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28.12.2020

Gefährliche Schwachstellen

Rund 8.600 Liter Blut fließen jeden Tag durch die Arterien und versorgen den Körper mit lebenswichtigem Sauerstoff. Schon kleinste Veränderungen in dem verzweigten System können schlimme Folgen haben. Die Gefäßchirurgen im Gemeinschaftskrankenhaus Bonn sind darauf spezialisiert, diese mit modernen Verfahren zu behandeln.

Karin Fischer blickt auf einen langen Leidensweg zurück. Heute kann sie die Mahlzeiten wieder genießen.

„Wäre ich nicht so ein lebensfroher Mensch, hätte ich das nicht überstanden“, sagt Karin Fischer mit gedämpfter Stimme. Wenn sie über ihre Krankheit spricht, wird die quirlige, sonst so unbeschwert wirkende 72-Jährige ernst. Ihr Leidensweg begann im Sommer 2018 ganz plötzlich. „Nach jeder Mahlzeit habe ich so starke Bauchschmerzen bekommen, dass ich mich gekrümmt habe“, erinnert sie sich. Daher hat sie das Essen vermieden und massiv Gewicht verloren. Es begann eine Odyssee an Arztbesuchen, zunächst konnte niemand die Ursache für die Beschwerden finden. Erst als die Rentnerin ein Jahr später in die Gefäßchirurgie im Gemeinschaftskrankenhaus Bonn kam, konnte ihr Chefarzt Dr. Jürgen Remig helfen.

„Frau Fischer leidet an Arteriosklerose“, erklärt der erfahrene Chirurg. Bei dieser Erkrankung des Gefäßsystems lagern sich Fette und Kalk in den Arterien ab, also in den Adern, die vom Herzen wegführen und die Organe mit Sauerstoff versorgen, damit diese arbeiten können.

Grundsätzlich muss man zwei Krankheitsbilder unterscheiden: Zum einen können Engpässe oder sogar Verschlüsse entstehen – so wie bei Karin Fischer. Zum anderen können sich Aussackungen, sogenannte Aneurysmen, bilden. Das ist bei Diethart Best passiert. Der 78-Jährige ist wegen einer Erweiterung der Bauschlagader im Gemeinschaftskrankenhaus behandelt worden. „Meine Bauchschlagader war sehr stark aufgebläht. Die Ärzte sagten mir, das sei lebensbedrohlich“, sagt er.

Volkskrankheit Arteriosklerose

Arteriosklerose kann im schlimmsten Fall tödlich verlaufen, sie gehört inzwischen zu den häufigsten Todesursachen in westlichen Industrienationen. Denn verkalkte Arterien können Schlaganfälle, Herzinfarkte, Erkrankungen der Herzkrankgefäße und Arterienverschlüsse in den Beinen, sogenannte Raucherbeine, auslösen. Das Risiko, zu erkranken, steigt durch Rauchen und eine fettreiche Ernährung sowie Übergewicht. Auch chronische Krankheiten wie die „Zuckerkrankheit“ (Diabetes mellitus) begünstigen Gefäßveränderungen. Diese treten meist im fortgeschritteneren Alter auf, Männer sind häufiger betroffen als Frauen. „Die Zahl der Patienten wird in Zukunft weiter zunehmen, weil die Gesellschaft immer älter wird“, prognostiziert Dr. Remig.

Die Veränderungen können im ganzen Körper vorkommen. Besonders häufig sind jedoch Stellen betroffen, an denen sich die Arterien verzweigen – zum Beispiel am Herzen, im Hals, im Gehirn, im Becken, in den Beinen oder, wie bei Karin Fischer und Diethart Best, im Bauchraum. Nicht immer treten dabei starke Symptome auf. „Ich habe nichts gespürt, keine Beeinträchtigungen, nichts“, sagt Diethart Best.

Bei Diethart Best verlief die Erkrankung fast unbemerkt, „ich habe nichts gespürt", sagt er.

Unbemerkte Gefahr

Erst als der Rechtsanwalt wegen einer Darmerkrankung bei seinem Hausarzt war, fiel auf, dass seine Bauchschlagader stark erweitert war. Die Gefäßwand war durch die Ablagerungen so geschwächt, dass sie stellenweise nachgegeben und sich ausgedehnt hatte. Eine sackförmige Ausbuchtung, in der sich das Blut sammelte, war entstanden. Ein lebensgefährlicher Zustand, denn ein solches Aneurysma kann jederzeit platzen. Für Betroffene kommt dann fast immer jede Hilfe zu spät, sie verbluten innerhalb weniger Minuten.

