Seit Donnerstag sind 300 Politiker*innen aus drei Parteien in 22 Arbeitsgruppen in den Koalitionsverhandlungen. Darunter auch 12 Expert*innen, die sich mit der Gesundheits- und Pflegepolitik beschäftigen. Das sich etwas ändern muss, ist klar, nur wie, ist noch offen. Strategisch günstig nahm Sat.1 eine dazu passende Sendung ins Programm auf: Bei „Herzblut-Aufgabe“ absolvieren sechs Prominente ein vierwöchiges Pflegepraktikum. Aber ist das wirklich eine Hilfe für die Pflege oder lediglich Quotenjagd?
Mein erster
Gedanke als ich den Werbespot zu „Herzblut-Aufgabe“ sah: Kann eine Sendung mit Jenny
Elvers, Patrick Lindner, Faisal Kawusi, Lilly Becker und Jorge González
überhaupt ernsthaft sein und den harten Berufsalltag von Pflegekräften in
Deutschland verdeutlichen? Oder macht Sat.1 einfach nur Jagd auf Quoten und es
endet in einer reinen Selbstinszenierung der Promis?
Vergangenen Montag,
pünktlich um 20.15 Uhr saß ich also gespannt auf dem Sofa und schaute Folge
eins: Zunächst müssen alle Prominenten einen zweitägigen Pflegekurs absolvieren
in dem sie die elementaren Grundlagen wie Blutdruck messen, Hände desinfizieren
und einen Menschen im Bett waschen lernen. Als sie an einer Puppe die
Herzdruckmassage üben, frage ich mich kurz, ob es im Krankenhaus jemals zu der
Situation kommen wird, dass ein Praktikant wiederbeleben muss. Hoffentlich war
das nicht ein düsteres Zukunftsbild auf das nächste Jahrzehnt mit Pflegenotstand.
Die anschließende Prüfung bestehen alle.
An Tag 3
beginnt ihr Praktikum, alle sind unterschiedlichen Stationen zugeteilt und werden
von ihren Mentorinnen begrüßt. (Nein, ich habe hier nicht vergessen, zu
gendern, bezeichnenderweise sind alle Frauen und stellen sich auch noch alle mit Schwester vor.) Sie haben Hoffnung, dass die
Sendung zu einem besseren Image der Pflege beiträgt. „Ich verspreche mir von
dem Projekt, dass die Leute da draußen erkennen, wie facettenreich und
verantwortungsvoll unser Beruf ist", erklärt Pflegerin Nadja, Mentorin des
Schlagersängers Patrick Lindner. „Die Idee eines Praktikums von einem
Prominenten finde ich sehr gut", sagt Wayne Carpendales Mentorin Vanessa. Als
„Schwester XY“ hätte man im Fernsehen doch nicht die gleiche Reichweite, ist
sie sich sicher.
Zumindest in
der ersten Folge erscheint mir das Gesehene aber doch etwas realitätsfern: Alle
haben Zeit für ein Schwätzchen zwischendurch, die Atmosphäre ist entspannt,
Krankenpfleger*innen und Praktikant*innen haben viel Zeit, um sich mit den
Patient*innen auszutauschen. Ich habe nun auch schon das ein oder andere Pflegepraktikum
gemacht und auch in meinem Umfeld gibt es Pflegekräfte. Von Zimmer zu Zimmer
hetzen, keine Pause und Dauerstress entsprach und entspricht eher dem Alltag.
Das sehen
auch viele Pflegekräfte so, die Kritik an dem neuen Format mehrt sich in den
Sozialen Medien:
Ich finde es
fast spannender, parallel zur Sendung die Twitter-Kommentare zu verfolgen, denn
sie bringen einem die Realität viel näher als die flackernden Bilder auf dem Fernseher, auf dem
man Jenny Elvers sieht, die festhält: „Ich habe schon oft die Krankenschwester
gespielt, mit der Realität hatte das aber wirklich null zu tun!“ Ach nein,
ehrlich?!
Wenn ich die
Kommentare so lese, muss ich irgendwie an „Ehrenpflegas“ denken. Die Serie
hatte das Bundesfamilienministerium im vergangenen Jahr veröffentlicht, um
Werbung für die neue Pflegeausbildung zu machen. In den Clips wurde der
Eindruck vermittelt, jeder könne in den Pflegeberuf reinstolpern, egal welche
Voraussetzungen er hat. Berufsverbände der Pflege zeigten sich entsetzt: Der
Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe erklärte: „Ehrenpflegas verletzt
Selbstverständnis, Ethos und Fachlichkeit der Pflegebeschäftigten.“
Ein ganz
anderes Bild – ein viel Realistischeres – zeigte das TV-Experiment des
Moderatorenduos Joko und Klaas im Mai: Zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr konnten die Zuschauer*innen eine Pflegekraft acht
Stunden lang bei ihrer Schicht
begleiten. Eine Aktion, die viel Beachtung fand – auch ich konnte mich damals
kaum vom Fernseher losreißen.
