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Impulse

Impulse zu unterschiedlichen Zeiten des Jahres - in der Fastenzeit, an Pfingsten - sind gedacht als Alltagsunterbrecher, die unaufdringlich einen Bezug herstellen möchten zu den spirituellen Wurzeln unseres Auftrages: Denn neben Gesundheit und Pflege gehört auch die Nahrung für die Seele dazu, wenn man will, dass es dem Menschen gut geht.

Fastenzeit

Fastenzeit

Während der Fastenzeit wird an dieser Stelle an jedem Mittwoch ein neuer Impuls veröffentlicht. Die Texte sind als Begleitung durch die Zeit von Aschermittwoch bis Ostern gedacht und folgen in jedem Jahr einer Frage oder einem roten Faden.

Impulstexte 2023

Überblick: 7 Impulse für 7 Wochen Fastenzeit

Unsere Impulse zur Fastenzeit sollen Sie auch in diesem Jahr in der Zeit vor Ostern begleiten. Als Denkanstoß oder Gelegenheit kurz den Alltag zu unterbrechen.

Der erste Impuls könnte so etwas wie eine Grundidee für die Fastenzeit sein: Es geht um den Perspektivwechsel. Was das mit Wasser zu tun hat, kann man mit einem Gedanken des amerikanischen Schriftstellers David Foster Wallace nachverfolgen.

Die Frage, wie Konflikte überwunden werden können, beschäftigt ja nicht nur die Friedens- und Konfliktforschung. Sie ist eine Alltagsfrage, mit der wahrscheinlich die meisten Menschen in ihrem Leben zu tun bekommen. Was das mit „Erdbebendiplomatie“ zu tun hat, erläutert der zweite Impuls zur Fastenzeit.

Auch wenn das Wort „Verzagen“ heute nicht mehr ganz so gebräuchlich ist – was es meint, kennen viele Menschen. Offensichtlich war es den Initiatoren wichtig genug, um die Fastenaktion der evangelischen Kirche in diesem Jahr unter dieses Leitwort zu stellen: „Sieben Wochen ohne Verzagtheit“. Die Bibel ruft dazu auf: „Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“ (Joh 14,27) Was hilft gegen Verzagtheit? Mit dem dritten Impuls laden wir Sie ein, nach ermutigenden Spuren zu suchen.

Auf die Frage, wie eine Gesellschaft sein soll, gibt es unzählige Antworten. Die meisten gehen in die Richtung: lebenswert, gerecht, sicher, friedlich. Und hungern und frieren darf auch niemand. Und unzählige Menschen arbeiten daran, dass das stückchenweise verwirklicht werden kann. Seltener ist die Antwort: Schön soll sie sein. Aber auch das gehört zum Menschen, dass er Schönes erleben und erfahren soll und selbst schön sein darf und will. Auch das Schöne ist notwendig. Diesem Gedanken geht unser vierter Impuls nach.

Was passt besser zusammen als Poesie und Liebe? Aber wenn die Vernunft dann auch noch ins Spiel kommen soll, wird es kompliziert. Mit Bernhard von Clairvaux geht der fünfte Impuls einem Bild und einem Gedanken nach, dem das alles zu gelingen scheint – der Ausgleich von Liebe und Vernunft, und das auch noch mit einer poetischen Idee.

Bitte sagen, danke sagen – uns kam es manchmal so vor, als wäre das der Hauptbestandteil unser Erziehung. Für alles und jedes musste man sich bedanken. Und das hat genervt. „Was sagt man da?“ „Danke!“ Gleichzeitig ist das gar nicht so banal – vielmehr geht es um eine Form des Daseins in der Welt und mit anderen Menschen. Dankbarkeit ordnet uns ganz gut in diese Welt ein. Wir laden Sie ein, dieser Spur mit dem sechsten Impuls nachzugehen und wünsche Ihnen eine Woche mit guten Gelegenheiten zum Danken.

Schöne Bilder hat es allemal gegeben, als der englische König auf Staatsbesuch in Deutschland war. Ganz die feine englische Art. Und dann das Staatsbankett beim Bundespräsidenten - mit Frack für die Herren und feinen Abendkleidern für die Damen. Filmreif. Es war eine handverlesene Gesellschaft, die da versammelt war. Zugehörigkeit zu den feinsten Kreisen war Voraussetzung. Glücklicherweise gibt es auch das andere: Das fraglose und selbstverständliche Willkommen für die, die Heimat suchen – und Würde. Das passt gut zu Ostern und bestimmt unseren letzten Fastenzeitimpuls.

1. Das ist Wasser! Perspektivwechsel

Nimm an, es gäbe etwas außerhalb deiner eigenen Sichtweise.

„Na Jungs, wie ist das Wasser?“ Zwei junge Fische schwimmen zusammen in eine Richtung, als ihnen ein älterer Fisch begegnet. Er nickt ihnen zu und fragt: „Na Jungs, wie ist das Wasser?“ Die beiden jungen Fische schwimmen weiter. Nach einer kleinen Weile dreht sich der eine zum andern um und fragt: „Was um alles in der Welt ist Wasser?“

Mit der Geschichte eröffnet der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace eine Rede für Uni-Absolventen. Die Rede ist später ziemlich berühmt geworden.

Denn es geht ja gar nicht um die zwei Fische, sondern um das Leben im Großen und Ganzen. Wir alle, sagt Foster Wallace, sind ja in derselben Situation: Wir alle sind so stark in unserer eigenen Welt, unseren eigenen Erfahrungen, Anschauungen und Urteilen verhaftet, dass wir nicht einmal wahrnehmen, dass es sich hier um unsere eigene „Blase“, unsere eigene, um uns selbst gebaute Welt handelt.

Foster Wallace nennt das die „Werkseinstellung“ eines jeden Menschen. Und die besagt, dass ich das absolute Zentrum des Universums bin, die wirklichste, lebendigste und wichtigste Person, die es gibt. Wenn wir einmal genau darüber nachdenken, gibt es ja wirklich keine Erfahrung in unserem Leben, in der wir nicht der absolute Mittelpunkt sind.

Es geht dann um den Weg, den jeder Mensch im Leben zurücklegt. Menschen haben eine Wahl. Sie können jede Situation wenigstens versuchsweise und mit ein bisschen Anstrengung aus einer anderen Perspektive sehen. Sie können sich dafür entscheiden und wählen, dass es eine andere Perspektive als die jeweils eigene geben kann.

„Das ist Wasser. Das ist Wasser.“ Das ist die einfache Schlussfolgerung von Foster Wallace. Und das heißt: Nimm an, es gäbe etwas außerhalb deiner eigenen Sichtweise. Nimm an, du bewegst dich in einer Welt, die voller unterschiedlicher Perspektiven und Wahrnehmungen ist. Und versuche mal zu denken, dass deine Welt nicht die ganze Welt ist. Daraus kann ein größeres und tieferes Verstehen der Welt und der Menschen folgen, im Idealfall sogar Dialog und Verständigung. Damit kann ich auch in der Fastenzeit unterwegs sein, die heute mit dem Aschermittwoch beginnt – oder auch in meinem ganzen Leben.

