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 31.03.2020

Off-Label.

Corona verändert Alltag. Auch im Krankenhaus. Denn im Moment müssen wir alles dafür tun, die Überlastung unseres Gesundheitssystems, die in Italien oder Frankreich schon Realität ist, zu vermeiden. Noch sind wir vorbereitet. Wie das im Alltag aussieht, beschreibt dieser Blog-Beitrag.

07:30 Uhr

Es ist ein sonniger Frühlingsmorgen, als ich vom auffallend leeren Parkplatz zum Haupteingang Marienhof rüber gehe. Eigentlich ein ganz normaler Morgen. Wenn da nicht der Mann vom Sicherheitsdienst wäre: "Mitarbeiter?" - "Ja. Mitarbeiter. " Corona. Es ist jetzt gut eine Woche her, dass das Robert-Koch-Institut (RKI) das Risiko einer Infektion durch den Corona-Virus in Deutschland als "hoch" eingestuft hat. Seitdem gelten umfassende Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Und natürlich eine Vielzahl besonderer Vorkehrungen und Vorschriften, mit denen sich die Krankenhäuser in Deutschland auf Corona vorbereiten; wie ein konsequenter Besucher-Stopp und der freundliche Mann vom Sicherheitsdienst, der mich ins Haus lässt.

Off-Label. Was soviel heißt, dass wir für COVID-19 Patientinnen und Patienten noch keine zugelassenen Therapieverfahren haben.

07:45 Uhr

Ich bin mit Thomas Geltenpoth, langjähriger Pflegedirektor des Katholischen Klinikums Koblenz, verabredet. Geltenpoth macht in Sachen Pflege keiner ein X vor dem U. Aber ich spüre, dass auch bei ihm die Anspannung hoch ist. "Die Mediziner sprechen hier von "Off-Label". Was soviel heißt, dass wir für COVID-19 Patientinnen und Patienten noch keine zugelassenen Therapieverfahren haben", erklärt er mir. Ich ahne, dass das nur eine von vielen Herausforderungen ist, wenn es um das Alltagsgeschäft geht. Nämlich Pflege zu organisieren, Patienten optimal zu versorgen und gleichzeitig Mitarbeitende zu schützen. 

08:00 Uhr

Die wöchentliche Runde mit allen Pflegedienstleitungen (PDL) findet mittlerweile täglich und natürlich telefonisch statt. Social distancing auch im Krankenhaus. Die Stimmung ist bemüht gelöst. Alle versuchen, ihrer Anspannung nicht mehr Raum als eben notwendig zu geben. Erleichtert spricht man darüber, dass es weniger neue Covid-19 Patienten gibt. Aber ich spüre: jeder weiß, dass das schon morgen anders sein kann. 

Alle Koblenzer Krankenhäuser arbeiten seit Wochen eng zusammen. Die fachliche und organisatorische Zusammenarbeit klappt gut. Trotzdem höre ich zwischen den Zeilen immer wieder die Frage: "Haben wir wirklich an alles gedacht?"

Die PDL-Runde verläuft gewohnt routiniert und sehr konzentriert. Können FFP2-Masken aufbereitet werden? Sind alle Geräte in Ordnung? Wie sieht es aus mit den Schulungen für Kollegen und Kolleginnen, die bislang in anderen Fachkliniken eingesetzt wurden? Was machen die Dienstpläne am Wochenende? - Die Liste der Themen ist lang. Selbst über "Männer mit Bärten" wir gesprochen. Denn ab einer bestimmten Bartlänge sitzen die Schutzmasken nicht mehr richtig. Der ein und andere behilft sich hier mit hautverträglichem Pflaster. Doch die meisten haben sich für eine Rasur entschieden. Auch das ist Corona: scheinbar Banales kann zum Problem werden. Trotzdem entscheidet sich die Runde dafür, hier keine Anweisung auszusprechen, sondern es bei einer Empfehlung zu belassen, auch wenn Frau davon überzeugt ist, dass es dem ein oder anderen sicher gut zu Gesicht stünde.

Es tut gut, zwischendurch mal lachen zu können. Ich höre an diesem Tag viele Themen, wo das nicht mehr geht.

Im Katholischen Klinikum Koblenz Montabaur gibt es zurzeit 285 Patentient*innen. Normal sind rund 600. "Die Versorgung unserer onkologischen Patienten oder von Patienten mit Schlaganfällen und Herzinfarkten geht natürlich ganz normal weiter" erklärt mir Thomas Geltenpoth. Alle Patient*innen auf Station sind negativ getestet. Trotzdem kommt es vor, dass eine Patient*in eine Corona-Symptomatik entwickelt. Gewissheit schafft hier erst das CT. Auch damit beschäftigt sich die PDL-Runde und beschließt Maßnahmen, wie die Fehlerquote bei Tests verringert werden kann.