Bei gesunden Menschen hat die Bauchschlagader einen Durchmesser von 2 bis 2,4 Zentimetern. Sie hat im Körper jedoch viel Platz und kann sich unbemerkt ausdehnen. Ab einem Durchmesser von 5,5 Zentimetern spricht man von einer gefährlichen Erweiterung, die behandelt werden muss. „In den meisten Fällen ist ein Zufallsbefund, so wie bei Herrn Best“, sagt Dr. Remig. Erst eine Ultraschalluntersuchung macht die Ausbuchtung eindeutig sichtbar. Seit 2017 gibt es für Männer ab 65 Jahren deshalb ein sogenanntes Bauchaorten-Screening, eine Vorsorgeuntersuchung, deren Kosten die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen. So sollen die lebensgefährlichen Veränderungen frühzeitig entdeckt werden.

Langer Leidensweg

Trotz der Symptome musste Karin Fischer hingegen lange auf eine Diagnose warten. Nach fast einem Jahr und unzähligen Terminen bei verschiedenen Ärzten ging es ihr immer schlechter. „Wenn ich nur Essen gesehen habe, hat es mich geschüttelt“, erinnert sie sich. Die zierliche kleine Frau ernährte sich zeitweise nur noch von Brei und wog damals gerade einmal 38 Kilo. Verschiedene Therapien von Schmerztherapie über Physiotherapie bis hin zu traditioneller chinesischer Medizin halfen nicht. Einzig ihr Sport gab ihr Kraft. „Beim Yoga muss ich mich auf mich selbst besinnen. Das hat mir sehr geholfen, nicht die Hoffnung zu verlieren“, sagt sie.

Im Mai 2019 rief dann ihre Cousine bei ihr an. Sie hatte im Fernsehen einen Bericht über Arteriosklerose gesehen, eine Frau hatte dort über ähnliche Beschwerden geklagt. Karin Fischer wandte sich daraufhin erneut an einen Internisten und dann ging alles ganz schnell: Eine Magnetresonanztomographie (MRT) brachte den Arterienverschluss ans Licht, und die Rentnerin wurde an die Gefäßchirurgie in Bonn überwiesen.

Starke Schmerzen nach den Mahlzeiten

„Bei Frau Fischer waren Eingeweideäste der Bauchschlagader verschlossen“, erklärt Dr. Remig. „Wenn nach dem Essen Magen und Darm für die Verdauung stärker durchblutet sein müssen, dann erreicht das sauerstoffreiche Blut durch die Gefäßverschlüsse nicht den Darm. Dies führt zu starken Schmerzen nach der Mahlzeit und das Essen kann nicht verarbeitet werden“.

Häufig werden andere Ursachen hinter diesen Schmerzen vermutet. „Da eine Verkalkung der Viszeralarterien, also der Arterien im Bauch, sehr selten ist, haben Patienten oft einen langen Leidensweg hinter sich, bevor sie diagnostiziert werden und zu uns kommen. Das sind nicht selten mehrere Jahre“, erklärt Dr. Remig.

Eine Prothese entlastet

Die Stentprothese wird individuell für den Patienten ausgemessen.

Um die Erweiterungen der Bauchschlagader zu behandeln, gibt es heute zwei Möglichkeiten. In den meisten Fällen (70 bis 80 Prozent) kann minimalinvasiv eine Stentprothese (EVAR: Endo Vaskulärer Aorten Repair) von den Leistenarterien aus durch Punktion des Gefäßes eingebracht werden. Dabei wird mit einem Katheter die Stentprothese, ein Metallgeflecht, das mit einer Kunststoffumhüllung beschichtet ist, exakt unter Röntgenkontrolle unter den Nierenarterien entfaltet und mit zwei Schenkeln für die Beckenarterien verlängert.

Diese Stents müssen für jeden Patienten vor der Operation individuell am Computertomogramm präzise ausgemessen werden, damit die Prothese das Aneurysma vollständig abdichtet. Voraussetzung für diese Methode ist, dass noch ein gesunder Aortenwandanteil zur Fixierung der Stentprothese unter den Nierenarterien von mindestens 10 mm vorliegt.

Im Gemeinschaftskrankenhaus arbeiten die Gefäßchirurgen sehr eng mit den interventionellen Radiologen bei diesen Eingriffen zusammen, so dass beim EVAR-Eingriff immer zwei Experten der jeweiligen Fachdisziplinen am OP Tisch stehen, um die Eingriffe sicher mit minimaler Strahlen- und Kontrastmittelbelastung für den Patienten durchführen zu können. Mitte der 1990er-Jahre entwickelte sich die minimalinvasive neue Methode und die Gefäßtherapeuten am Gemeinschaftskrankenhaus Bonn haben seit über 1998 Erfahrung mit dieser Methode.