Dr. Peter-Felix Ruelius

2. Erdbebendiplomatie

Aber die Herausforderungen sind es ja auch, vor denen die Menschen gemeinsam stehen.

Zwischen den Nachbarländern Türkei und Griechenland herrscht diplomatische Eiszeit. Schon seit Längerem. Die Ursachen sind vielfältig, die Wurzeln der Konflikte reichen weit zurück. Ein Tiefpunkt der Beziehungen war im letzten Herbst erreicht. Gesprächsverweigerung. Raue Worte auf beiden Seiten.

Die entsetzliche Tragödie des Erdbebens vor einem Monat hat etwas geändert. Selbstverständlich kommt auch Katastrophenhilfe aus Griechenland. In so einer Situation lässt man den Nachbarn nicht allein. In der Not rückt man zusammen. Und auf einmal können Helfer aus Griechenland und aus der Türkei gemeinsam arbeiten, um Menschen zu retten, Tote zu bergen, behelfsmäßige Unterkünfte zu bauen und die Überlebenden zu versorgen. In den allermeisten Fällen ohne politische Absichten. Gott sei Dank.

Das Wort von der „Erdbebendiplomatie“ macht dennoch die Runde. Es meint, dass dieses Erdbeben in seinem ganzen Schrecken etwas bewirkt hat, was Diplomatie und Politik nicht hinbekommen haben. Verständigung auf das Notwendige. Auf das, was die schlimmste Not abwenden kann. Auf einmal spricht man miteinander.

Im Alltag des Zusammenlebens ist das ja nicht unbekannt. In Familien, Organisationen, in Gemeinden streitet man, teilweise erbittert und lange. Aber wenn es drauf ankommt, kann man das vergessen oder in den Hintergrund schieben. Dann packt man an und hilft, wo Not ist. Der amerikanische Schriftsteller Henry James hat einmal gesagt: Drei Dinge sind im Leben eines Menschen wichtig: Erstens: Menschlichkeit, zweitens: Menschlichkeit, drittens: Menschlichkeit. Das ist einfach. Ohne „Erdbebendiplomatie“.

Leider sind alte, lang trainierte Muster von Konflikt und Streit mächtig. Aber die Herausforderungen sind es ja auch, vor denen die Menschen gemeinsam stehen. Und so muss die Arbeit des Friedens, die Arbeit an einer geschwisterlichen Welt, immer wieder von neuem beginnen. Sie beginnt, wo Menschen die guten Geschichten miteinander teilen, die Geschichten von der gemeinsam bestandenen Not, von der gemeinsam erbrachten Hilfe. Hin und wieder, zu selten, gelingt das auch ohne Erdbeben.

Dr. Peter-Felix Ruelius

3. Verzagen?

Es gibt mehr als genug Gründe, nicht zu verzagen, auch wenn die Welt es einem nicht immer leicht macht.

Manche Erlebnisse aus der Kindheit bleiben präsent, auch wenn man schon lange erwachsen ist. So auch dieses: Der kleine Junge, der ich damals war, steht an einem schönen Sommertag im Freibad. Unter den Blicken der Eltern, der Brüder. Obwohl: Über den Blicken wäre richtiger, denn der Kleine steht auf dem Sprungturm. Für den Freischwimmer fehlt noch der Sprung vom Drei-Meter-Brett. Und keine Ermutigung hilft, auch nicht der Wink mit der Belohnung durch ein großes Eis. Es geht einfach nicht. Verzagt steht er oben, verzagt bleibt er – und tritt für dieses Mal einfach den Rückzug an. Es wird nichts. Später schon. Da ist er dann kaum mehr zu bremsen. Aber die Premiere misslingt.

„Leuchten – sieben Wochen ohne Verzagtheit“: So heißt die Überschrift über der diesjährigen Fastenaktion der Evangelischen Kirche. Verzagtheit – in meinem aktiven Wortschatz fehlt das Wort fast ganz. Aber das Gefühl kenne ich. Verzagt: Vor größeren Aufgaben oder Entscheidungen. Wenn ich nicht weiß, wie ich etwas anfangen soll und wie es ausgehen wird. Vor wichtigen oder unbequemen Gesprächen. Verzagtheit, so lese ich, ist verbunden mit der Vorstellung von seelischer Müdigkeit, Mutlosigkeit und Handlungsunfähigkeit. Ein ganz schön großes Paket.

Sieben Wochen ohne Verzagtheit: Braucht es dafür ein Trainingsprogramm? Ich glaube, das ist sogar ein Lebensprogramm – und ich finde darin auch Schritte, die mir selbst hilfreich waren und sind. In der aktuellen Woche der Fastenaktion zum Beispiel. Die steht unter der Überschrift: „Was mich trägt“. Das hilft ganz oft: realistisch auf das schauen, was zu bewältigen ist und auf den Boden, der mich trägt. Ganz oft kann ich mir dann sagen: Dies und das hast du in deinem Leben schon geschafft, ohne zu scheitern, dann wird dir auch das Neue gelingen. Beim Sprungturm half, als es dann endlich gelang, noch etwas anderes: Ein Kind nach dem anderen springt vom Drei-Meter-Brett: und alle kommen wieder heil aus dem Becken.
Und haben dabei noch gute Laune! Dann wird’s bei dir auch klappen.

Es gibt mehr als genug Gründe, nicht zu verzagen, auch wenn die Welt es einem nicht immer leicht macht „Sieben Wochen ohne Verzagtheit“– eine gute Gelegenheit, aktiv nach ihnen zu suchen.

Dr. Peter-Felix Ruelius

4. Schönheit vermehren

Dem Alltag Glanz geben – und staunen, was das alles bewirken kann.

„Wenn die Augen schön – ist alles schön.“ Ibtissam erklärt gerade die Besonderheiten von arabischem Make-Up. Die Reportage im SWR „Schönheit für alle“ lässt sie zu Wort kommen. Die Sendung beschreibt einen ungewöhnlichen Schönheitssalon. Er liegt in einem ärmeren Stadtteil von Leipzig. Und so wird das Angebot auch gut angenommen, denn die Kundinnen beteiligen sich an den Kosten des Projekts nur durch eine freiwillige Spende. Die Schönheitsexpertinnen und -experten kommen aus vielen Teilen der Welt. Alle haben Flucht- oder Migrationsgeschichten hinter sich. Ibtissam hatte vor ihrer Flucht nach Deutschland einen Friseursalon in Libyen.