"Die Anspannung ist bei allen Mitarbeitenden sehr hoch" beschreibt Geltenpoth die Stimmung. "Da ist viel Adrenalin im Spiel. Doch im Moment ist es besser, wenn wir unsere Pflegekräfte, die zurzeit nicht gebraucht werden, ins Frei schicken." Ich höre seine Sorge, motivierte Mitarbeitende nicht enttäuschen zu wollen, verstehe aber, dass ihm gesunde Pflegekräfte lieber sind, als kranke in 14tägiger, häuslicher Isolation. Und dass er nicht darüber sprechen mag, dass auch seine Pflegekräfte an COVID-19 ernsthaft erkranken können. Der Schutz seiner Mitarbeitenden ist ihm genauso wichtig, wie die optimale Patientenversorgung. Er selbst wurde auch schon getestet. Negativ. Vorerst. 

Mit dem Dienstplan fürs Wochenende endet die PDL-Runde. Keiner mag sich festlegen, was am Wochenende sein wird. Bleibt es wie jetzt, dann passt die aktuelle Planung. Denn jeder Mitarbeitende, der nicht benötigt wird, ist zu Hause besser aufgehoben, als im Krankenhaus. Man kommt überein, notfalls am nächsten Morgen nachzusteuern.

08:45 Uhr

Bis zum nächsten Termin bleibt noch ein wenig Zeit. Neben der morgendlichen PDL-Runde trifft sich auch eine Task Force von Ärzten, Pflege, Hygiene zur täglichen Lagebesprechung und im Anschluss die Krankenhausleitung zur Abstimmung und Koordination mit den Behörden auf regionaler und Landesebene. Ich erfahre erst später: das einzige, was bei diesen Meetings entspannt ist, ist die Kleiderordnung.

09:00 Uhr

Task Force. Diesmal keine Telko oder Videokonferenz. Sondern ein Treffen mit großen Abständen zwischen den Teilnehmenden und weit geöffneten Fenstern, was zu einer Raumtemperatur von gefühlt 7 Grad führt. Christian Caspari, Oberarzt und Facharzt für Anästhesiologie, Notfallmedizin, Intensivmedizin, Ärztliche Leitung Notarztstandort Montabaur und Leitender Notarzt des Landkreises Mayen-Koblenz und Stadt Koblenz, fasst die aktuelle Pandemielage zusammen. Die Kurve der Neuinfektionen in Italien, die in den vergangenen Tagen leicht abflachte, zeigt wieder nach oben. Keine Anzeichen für eine Entspannung. Auch in Koblenz nicht.

Auch bei diesem Meeting wird die Frage diskutiert, wie man mit negativ getesteten Patienten umgeht, die Symptome zeigen. Die frühe Entscheidung der Ärzt*innen, hier durch ein CT Gewissheit zu schaffen, erweist sich als richtig, um diese Patent*innen rechtzeitig isolieren zu können. "Unsere Ärzte müssen im Moment viel lesen" hatte mir Thomas Geltenpoth eben noch erzählt. Alle teilnehmenden Mediziner berichten von aktuellen Studien zur Behandlung von COVID-19 Patient*innen, bevor gemeinsam die Situation im Klinikum analysiert wird. Jeden Tag werden die aktuellen Zahlen an die Landesregierung berichtet. Die hierfür entworfene Berichtssystematik haben auch andere Landkreise übernommen. 

Alle haben die Bilder aus Italien und Frankreich im Kopf. Niemand möchte, dass es soweit kommt: Entscheiden zu müssen, wer unter welchen Umständen behandelt wird und wer nicht.

Es kommt das Thema "Triagierung" zur Sprache. Die Landesregierung in Rheinland-Pfalz hat schon vor drei Wochen Regeln festgelegt, wie vorzugehen ist, wenn Behandlungskapazitäten erschöpft sind. Alle haben die Bilder aus Italien und Frankreich im Kopf. Niemand möchte, dass es soweit kommt: Entscheiden zu müssen, wer unter welchen Umständen behandelt wird und wer nicht. Es gibt seitens des Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) e.V. klare Empfehlungen. Auch der Krankenhausträger hat ethische Richtlinien erlassen. Noch ist das kein Thema. Hoffentlich wird es kein Thema. 

Frau Dr. Kappes, Chefärztin der Klinik für Innere Medizin/Pneumologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin, berichtet von einer 84-jährigen Patientin, die sich, obwohl aus medizinischer Sicht notwendig, gegen eine Beatmung entschieden hatte. Niemand hat mehr damit gerechnet, dass sie einige Tage später gut gelaunt mit ihrem Sohn, der ebenfalls als Patient auf der Isolierstation liegt, frühstücken wird. Gegen alle bisherigen Erfahrungen mit COVID-19 hat sich ihr Zustand stabilisiert und es besteht Hoffnung, dass sie wieder gesund wird. Ja, auch das ist Corona. Man weiß einfach noch viel zu wenig über diese Krankheit. "Off Label". Jeder Tag zählt.