Davon wünsche
ich mir mehr, damit auch wirklich jeder versteht, dass sich etwas ändern muss.
In der Politik scheint es angekommen zu sein: So sprach der Vorsitzende der
Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek
(CSU), von einer „Humanitären Katastrophe“ und der scheidende
Gesundheitsminister Jens Spahn rief beim Deutschen Pflegetag die Pflege dazu
auf, sich zu mobilisieren. Sie säßen am längeren Hebel und müssten sich für
ihren Beruf stark machen. Wenn sie sich zusammentäte könnte sie ihre Wünsche „durchdrücken“,
gegen ihre Arbeitgeber und gegen die Politik, so der Minister.
Trotzdem
spielte die Gesundheits- und Pflegepolitik im Wahlkampf in meiner Wahrnehmung
keine große Rolle. Neben geschönten Lebensläufen und staatsanwaltlichen
Ermittlungen war ja auch nicht wirklich viel Platz für Substanzielles. Klar, wenn sie
nach ihren Plänen gefragt wurden, lautete die Antwort immer: „Mehr Pflegekräfte
und mehr Lohn.“ Das stand aber schon 2017 in den Wahlprogrammen. Allein damit
ist es nicht getan, davon abgesehen, dass noch niemand so recht weiß, wie man
das finanzieren soll.
Versprochen
wird viel, aber wenn es dann ums Eingemachte bei den Koalitionsverhandlungen
geht, kommt meist ein lauer Kompromiss heraus. In den Sondierungspapieren, auf
deren Grundlage SPD, FDP und Grüne in die Koalitionsverhandlungen starteten,
wird von einer Anwerbe-Offensive gesprochen mit deutlich besseren
Arbeitsbedingungen und Gehältern. Liest sich wirklich gut, ist aber kaum mehr
als ein Lippenbekenntnis. Pflegekräfte und Menschen, die sich für den Beruf
interessieren, erwarten mehr als das: Sie wollen eine umfassende Reform, die
den Pflegeberuf attraktiv gestaltet und den Personalbedarf nicht an
idealtypischen ökonomischen Zahlen bemisst.
Ich hoffe,
dass in den kommenden Wochen die Weichen gestellt werden für eine
zukunftsfähige Gesundheitspolitik, die neben vielen Baustellen im
Gesundheitssystem auch mehr Menschen für den Pflegeberuf begeistern kann.
Wir alle brauchen
mehr Mut - Politiker*innen und Pflegekräfte
- alles für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystems zu tun und wir brauchen
definitiv mehr Realität in unserem Bild von der Pflege!
Auszug aus den Sondierungsvereinbarungen
„In der Gesundheitspolitik wollen wir Vorsorge und Prävention zum Leitprinzip machen. Wir wollen unser Gesundheitswesen stark machen, damit es für kommende Krisen, etwa eine neue Pandemie, gut vorbereitet ist. Dafür werden wir aus den Erkenntnissen der Pandemie lernen und den Öffentlichen Gesundheitsdienst digitalisieren und stärken. Der Zugang zu guter und verlässlicher gesundheitlicher Versorgung muss überall in Deutschland, ob in der Stadt oder auf dem Land, gewährleistet sein. Das System der Fallpauschalen zur Krankenhausfinanzierung wollen wir weiterentwickeln und in Hinblick auf Sektoren wie Geburtshilfe und Notfallversorgung sowie Kinder- und Jugendmedizin anpassen. Es bedarf mehr sektorenübergreifender Kooperation und Vernetzung zwischen den verschiedenen Gesundheitseinrichtungen und -berufen. Wir wollen eine Offensive für mehr Pflegepersonal. Hochwertige Pflege gibt es nur mit gut ausgebildeten Pflegekräften, guten Arbeitsbedingungen und angemessenen Löhnen in der Pflege. Wir wollen mehr qualifizierte ausländische Pflegekräfte gewinnen und die nötigen Voraussetzungen dafür schaffen. Pflegerinnen und Pfleger sollen mehr Zeit für ihre eigentliche Tätigkeit mit den Patientinnen und Patienten haben. Das wollen wir durch Entbürokratisierung, die Nutzung digitaler Potentiale und klare bundeseinheitliche Vorgaben bei der Personalbemessung gewährleisten. Die gesetzliche und die private Kranken- und Pflegeversicherung bleiben erhalten.“