„Wenn die Augen schön – ist alles schön“. Eine Frau lässt sich die Augenbrauen zupfen und ist fasziniert von der Technik, mit der das gemacht wird. Neue Farbe möchte eine andere für ihre Haare haben. Für die Frauen und den Mann, die hier als Schönheitsexpertinnen und -experte arbeiten, ist das hier mehr als ein Job. Das Projekt gibt ihnen Selbstwertgefühl. Sie wollen, dass aus ihrer Heimat nicht nur Bilder von Krieg und Zerstörung transportiert werden, sondern auch das Schöne. „Spread more beauty“ – heißt das Projekt. Schönheit vermehren. Die Atmosphäre macht gesprächig – und so gelingen auch Begegnungen, in denen die Frauen im Salon etwas erzählen können: von Vorurteilen und Ausgrenzung, von der Flucht über das Mittelmeer, von den Versuchen, anzukommen in Deutschland. Und auch die Kundinnen erzählen – von ihren Sorgen und von ihrer Scheu vor „den Fremden“. Und dann entsteht auf einmal Offenheit – und Schönheit.

Mir gefällt die Idee, denn sie spürt in den schweren Themen von Flucht und Migration die andere Seite auf. Schönheit. Das Gute, das Menschen einander tun, ist zwar immer zuerst das Notwendige. Die Werke der Barmherzigkeit, die in der Bibel stehen, sichern die Existenz: Nahrung, Kleidung, Obdach, Pflege. Man könnte ja auch einmal hinzufügen: Schönheit vermehren. Die Schönheit hervorbringen, die in jedem Menschen ist. Dem Alltag Glanz geben – und staunen, was das alles bewirken kann. Gutes tun – Schönheit vermehren. Das passt zusammen.

Dr. Peter-Felix Ruelius

5. Vernünftig lieben?

Zuerst anfüllen und dann ausgießen.

Wahrscheinlich werden die Menschen bis an ihr Ende nicht damit fertig werden, über die Liebe nachzudenken. Zur Liebe gehört auf jeden Fall das richtige Verhältnis von Geben und Nehmen, von Empfangen und Schenken. Paartherapeut:innen wissen ein Lied davon zu singen, wieviel Arbeit das sein kann. Aber nicht nur im persönlichen Beziehungsleben geht es um das richtige Maß von Empfangen und Geben – viele Berufe haben dieses Thema auf ihrer inneren Agenda. Soziale Berufe auf jeden Fall, auch der Pflegeberuf oder der Lehrer:innenberuf.

Vor rund 900 Jahren lebte Bernhard von Clairvaux, Gründer des Zisterzienserordens. In der BBT-Gruppe gibt es sogar eine ganz eigene Beziehung zu ihm: die Gründung des Schönfelderhofs ist sehr eng mit Bernhard verbunden. Unter seinen vielen Schriften ist auch eine Reihe von Predigten überliefert, die er über das Hohelied gehalten hat, über einen Text der Bibel, der sehr poetisch von der Liebe spricht. Überraschend: Schon vor 900 Jahren hat Bernhard von Clairvaux im Blick gehabt, dass es ungesund sein könnte, wenn das Verhältnis von Geben und Nehmen nicht stimmt.

In einem Fortbildungskurs für Seelsorger:innen ist mir dieser Text begegnet – und ich möchte ihn einfach weitergeben, weil er auch nach rund 900 Jahren noch etwas zu sagen hat über das Lieben, über das Geben und Empfangen – und dafür ein schönes Bild anbietet:

„Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale, nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt
und weitergibt, während jene wartet, bis sie gefüllt ist. Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter.

Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen, und habe nicht den Wunsch, freigiebiger als Gott zu sein. Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss.

Du tue das Gleiche! Zuerst anfüllen und dann ausgießen. Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen. Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst. Wenn du nämlich mit dir selbst schlecht umgehst, wem bist du dann gut? Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle; wenn nicht, schone dich.“

Dr. Peter-Felix Ruelius

6. Undank – der Welt Lohn?

Dank ist die Währung, die Würde verleiht.

Da geht jemand in den Ruhestand. Nach mehr als dreißig Jahren im selben Unternehmen. Da hat sich viel angesammelt an Erfahrung, an Erinnerungen, an guten und weniger guten. Viele wichtige Lebensjahre waren es. Der letzte Arbeitstag: Noch einmal ein kurzes Gespräch mit dem Chef, ein Händedruck: Das war’s. Und dann geht er nach Hause, freut sich zwar auf den neuen Lebensabschnitt, aber ganz zufrieden ist er nicht. Es fehlt die Würdigung. „Was erwartest du?“ fragt ein Freund, als er von seinem Abschied aus dem Unternehmen erzählt. „Undank ist der Welt Lohn“. Was für eine Bilanz.

Erfahrung und Sprichwort: Undank ist der Welt Lohn. Es gibt ein altes Märchen. Das erzählt von einem Bäckergesellen, der die Semmeln aus Sicht seines Meisters immer zu groß macht. Der Meister hätte sie gerne immer etwas kleiner. Der Geselle ist bei allen beliebt und das Geschäft seines Meisters kommt voran, vor allem durch ihn, den Gesellen. Irgendwann sagt der Meister: „Ich bin der Meister – und vor der Tür ist dein“ – also muss er auf Wanderschaft. Unterwegs trifft er nacheinander einen Esel, einen Hund, eine Katze und einen Hahn – und alle erzählen ihm von den Erfahrungen, die sie gemacht haben. Das Fazit von allen: „Undank ist der Welt Lohn.“ Ist das der Reim, den man sich auf die Welt machen muss?

Klar: Immer wieder gibt es das, dass Arbeit nicht gewürdigt und einzelne Leistung nicht anerkannt wird. Dass der Dank ausbleibt, den man für sein Tun erwartet. Für das Selbstverständliche braucht man sich doch nicht zu bedanken. Und es kann auch einfache Gedankenlosigkeit sein, die den Dank untergehen lässt.

Man kann das umkehren. Die Psychologie weiß das ja schon längst, wie wichtig die erfahrene Würdigung für Menschen ist. Und für das eigene Leben gilt: „Je mehr man dankt, desto mehr bekommt man zum Danken“ – so sagt es einmal der Gründer der Kaiserswerther Diakonie, Theodor Fliedner. Und er entdeckt in seinem Leben immer mehr, wofür er danken kann.

Dank ist mehr als eine Alltagsfloskel. Es ist die Aufmerksamkeit für den Menschen, dem ich begegne. Dank ist die Währung, die Würde verleiht. Man sollte einen Trend draus machen.

Dr. Peter-Felix Ruelius

7. Am Tisch sitzen

Wo wir am Tisch sitzen dürfen, gehören wir hin. Wir sind willkommen und akzeptiert.

Sie sind immer mal wieder in Mode – englische Filme und Serien aus den „guten alten Zeiten“, als es noch Adelsfamilien auf ihren Landsitzen gab. Etikette und Stil: Damals wusste man noch, was korrekt war – ein feines Netz von Regeln und Konventionen lag über allem. Zum Beispiel: Wer darf sitzen, wer darf stehen? Wann darf man Platz nehmen und wann muss man sich erheben? Der Adel hat das gelernt und trainiert. Und auch die Untergebenen haben es gelernt – Regelverletzungen darf es nicht geben. Und in Anwesenheit der Herrschaft ist eines klar: Die Herrschaft nimmt Platz, Dienstboten und andere Untergebene stehen. So einfach verdeutlicht man Rang und Distanz.

