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Ute Emig-Lange29.04.2020

„Manche der COVID-19-Kranken müssen wir gehen lassen“

Raphael Gerlach ist Intensivpfleger im Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim. Der Alltag dort ist während der Corona-Pandemie für alle eine besondere Herausforderung.

Raphael Gerlach vor der Schleuse, in der die Pflegenden und Ärzte ihre Schutzausrüstung anlegen, bevor sie das Patientenzimmer auf der Intensivstation betreten.
Raphael Gerlach vor der Schleuse, in der die Pflegenden und Ärzte ihre Schutzausrüstung anlegen, bevor sie das Patientenzimmer auf der Intensivstation betreten.

Am meisten ist Raphael Gerlach aus den letzten Tagen der ältere Mann in Erinnerung geblieben, der es ablehnte, sich an ein Beatmungsgerät anschließen zu lassen. "Wir haben ihm gesagt, dass er sterben wird, wenn wir ihn nicht ins Koma versetzen und beatmen können. Er war vollkommen klar und orientiert und hat für sich entschieden, dass er das nicht will." Auch in der Patientenverfügung hatte er das so festgelegt. "Wir haben dann seine Ehefrau informiert, die ihn noch einmal besuchen durfte, um sich von ihm zu verabschieden. Am Abend haben wir ihm etwas Morphium gegeben, damit er keine Schmerzen hat, und dann, kurze Zeit später, ist er in Frieden gestorben." Wenn der große breitschultrige Intensivkrankenpfleger das erzählt, senkt er den Blick. "Wir haben seinen Willen respektiert. Solche Patienten müssen wir dann gehen lassen."  

Pflegen auf Abstand funktioniert nicht

Raphael Gerlach arbeitet als stellvertretende pflegerische Leitung auf der Intensivstation Z2 im Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim und versorgt zusammen mit einem Team aus Ärztinnen und Ärzten, Intensivkrankenschwestern und Intensivkrankenpflegern schwerkranke beatmungspflichtige Patienten, bei denen die Infektion mit dem Sars-CoV-2-Virus einen besonders schweren Verlauf genommen hat. Jeden Tag ist er in unmittelbarer Nähe zu COVID-19-Patienten, ein Mindestabstand von zwei Metern ist hier unmöglich, Pflegen auf Abstand funktioniert nicht. 

"Die Station mit insgesamt 14 Plätzen war zwischendurch fast komplett mit COVID-19-Patienten belegt - eine logistische und organisatorische Herausforderung gerade für uns als Leitung", sagt Raphael Gerlach, der gemeinsam mit seinem Kollegen Jochen Hoffmann die pflegerische Leitung inne hat. "Die Beatmungsgeräte, die Beatmungsschläuche, das ganze Zubehör, die Medikamente, Infusionen  und die Schutzausrüstung mit Schutzkittel, Handschuhen, Haube und Schutzvisier müssen immer ausreichend auf der Station vorhanden sein - der Verbrauch ist so hoch wie sonst nie in so kurzer Zeit." 

Gut versorgt mit Material

Bisher gab es noch keinen Mangel. "Die Zusammenarbeit mit unserer Materialwirtschaft läuft hervorragend, die Kollegen dort haben uns immer gut mit Material versorgt, auch am Wochenende sind sie für uns erreichbar und bringen Nachschub. Wir haben bisher noch keinen Tag erlebt, an dem wir ins Leere gegriffen haben."      

Das An- und Ablegen der Schutzkleidung läuft inzwischen routiniert, die Handgriffe sitzen ohne Nachzudenken. Dennoch dauert es etwa zwei Minuten bis die komplette Schutzausrüstung angezogen ist. "Manchmal sieht man durch das Fenster, wie sich der Zustand eines Patienten verschlechtert und man möchte eigentlich sofort ins Zimmer laufen, um zu helfen, aber der Selbstschutz geht vor - auch und gerade in diesen Situationen." Angst sich selbst anzustecken hat Raphael Gerlach nicht, aber Respekt vor dem hochkontagiösen Virus. "Wenn man weiß, dass und wie man sich schützen kann, fühlt man sich recht sicher. Bei der Mund- und Nasenpflege des Patienten und beim Absaugen des Lungensekrets sowie bei der Intubation muss man allerdings sehr sorgfältig und vorsichtig sein, da ist man angespannt", räumt er ein. 

Wenn man zweieinhalb Stunden unter Schutzkittel und Maske arbeitet, fühlt sich das an wie in der Sauna.

Einige der Patienten, die auf die Intensivstation kommen, scheinen anfangs oft asymptomatisch und die Atemnot scheint gar nicht so schlimm zu sein. "Aber die Patienten haben eine so niedrige Sauerstoffsättigung und die Lunge ist schon so geschädigt, dass der Sauerstoffaustausch mit dem Blut nicht mehr richtig funktioniert. Dann verschlechtert sich der Zustand innerhalb weniger Stunden manchmal so dramatisch, dass wir die Patienten beatmen müssen." Dann werden die Patienten zunächst in Narkose versetzt, damit die Ärzte den Beatmungsschlauch einführen können. Zugänge werden gelegt für die Infusionen, ein Blasenkatheter, eine Magensonde oft folgt noch ein EKG und ein Ultraschall - "Wenn man zweieinhalb Stunden unter Schutzkittel und Maske arbeitet, fühlt sich das an wie in der Sauna. Das Atmen unter der Maske ist anstrengend und macht auf Dauer müde."

Zusammenhalt im Team

Insgesamt habe man zurzeit deutlich mehr Beatmungspatienten als zu Normalzeiten - eine hohe Belastung für alle im Team. Inzwischen habe sich ein toller Zusammenhalt entwickelt. "Jeder hilft jedem, auch die Anästhesiepflege aus dem OP, und die Funktionspflege aus der Endoskopie hilft aus." Und das sei auch notwendig. "In der Krise gibt es niemanden in der Pflege, der nicht versucht, alles möglich zu machen. Keiner lässt sein Team oder die Patienten im Stich", betont Gerlach. 

Pflege ist ein toller Beruf, er muss attraktiver werden, damit wieder mehr junge Menschen in die Pflege gehen.

Dass es in der jetzigen Notsituation eine so große Anstrengung braucht, um Personal in kurzer Zeit anzulernen und Material zu besorgen, sei auch eine Folge der jahrelangen Sparpolitik im Gesundheitswesen. "Der von der Politik vorgegebene Sparkurs der vergangenen Jahre hat zur Unterbesetzung in der Pflege geführt, wir müssen in kürzerer Zeit immer mehr schwerkranke Patienten versorgen." Daher müsse sich langfristig die Situation in der Pflege verbessern, Applaus auf dem Balkon genüge nicht. "Ich fürchte, dass sonst einige den Beruf enttäuscht aufgeben. Pflege ist ein toller Beruf, er muss attraktiver werden, damit wieder mehr junge Menschen in die Pflege gehen." 

Für ihn selbst ist ein Ausstieg aus der Pflege keine Option. "Ich wollte nie am Band arbeiten", sagt der dreifache Familienvater. Auch seine Frau arbeitet in der Pflege, als Anästhesiekrankenschwester im Krankenhaus Tauberbischofsheim. Obwohl er jeden Tag sieht, wie schwer die COVID-19-Erkrankungen verlaufen können, hofft Raphael Gerlach auf baldige Normalität. "Dass die Kinder wieder in die Schule gehen können und man mit Nachbarn und Freunden wieder ein Bierchen trinken kann."

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