Komplizierte Operation

Auch bei Diethart Best setzte Dr. Remig das Verfahren ein. Doch der Eingriff war schwierig, wie der Chefarzt berichtet: „Die Aorta verläuft bei ihm nicht gerade, sondern sehr kurvig. Daher war das Vorschieben der Prothese an die korrekte Verankerungsstelle unter den Nierenarterien mühsam und beinahe hätte man auf die offene Operation wechseln müssen. Mit viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl gelang es jedoch, die Prothese langsam an die korrekte Position zu bringen.

Sollte das minimalinvasive Verfahren aus anatomischen Gründen nicht möglich sein, dann muss das Aneurysma mit einer offenen klassischen Operation ausgeschaltet werden. Hierzu wird der Bauch in der Mittellinie komplett eröffnet und die Körperschlagader durch einen Kunststoffschlauch ersetzt. Hierzu muss die Körperschlagader aus dem Blutstrom ausgeklemmt werden. Dieser große operative Eingriff ist für den Patienten deutlich belastender und daher wird, wenn immer möglich und sinnvoll, das minimalinvasive Verfahren gewählt. Für die Aortenchirurgie benötigt es versierte Gefäßchirurgen, die mit beiden OP-Möglichkeiten langjährige Erfahrung haben und eine Vielzahl von diesen Eingriffen durchgeführt haben.

Zusammenarbeit im Gefäßzentrum

Doch je betagter die Betroffenen sind, desto komplizierter ist ihre Behandlung, weil viele gravierende Vorerkrankungen mitbringen. „Es wird immer wichtiger, dass Experten verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten, um diese Menschen bestmöglich zu versorgen“, betont der Chefarzt und hebt die gute Vernetzung der Abteilungen im Herz- und Gefäßzentrum des Gemeinschaftskrankenhauses hervor. „Wir bieten in unserem Haus das gesamte Spektrum der Gefäßchirurgie an und haben dafür ein starkes Team.“ Dazu gehören auch die Kardiologie unter der Leitung von Privatdozent Dr. Luciano Pizzulli, die Radiologie, Neuroradiologie und interventionelle Radiologie unter der Leitung von Privatdozent Dr. Jochen Textor und die Diabetologie unter Dr. Markus Menzen. Gemeinsam entscheiden die Spezialisten anhand von CT-, MRT- und Ultraschallaufnahmen in der täglichen interdisziplinären Gefäßkonferenz, wie die Gefäße behandelt werden können. Viele Engstellen können mit einem Ballonkatheter bei einem minimalinvasiven Eingriff geweitet und wieder durchlässig gemacht werden. Gegebenenfalls muss auch hier ein Stent eingesetzt werden.

Wir trauern um Dr. Markus Menzen, der am 15. Dezember 2023 verstarb.

Endlich wieder Freude am Essen

Bei Karin Fischer hingegen war ein großer offener Eingriff notwendig. In einer mehrstündigen Operation haben Dr. Remig und sein leitender Oberarzt Dr. Jens Rudolph bei ihr einen Bypass angelegt. Diese Umleitung überbrückt den verschlossenen Gefäßabschnitt, sodass das Blut wieder von der Körperschlagader über den Venenbypass in die Eingeweidearterie fließen kann. Nach der aufwändigen, aber komplikationslosen Operation musste Karin Fischer fast zwei Wochen im Krankenhaus bleiben. „Bis ich wieder Appetit hatte, sind einige Wochen vergangen. Aber seitdem geht es stetig bergauf“, sagt die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen. Heute genießt sie es wieder, für die ganze Familie zu kochen, und auch ihr Gewicht hat sich inzwischen normalisiert.

Lebenslanger Begleiter

Geheilt ist die sportbegeisterte Seniorin nach der Operation jedoch nicht. „Es können immer wieder Veränderungen in Gefäßen im ganzen Körper auftreten. Eine regelmäßige Kontrolle der Gefäße ist deshalb wichtig“ und ebenso die konsequente Behandlung der Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen. Besonders wichtig seien die aktive Lebensführung und tägliche Bewegung, erklärt Dr. Remig.

Auch Diethart Best wird für den Rest seines Lebens regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen gehen. Er hat sich von seinem Eingriff schnell erholt und konnte das Krankenhaus schon wenige Tage danach wieder verlassen. „Ich habe mich gut aufgehoben gefühlt. Alle waren sehr zugewandt und haben sich viel Zeit genommen“, sagt er.

Text: Lena Reichmann    Fotos: André Loessel

 
 

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