Der frühere Vorsitzende der SPD, Franz Müntefering, erzählt einmal von seiner Mutter: Wie sie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein sehr deutliches Zeichen setzt, das sich dem Jungen einprägt: Immer wieder stehen Kriegsversehrte vor der Tür, Invaliden ohne richtige Arbeit, „Hausierer“, die sich mit dem Verkauf von Nadeln oder Garn oder Kleinkram, den man im Haushalt brauchen kann, schlecht und recht über Wasser halten. Sie bekommen kein Geld – aber die Mutter bittet sie immer herein und setzt sie an den Küchentisch. Da bekommen sie dann ein Brot oder einen Teller Suppe. Warum sie das tut und den Männern nicht einfach etwas zu essen an die Tür bringt? Ganz einfach, sagt sie: Man zwingt Menschen nicht, im Stehen zu essen. Und Müntefering zieht daraus das Fazit: „Du akzeptierst den Menschen, der
am Tisch essen darf.“

Wenn am Gründonnerstag Abendmahl gefeiert wird, wenn im Judentum das Pessach-Mahl gehalten wird, wenn wir uns in der Familie zum Ostermahl treffen, dann rückt eine ganz einfache, aber fundamentale Wahrheit in den Blick – die mitten in den Glauben hineingehört. Wo wir am Tisch sitzen dürfen, gehören wir hin. Wir sind willkommen und akzeptiert. Und wo immer wir andere an unseren Tisch einladen, geben wir ihnen Ansehen und Würde.

Am Ende dürfen wir, so sagt es die Bibel, Platz nehmen beim himmlischen Festmahl. Die Bibel wählt das Bild nicht zufällig. Bei Gott, so verstehe ich das, sind wir zuhause. Angesehen und voller Würde. Da gehören wir hin. Endgültig.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Impulstexte 2022

Überblick: 7 Impulse für 7 Wochen Fastenzeit

Auch in diesem Jahr sollen unsere Impulse die Fastenzeit unaufdringlich begleiten und Ihnen den einen oder anderen Denkanstoß geben.

Viele Menschen nutzen die Wochen bis zum Osterfest, um etwas Ruhe zu finden, ihr Leben ein wenig zu sortieren oder Spuren nachzugehen, die einem guten und erfüllten Leben dienen. Dass in dieser Zeit und in diesen Tagen große Fragen das Gewohnte in Frage stellen und die Sehnsucht nach einem Leben in Frieden und Sicherheit sich in den Vordergrund schiebt, ist sicher für viele Menschen auch ein Anlass, ihre innere Ausrichtung zu prüfen und zu unterscheiden, was wichtig und was unwichtig ist. Wie Lebenshilfe und ein gutes Zusammenleben aussehen kann, beschreibt unser erster Impuls.

Wie bewundernswert sind Geduld und Beharrlichkeit – wenn es um die großen Dinge und auch, wenn es um die kleinen Dinge geht. Wie bewundernswert, wenn Menschen immer und immer wieder zu Verhandlungen bereit sind, auch wenn die Fortschritte nur minimal sind. Frustration ist oft vorprogrammiert. Und dann: Noch einmal anfangen. Wieder und wieder.  Alltäglicher und kleiner ist die Münze unseres  zweiten Fastenzeitimpulses , aber auch damit kann man ja anfangen – und übt damit eine Haltung ein, die an keiner Stelle und zu keiner Zeit des Lebens überflüssig ist. Also: Dranbleiben.

Das Altern: das ist für viele fast eine Kränkung, auch eine Kränkung der Gesellschaft, die sich gerne jung, kraftvoll und leistungsfähig sieht. Eine wertvolle Spur des Älterwerdens ist in unserem dritten Impuls angedeutet. Sie heißt Altersmilde. Unabhängig vom tatsächlichen Lebensalter kann man etwas von dieser Haltung einüben. Wird dadurch die Welt besser? Ausprobieren kann man es immerhin.

Mit dem sonnigen Frühjahrswetter beginnt auch die Zeit, in der wir wieder deutlicher merken, wie wertvoll das Wasser ist: Nur wenn ausreichend Wasser im Boden ist, können Pflanzen wachsen, die uns nähren oder die uns einfach froh machen. Der jährliche Tag des Wassers will daran erinnern, wie wichtig diese Lebensgrundlage ist - und der vierte Impuls lädt zu einer bewussten Wahrnehmung dieses Elements ein.

In unserem Alltag kann vieles grün sein. Eine Sache kennen die meisten von uns wahrscheinlich noch aus ihrer Kindheit: grünen Wackelpudding. Wir laden Sie mit dem fünften Impuls zu einer kleinen Erkundungsreise ins Grüne ein. Und damit zu einer Spurensuche, die sich durch das Grün anregen lassen darf.

Das Aufwachen am Morgen – wir erleben es als selbstverständlich. Ein Abendlied, uralt und weit bekannt, bringt einen zum Nachdenken und zu einem kleinen Staunen über diese Selbstverständlichkeit. Dankbar am Morgen da sein: mit dem sechsten Impuls laden wir Sie ein, für einen Moment das Selbstverständliche als Gabe zu verstehen.

Oft merkt man erst viel später und mit großem Abstand, dass ein bestimmter Moment der Beginn von etwas Großem war, dass etwas Spektakuläres geschehen ist – obwohl der Moment selbst doch nichts Besonderes war und unbemerkt blieb. Was das mit Ostern zu tun hat, darum geht es in unserem letzten Fastenzeitimpuls.

1. Leben retten – Geschichten erzählen

Wenn ganz viele Menschen gute Geschichten erzählen, dann entsteht ein ganzes Netz von wirksamer Unterstützung.

1-800-273-8255: Ein ziemlich ungewöhnlicher Titel für einen Hip-Hop-Song. Sucht man unter diesem Titel bei YouTube, dann landet man bei einem Video des amerikanischen Rappers Logic. Song und Video sind rund fünf Jahre alt. Aktuell ist der Song noch einmal Gegenstand einer wissenschaftlichen Studie.

1-800-273-8255: Das ist die Telefonnummer der amerikanischen Suizid-Präventionshotline. Sie spielt die entscheidende Rolle in dem Video. Ein schwarzer homosexueller Junge erfährt rund um sein Coming-out nichts als Verletzung und Ablehnung: durch seine eigene Familie, die Familie seines Freundes, in der Schule. Seine Welt bricht zusammen. Sein Leben ist am Tiefpunkt. „It feel like my life ain’t mine.“ – „Es fühlt sich an, als ob das Leben nicht mehr meins ist.“ Das Video erzählt von der Wende, von Unterstützung, erzählt von dem Weg zurück zu Lebensmut und zu der Idee von Sinn und Leichtigkeit.