Das Treffen der Task Force geht zu Ende. Kein Wort zu viel, aber auch keines zu wenig. Das Meeting endet mit einem kurzen Gruß, bevor alle wieder zum Telefon greifen und zügig in Richtung Stationen verschwinden. Ich bin noch ziemlich erschlagen, so dass ich vergesse zu fragen, warum es denn so kalt sein musste. Nichts gegen offene Fenster, aber die Temperaturen an diesem Freitag lagen mindestens 15 Grad unter meiner persönlichen Wohlfühltemperatur. 

09:45 Uhr

Ich begleite Thomas Geltenpoth auf die Stationen. Zunächst die Normalstation, dann auf die Isolier- und schließlich auf die Intensivstation. Auch hier spüre ich die angespannt routinierte Arbeitsweise, mit der sich die Pfleger*innen um ihre Patient*innen kümmern. "Im Klinikum sind wir gut aufgestellt" versichert mir der Stationsleiter der I1/IMC Magnus Seuser glaubwürdig und beteuert, dass er das auch sagen würde, wenn sein Chef nicht neben mir stünde. "Wir haben rechtzeitig begonnen uns vorzubereiten und auf die neue Situation einzustellen." Dazu gehöre auch, Patient*innen den Kontakt nach außen zu ermöglichen, nachdem keine Besucher*innen  mehr zugelassen sind. Was er denn von der momentanen Politik der Bundesregierung halte? Seuser überlegt kurz, antwortet dann aber sehr direkt, dass ihm das, wie auch vor Corona, zu "schwammig" sei. "Wir werden durch unsere Hausleitung sehr gut informiert und mitgenommen. Das gibt uns mehr Sicherheit, als uns Politiker vermitteln wollen" erklärt er mir stolz. - Ob er oder seine Kolleg*innen Angst haben, dass die wirtschaftlichen Folgen auch die Krankenhäuser treffen können? "Klar reden wir darüber. Aber im Moment geht es uns ausschließlich um die Versorgung unsere Patient*innen und dann verschwinden so Gedanken schnell wieder."

Im Kreißsaal spreche ich mit der leitenden Hebamme, Andrea Wener, die erkennbar unglücklich mit der "Kein Besuch" Regelung ist. "Wir bekommen sehr viele E-Mails und Anrufe. Und nicht alle Eltern haben Verständnis für unsere Entscheidung." Andrea Wener weiß darum, wie wichtig es gerade jetzt ist, andere Patient*innen und ihre Kolleg*innen zu schützen. Eine Infektionsquelle mehr im Haus erhöht das Risiko, dass das Virus auch an Patient*innen oder über Mitarbeitende übertragen wird. "Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es hier keine Alternativen", meint Thomas Geltenpoth. "Der Schutz der Mitarbeitenden muss hier Vorrang haben, damit wir im Falle einer weiteren Zunahme von COVID-19 Patienten handlungsfähig bleiben".
Ich stelle mir vor, wie wohl werdende Eltern reagieren, wenn sie im Nachhinein als Kontaktpersonen in häusliche Quarantäne müssen. Nur weil im Krankenhaus nicht alles dafür getan wurde, sie zu schützen.

11:00 Uhr

Diesmal per Skype. Ich hab den Überblick über die Namen für Task Forces, Krisen-Teams, Lenkungs- und Steuerungsgruppen verloren. Anhand der Teilnehmer erkenne ich, dass die Krankenhausleitung zusammengekommen ist. Das Thema "Besuchsregelung" spielt auch hier eine Rolle. Und Fragen, die das Zusammenspiel der verschiedenen Krankenhäuser mit der Stadt, mit den niedergelassenen Ärzten und Rettungsdiensten betreffen. Alle "fahren auf Sicht". Niemand weiß, wie sich die Situation am nächsten Tag entwickeln wird. Die Zahlen lassen auch in Koblenz keinen Trend nach unten erkennen. Aber man ist, so gut es heute möglich ist, vorbereitet. Nach der Konferenz kommt Thomas Geltenpoth dazu, sich um Aufgaben zu kümmern, die mal nichts mit Corona zu tun haben. Ich ahne aber, dass er dafür den Kopf nicht wirklich frei hat. 

12:00 Uhr

Alle „fahren auf Sicht“. Niemand weiß, wie sich die Situation am nächsten Tag entwickeln wird.

Ich fahre rüber ins Brüderhaus in mein Büro. Nachdenklich, aber auch sehr beeindruckt. Über die Routine, die hohe Konzentration und Professionalität, mit der sich alle Mitarbeitenden der Pandemie stellen. Gewiss: "Krankenhaus" können wir. Aber noch niemand hat erfahren, wie "Krankenhaus" zu Corona-Zeiten geht. - Später gehe ich beruhigt ins Wochenende. Niemand weiß so genau, was wird. Aber ich weiß, dass alles getan wird, um die Versorgung von Patient*innen sicherzustellen und eine weitere Ausbreitung des Virus zu vermeiden. Und ich hoffe, dass sich weiterhin alle an die ungewohnten Alltagsregeln halten: zu Hause bleiben, Kontakte vermeiden und dadurch beitragen, dass unser Gesundheitssystem weiter handlungsfähig bleibt.

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