dafür tun? Vor allem viel Bewegung an der frischen Luft! Auch Vitamin D kann vor Atemwegserkrankungen schützen. Wichtig ist zudem die Grippeschutzimpfung, denn wir müssen verhindern, dass uns eine mögliche zweite Corona-Welle zusammen mit der Grippewelle erreicht.
Text: Lena Reichmann | Fotos: André Loessel