Die Studie dazu sagt: In der Zeit, in der das Video am meisten geklickt wurde und die größte Medienöffentlichkeit hatte, ging die Zahl der Anrufe bei der Hotline um rund 10.000 in die Höhe. Die Zahl der Suizide in den USA lag in dieser Zeit um rund 5 Prozent niedriger als statistisch erwartet. Und in den Kommentaren unter dem YouTube-Video liest man Geschichten zu den Zahlen. Von Menschen, die wieder zurückgefunden haben ins Leben. Die von dem Video berührt waren und sich daran festhalten konnten. Manche sagen sogar, es habe sie gerettet. Es ist tatsächlich so, dass Berichte und Geschichten von positiv überstandenen Lebenskrisen immer dazu beitragen, dass andere Menschen mit Suizidwünschen ihre eigene Krise überwinden können.

Gleichzeitig hat es noch eine andere Seite: Wenn ich weiß, dass die guten Geschichten – die Geschichten von überwundenen Krisen, von Rettendem und Hilfe – so eine Wirkung haben, warum erzähle ich sie dann nicht viel mehr, als ich es tue? Ich stelle mir vor: Wenn ganz viele Menschen genau diese Geschichten erzählen, dann entsteht ein ganzes Netz von wirksamer Unterstützung. Dann entsteht wirksam Hilfe zum Leben.

In der Fastenzeit geht es immer auch um meine Mitmenschen, um Lebenshilfe und gutes Zusammenleben. Ein Vorsatz für die Fastenzeit? Die guten Geschichten erzählen. Was sonst?

Dr. Peter-Felix Ruelius

2. Dranbleiben!

Dinge noch einmal probieren – ohne Verkrampfen darauf vertrauen,
dass etwas gelingen wird.

Auf der rechten Straßenseite seitlich einparken. Rückwärts natürlich. Königsdisziplin der Fahrschule. Manche üben daran ein Leben lang. Andere sind aus ihrer Fahrschulzeit so traumatisiert, dass sie diese Herausforderung sowieso meiden.

Ich bin auf dem Heimweg nach einem Termin und habe es nicht eilig. Das Fahrschulauto vor mir wird langsamer, hält, und dann muss der Fahrschüler genau diese Übung machen. Rückwärts seitlich auf der rechten Seite einparken. Weil die Straße etwas eng ist, muss ich warten und kann nicht vorbeifahren. Ich bleibe mit gutem Abstand stehen, so als ob da vorne ein scheues Tier auf der Straße stünde. Und irgendwie ist das ja auch. Der Arme quält sich: zwei, drei Anläufe – und dann bleibt das Auto stehen. Schräg und überhaupt nicht in der Parklücke. Blockade!

Und ich kann mich so gut einfühlen. Die eigenen Fahrschul-Erfahrungen liegen schon Jahrzehnte zurück. Aber den Moment, an dem dann gar nichts mehr geht und man nicht mehr weiß, wo denn nun rechts und links ist – an den kann ich mich noch zu gut erinnern.

Und doch hilft nichts als das: Nochmal anfangen. Es noch einmal probieren. Beim nächsten Mal kann es  besser klappen. Üben! Das ist meine Erfahrung bei vielen Dingen, die ich irgendwann neu angefangen  oder gelernt habe. Nicht beim ersten misslungenen Versuch aufgeben. Irgendwann hat der Kopf die Abmessungen  des Autos kapiert und kann das auch in die richtigen Bewegungen am Lenkrad umsetzen.  Irgendwann funktioniert eine schwierige Stelle in einem Musikstück. Irgendwann sitzen die richtigen  Bewegungen beim Skifahren.

Die Fastenaktion der evangelischen Kirche steht in diesem Jahr unter der Überschrift „Üben! Sieben Wochen ohne Stillstand“ – und das Wort dieser Aktion zum heutigen Tag ist ein sehr ermutigendes Bibelwort: „Der Gerechte fällt siebenmal und steht wieder auf.“ Vielleicht ist das eine entscheidende Lebensbewegung: Dranbleiben. Dinge noch einmal probieren – ohne Verkrampfen darauf vertrauen, dass etwas gelingen wird. Mir selbst den zweiten und dritten und vierten Versuch erlauben. Mir selbst – und anderen auch.

Dr. Peter-Felix Ruelius

3. Altersmilde

Die Lebenserfahrung zeigt, dass es viele Situationen im Leben gibt, in denen ich nicht Recht hatte, in denen es berechtigte andere Blickwinkel und Perspektiven gab.

Zeit zum Aufräumen: Auch das ist die Fastenzeit. Vielleicht folgt das nur einer Grundstimmung, die zur Jahreszeit passt, vielleicht ist es aber auch ein Einschwingen in den Atem vieler Religionen, die solche Zeiten kennen. Dann wird aus dem äußeren Aufräumen auch ein inneres.

Eine Studie aus Cambridge hat vor fünf Jahren einen bemerkenswerten Zusammenhang angedeutet: Die Strukturen des Gehirns, die sich im Alter verändern, sorgen auch für eine Veränderung des Charakters. So könne es durchaus sein, dass Menschen im Alter in ihren Urteilen milder, in ihrem Mitfühlen aufmerksamer werden. Dann wären wir fein raus – und bräuchten nur noch auf ein gewisses Alter zu warten, bis sich unser Charakter selber aufräumt. Leider sagt die Studie nicht, ab welchem Alter man mit diesem schönen Ergebnis rechnen darf.

Allerdings gibt es eine Spur, der man auch folgen kann, wenn man sich noch jung fühlt. Ich nenne sie Altersmilde.

Altersmilde: Da ist die schöne Anekdote, die Marie Luise Kaschnitz von einem Besuch beim Augenarzt erzählt. Auf die Frage, warum sie trotz ihrer Kurzsichtigkeit keine Brille trage, sagt sie: „Mir gefällt das, die Welt impressionistisch, ich bin auch eitel und nun schon daran gewöhnt. Wenn ich keine Brille aufhabe, sind die Menschen schöner, sie altern nicht, sie haben keine Krankheiten.“ Wenn die Welt also ein bisschen unschärfer wird, kann das wohltuend sein. Dann regt mich nicht mehr jede Kleinigkeit auf, die nicht so ganz stimmt. Altersmilde kann aber auch noch einen anderen Grund haben: Die Lebenserfahrung zeigt, dass es viele Situationen im Leben gibt, in denen ich nicht Recht hatte, in denen es berechtigte andere Blickwinkel und Perspektiven gab. Die Urteile über die Menschen und die Welt werden allmählich behutsamer, ausgewogener, angereichert durch die Erkenntnis, dass ich nicht immer die beste Instanz bin, um die Welt zu verstehen und einzuordnen.

Altersmilde: Vielleicht kommt sie irgendwann von selbst; vielleicht kann ich wenigstens ein bisschen davon schon vorwegnehmen, auch in dieser Fastenzeit: Den manchmal bewusst ungenauen Blick und die Güte, die aus vielen bedachten Erfahrungen besteht.

Dr. Peter-Felix Ruelius

4. Wasser – Leben

Was ist die Quelle, die mein Leben ermöglicht?

Mein eindrücklichstes Wasser-Erlebnis liegt mehr als zwanzig Jahre zurück. Im Urlaub in Wales brechen wir zu einer Wanderung auf. Das Auto steht auf einem Parkplatz an einem kleinen Fluss. Das Wetter ist freundlich und nicht zu warm. Die Strecke zieht sich allerdings, und für einige Zeit verlieren wir auch etwas die Orientierung. Der Wasservorrat im Rucksack ist bescheiden und bald aufgebraucht. Und es wird wider Erwarten ziemlich warm. Durst macht den Menschen fertig. So auch uns. Im Auto liegt zwar für jeden noch eine Flasche Wasser – aber das ist noch weit weg. Endlich der erlösende Augenblick: Am Parkplatz angekommen ist das mittlerweile gut aufgewärmte Wasser kostbar und erfrischend, wie ich es weder vorher noch nachher erlebt habe. Und dann: mit den Beinen im Wasser stehend muss ich mich mit Wasser aus dem Fluss überschütten und fühlte mich unglaublich glücklich und erleichtert. Eine Idee von Erlösung.

Nachdenken über Wasser: Der 22. März ist der Internationale Tag des Wassers, dieses Jahr zum dreißigsten Mal. Er steht in Verbindung mit den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung. Eines der Ziele: Möglichst allen Menschen Zugang zu hygienisch einwandfreiem Trinkwasser zu ermöglichen. Das ist notwendig, denn immer noch fehlt rund 2,2 Milliarden Menschen diese Lebensgrundlage.

Auch weil die Bibel in einem Umfeld geschrieben wurde, in dem Wasser ein knappes Gut war, ist das Wasser dort meistens mit Segen und Heil verbunden: „Auf, alle Durstigen, kommt zum Wasser! Die ihr kein Geld habt, kommt, kauft Getreide und esst, kommt und kauft ohne Geld und ohne Bezahlung Wein und Milch!“ Die Einladung aus dem Buch Jesaja ist für Menschen aller Zeiten aktuell. Nur wo Wasser ist, kann Leben sein, kann auch Getreide wachsen und alles, was wir zum Leben brauchen. Kein Wunder, dass allen Religionen Wasser und Quellen heilig sind, weil sie aus der Tiefe kommen, klar und lebensspendend emporsprudeln und alles Leben ermöglichen.

Nachdenken über Wasser – ich kann bewusst in den Blick nehmen: Was ist die Quelle, die mein Leben ermöglicht? Ganz einfach und wörtlich verstanden und auch im übertragenen Sinn.

Dr. Peter-Felix Ruelius

5. Ich sehe grün!

Die Hoffnung trägt Grün.

Vielleicht kann man sich das heute gar nicht mehr vorstellen – eine Welt, die nur aus gedeckten Farben besteht. Vor allem zwischen Herbst und Frühjahr. Heute können wir es bunt haben, wann immer wir das wollen.

Vor rund zweihundertfünfzig Jahren war das anders: Da hatte das Auge wenig Reize und die Welt war optisch doch einigermaßen langweilig. Vor allem für Kleidung, für Wände und Teppiche nahm man damals Naturfarben. Und die waren meistens stumpf, dunkelten nach oder bleichten aus. Ocker, gedämpftes Blau und Violett, viele bräunliche Töne. Sollte es leuchtend sein, wurde es teuer oder sogar unbezahlbar. Farbpigmente waren teilweise zermahlene Edelsteine, und die konnte sich wirklich fast niemand leisten.

Dann kam der Apotheker Carl Wilhelm Scheele und erfand eine Verbindung von Kupfersalz mit Arsen, die wurde der Renner. „Scheeles Grün“ wurde später leicht verändert und als Schweinfurter Grün vermarktet. Die Modefarbe des 19. Jahrhunderts! So ein leuchtendes Grün hat man noch nicht gesehen. Jeder will es haben. Die Wände sollen grün werden und Kunstblumen werden damit gefärbt. Tapeten kann man damit bedrucken. In der Mode schafft es das Schweinfurter Grün bis auf die Ballkleider der Kaiserin Eugenie von Frankreich. Jetzt hat man ein leuchtendes Grün auch für die Wintermonate.

Die Sehnsucht nach dem leuchtenden Grün: Ist das nur eine Marotte des 19. Jahrhunderts? Vielleicht steckt mehr dahinter. Bis heute leben Menschen auf, wenn es in der Natur wieder so richtig grün wird. Das Auge hat Sehnsucht nach dem Licht, Sehnsucht nach den längeren Tagen, Sehnsucht nach dem alles umgebenden Grün. Denn wir verbinden mit dem Grün Leben, Gesundheit, den Beginn des ewigen Zyklus von Werden und Neubeginn. Auch in diesem Frühjahr. Die Hoffnung trägt Grün.

Was so natürlich auf der Hand liegt, kann ich ja auch ein bisschen trainieren: Wenn ich einmal wieder so richtig grün sehe, wenn mein Blick hängen bleibt an einem Baum mit ganz jungem Laub oder auch an einer wunderbar grünen Landschaft, dann kann ich mich selbst nach der Hoffnung befragen, die mich gerade trägt, die der grüne Untergrund meines Lebens ist.

Dr. Peter-Felix Ruelius

6. Morgen früh, wenn Gott will

Ich wache am Morgen auf und erlebe diesen selbstverständlichen Moment der Rückkehr in das Bewusstsein, der dann doch nicht so selbstverständlich ist.

Ein Besuch bei den Patenkindern. Das Abendritual steht fest. Erstmal das Sandmännchen um zehn vor sieben – und dann Zähneputzen und ins Bett. Noch einmal schauen Eltern und Kinder auf den Tag zurück, sagen, was schön war und auch, was vielleicht nicht so gut war. Ein Abendgebet. Dann wird gemeinsam gesungen. Jeden Tag dasselbe Lied: Guten Abend, gut‘ Nacht. 

Das uralte Lied. Mit Rosen bedacht. Mit Näglein besteckt. Heute weiß ich, dass die Rosen das schützende Dach symbolisieren sollen, und dass die Näglein keine Nägel sind, sondern Gewürznelken, die wurden schon immer als Heilmittel und Schutz gegen Krankheiten angesehen. Und ich bleibe wieder an einer Liedzeile hängen: Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt. „Wir singen es anders“, sagt die Mutter: „Morgen früh, weil Gott will, wirst du wieder geweckt.“ Ganz zufrieden bin ich auch damit nicht. Diese Textzeile ist keine Kleinigkeit. Es könnte ja sein, dass Gott einmal nicht will. Dass ich am Morgen nicht mehr geweckt werde. Bisher war es zwar immer so. Bisher konnte ich jeden Morgen aufwachen. Jeden Tag in allen Jahren meines Lebens. Gott sei Dank. Selbstverständlich? 

Tatsächlich ist es ja so: In jeder Nacht begebe ich mich in die Zeit, in der ich nichts tun kann. Ich verlasse mich darauf, dass ich sicher bin, wenn ich schlafe. Morgens bekomme ich mich wieder zurück. Ich kann wieder handeln und gestalten. Kann auch auf mich aufpassen, so gut es geht. Ich wache am Morgen auf und erlebe diesen selbstverständlichen Moment der Rückkehr in das Bewusstsein, der dann doch nicht so selbstverständlich ist. Ein Tag ist mir geschenkt. Alle Planungen, alle Termine und alle Verabredungen stehen unter diesem Vorbehalt, dass ich immer wieder einen neuen Tag beginnen kann. „In scha’a llah“ – So Gott will, heißt es auf arabisch und steht im dortigen Kulturraum ausgesprochen oder unausgesprochen hinter jeder Planung. Das Bewusstsein, dass jede Zeit in Gottes Händen steht, ist kulturübergreifend. 

Heute früh, weil Gott will, bin ich wach. Ich beginne den Tag in diesem Vertrauen. Für einen Moment bewusst, und mit einem kleinen dankbaren Staunen. 

Dr. Peter-Felix Ruelius

7. Und niemand kriegt es mit…

Erst langsam beginnt der Glaube an den Auferstandenen, wird erzählt, erklärt, gedeutet, verkündet.

Die Schallmauer: In der Geschichte der Luftfahrt war das für längere Zeit eine offensichtlich undurch­dringliche Grenze. Bis einer kam, der das Gegenteil bewiesen hat. Natürlich nicht er allein, sondern eine ganze Reihe von Ingenieuren, aber im Flugzeug selbst saß 1947 Chuck Yeager, er steuerte als erster Mensch ein Flugzeug durch die Schallmauer und brach alle bis dahin bestehenden Geschwindigkeits­rekorde. Es war für ihn ein magischer Moment – und gleichzeitig ernüchternd. Später schreibt der Pilot, er hatte erwartet, dass er da irgendeinen Ruck spürt oder dass irgendetwas Besonderes passiert. Tatsächlich war der Augenblick selbst unspektakulär, nur ablesbar auf den Instrumenten.

„Sternstunden der Menschheit“ hat der Schriftsteller Stefan Zweig ein Buch betitelt, in dem er Momente aus der Weltgeschichte betrachtet, bei denen in einem winzigen Augenblick eine ganze Entwicklung komprimiert ist, wie die Elektrizität in der Spitze eines Blitzableiters. Bemerkenswert an diesen Momenten ist, dass sie oft für die Beteiligten selbst und auch für andere gar nichts Besonderes sind, dass sie erst viel später und oft erst mit großem Abstand richtig kapiert werden. Der erste Flug durch die Schallmauer hat solche Sternstundenqualitäten: ein bedeutender Schritt, der aber nicht mit Knall und Feuerwerk daherkommt, sondern erst einmal ohne Spektakel.

Ostern: die Sternstunde der Menschheit schlechthin? Aus meiner Sicht passt das. Die undurchdringliche Schallmauer des Lebens wird durchbrochen. Einer überwindet den Tod. Einer bezeugt: Das Leben endet nicht hier. Das bleibt erst einmal unbemerkt auf der ganzen Welt. Die läuft weiter wie bisher. Die bildlichen Osterdarstellungen sind ja nur Versuche, das Spektakuläre einzufangen. Krachende Felsen, gleißendes Licht. In Wahrheit hat niemand was mitbekommen. Erst langsam beginnt der Glaube an den Auferstandenen, wird erzählt, erklärt, gedeutet, verkündet. Manchmal wird auch ein bisschen was davon verstanden.

Aber es gilt: die Schallmauer ist durchbrochen. Wenigstens einmal. Damit es möglich ist und möglich bleibt für jede und jeden. Von mir aus im Flüsterton gesagt: Es ist Ostern.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Impulstexte 2021

Überblick: 7 Impulse für 7 Wochen Fastenzeit

Die Impulse zur Fastenzeit sollen auch in diesem Jahr einmal wöchentlich als kleine Unterbrechung des Alltags dienen. Als kurze Auszeit, um einen Gedanken wahrzunehmen, aufzunehmen, der Sie ein kleines Stück Ihres Weges begleiten kann.

Weil das vom Wortsinn her einfach auf der Hand liegt und weil uns dieser Begriff ja so vertraut geworden ist, gibt Ihnen der erste Impuls einige Gedanken zur Quarantäne mit – in der Hoffnung, dass das Ziel dieser anderen Quarantäne Ihnen nicht aus den Augen gerät.

Der zweite Impuls greift die Fastenaktion der evangelischen Kirche auf, die schon seit vielen Jahren unter der Überschrift „Sieben Wochen ohne“ steht. Sie folgt in diesem Jahr dem Leitwort „Spielraum!“ und lädt ein, in der Zeit bis Ostern einmal auf alle Blockaden zu verzichten, die den eigenen Spielraum einschränken. 

Unser Gehör leistet täglich viel: Jede Menge Geräusche, Klänge, Stimmen, vielleicht Musik nehmen wir durch unsere Ohren auf. Das Hören erlaubt uns, dass wir uns in dieser Welt orientieren. Einen großen Teil unserer Lebenswelt erkennen wir durch das Hören. Zum Welttag des Hörens bietet Ihnen unser dritter Impuls einige Gedanken dazu und lädt Sie ein, einmal bewusster als sonst auf Ihr Hören zu achten und vielleicht auch auf die Zwischentöne des Lebens.

Das Erleben von guten Orten, drinnen oder draußen, kann man nicht unbedingt planen. Derzeit entdecken viele für sich erneut oder erstmals Orte in der Natur, die sie zum Bleiben, zum Rasten einladen. Kein Wunder, denn das Spazierengehen oder Wandern in der näheren Umgebung hat Hochkonjunktur. Über das wohltuende Erleben guter Orte spricht der vierte Impuls.

Zum Thema Fastenzeit und Freiheit kann man eine ganze Menge sagen – Fasten kann immer ermöglichen, freier zu werden von einer ganzen Reihe von Angewohnheiten, Lasten, Hindernissen auf dem Lebensweg. Die Arbeit an inneren Einstellungen, Vorurteilen, Meinungen kann dabei anstrengender sein als der Verzicht auf Schokolade. Einen relativ einfachen Weg, um auszuprobieren, wie man sein inneres Meinungsgebäude mal etwas auf den Prüfstand stellen kann, zeigt unser fünfter Impuls.

Im Allgemeinen wissen wir ganz gut, auf welche Fähigkeiten wir uns in unserem Leben verlassen können; wir haben uns im Gewohnten ganz gut eingerichtet. Manchmal, beim einen öfter, beim anderen seltener, blitzt aber etwas auf, was wir uns bisher noch nicht getraut haben oder was wir noch nie so gemacht haben. Die erste Frage kann dann sein: Traue ich mir das zu? Die zweite: Traue ich mich das? Ganz oft vergessen wir über dem gewohnten Tun, dem vertrauten Alltag, diesen Blick auf das, was auch noch möglich wäre. Unser sechster Impuls lädt dazu ein, dem ungewohnten Blick auf die eigenen Möglichkeiten ruhig einmal mit Sympathie oder sogar mit einer konkreten Idee zu folgen.

In den letzten Monaten haben wir uns an eine ganze Menge gewöhnt. Das Zusammenkommen über Online-Konferenzen war wahrscheinlich für einen Großteil der Menschen der am deutlichsten spürbare Wechsel in ihrer Arbeitswelt. Die ganze Welt auf dem Laptop. Was die Frage aufwirft: Was sind eigentlich wirkliche Begegnungen, oder wirkliche Erfahrungen, wirklicher Unterricht, wirkliche Unterhaltungen, wirkliches Leben?  Mit dem siebten und letzten Impuls laden wir Sie ein, Ihr Wirklichkeitsverständnis österlich aufzufrischen.

1. Die andere Quarantäne

Mit dem Aschermittwoch fängt eine Quarantäne an. Eine heilende für den Menschen und seine Seele.

Ach, mal wieder eine Quarantäne-Meldung; fast wie jeden Morgen. Und das ganz ohne  Pandemie-Bezug! Eine kurze Mitteilung, dass eine E-Mail in die Quarantäne verschoben  wurde. Eine wirksame Schutzmaßnahme. Ohne Gefahr für Rechner und Netzwerk kann ich  kontrollieren, ob sich Gefährliches in der Quarantäne befindet.

Wir haben seit einem Jahr gelernt, dass Quarantäne auch ganz anders zu erleben ist. Als Isolation  von Menschen, angeordnet von Behörden, verhängt durch Gesundheitsämter. Für eine  Zeit abgeschnitten von der Welt. Zum Glück dauert diese Quarantäne nicht so lange wie es der  Name nahelegt. Übersetzt man nämlich den französischen Begriff, dann meint die Quarantäne  ja einen Zeitraum von vierzig Tagen. Seit rund siebenhundert Jahren kennt man das vor allem  aus der Seefahrt. Als in Europa die Pest wütete, ließ man Schiffe und Waren erst einmal vierzig  Tage in sicherer Distanz vor den Häfen, bis man sicher sein konnte, dass kein Kranker an Bord  war. Mythologie oder uraltes Erfahrungswissen? Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.  Nach vierzig Tagen, so die Überzeugung, war man auf der sicheren Seite.

Religiös hat die Zahl vierzig ja nun auch eine ganze Menge zu bieten. Der Aschermittwoch  erinnert daran, denn die vierzigtägige Fastenzeit vor Ostern beginnt heute. Vierzig Tage  wandert Elija durch die Wüste, vierzig Tage fastet Jesus in der Wüste, und ganze vierzig Jahre  dauert der Wüstenweg des Volkes Israel.

Vierzig Tage – damit ist immer eine Zeit gemeint, in der etwas passiert, in der sich etwas  entwickelt und nach der etwas Neues zum Vorschein kommt. Vierzig Tage erfordern Geduld.  Offensichtlich haben Menschen die Erfahrung gemacht, dass diese Zeit ein Maß ist, das  richtig ist – zum Neu-Werden, zur inneren Reinigung oder zur Heilung.

Aber ganz entscheidend ist: Jede Quarantäne hat ein Ende. Nach vierzig Tagen ist das Ziel  erreicht. Neues ist geworden. Das Fasten endet und es beginnt das Fest. 

Mit dem Aschermittwoch fängt eine Quarantäne an. Eine gute, hoffentlich. Eine heilende für  den Menschen und seine Seele. Und eine, die ein Ziel hat: Das Leben wird sich zum Guten  wenden. Diese Hoffnung trägt.

Dr. Peter-Felix Ruelius

2. Lebensspiel

Auch wenn wir in begrenzten Zeiten leben, gibt es Spielräume, Freiräume.

Da hat es mir einen Stich ins Herz gegeben: Als vor rund einem Jahr das öffentliche Leben  mehr oder weniger zum Erliegen kam, bin ich am Spielplatz in unserem Ort vorbeigegangen.  Am Eingang: rot-weißes Flatterband, wie bei einer Polizeiabsperrung; dazu ein großes Warnschild.  „Dieser Spielpatz ist gesperrt.“ Für jeden sind andere Bilder zum Symbol geworden  für das letzte Jahr – mir hat sich der abgeriegelte Spielplatz besonders eingeprägt. 

Spielen, auch das gemeinsame Spielen von Kindern, gehört zum Menschsein, ist nicht nur  eine nette Zutat des Lebens. Im Spiel entdeckt der Mensch die Wirklichkeit, eignet sie sich  an, kann ausprobieren und verwerfen, kann erfinden, kann träumen, kann Fantasiewelten  erschaffen und sie gemeinsam mit anderen bewohnen. Wenn Menschen spielen dürfen,  vertreiben sie sich nicht nur die Zeit, sondern füllen sie mit gutem Leben.

Die Fastenaktion der evangelischen Kirche heißt in diesem Jahr: „Spielraum! Sieben Wochen  ohne Blockaden“ – und sie ermutigt dazu, die Spielräume, die wir haben, zu erkunden, zu  entdecken, oder sie zu erobern; vielleicht auch auszuweiten. Ein Leitgedanke dabei: Auch  wenn wir in begrenzten Zeiten leben, gibt es Spielräume, Freiräume.

In der Bibel gibt es einen besonderen Hinweis auf das Spiel. Im Buch der Sprichwörter  kommt in einer langen Rede die Weisheit zu Wort. Und sie sagt von sich, dass sie schon immer  Gottes Wirken begleitet hat, dass sie bei jedem Werk der Schöpfung dabei war. „Ich war  seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund, und  meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.“ (Spr 8, 30 -31) Wenn man diesem Bild  folgt, dann entsteht die Welt mit und aus dem Spiel der Weisheit. Ein faszinierendes Bild.

Vielleicht gelingt in der Fastenzeit etwas Spielerisches, vielleicht kann man sich das vornehmen:  Im eigenen Leben Spielräume zu entdecken; Räume, die nicht von Absicht und Ziel,  von Anstrengung und Plänen bestimmt sind, sondern von der Freiheit des Spiels. Damit das  Menschsein nicht verloren geht.

Dr. Peter-Felix Ruelius

3. Hören – Lebenssinn

Tatsächlich ist das Hören vielleicht der wesentlichste Zugang zur Welt, der Sinn, der uns das Leben erschließt, uns mit der Sprache vertraut macht und mit allen Klängen.

Heute, am 3. März, ist der Welttag des Hörens. Er findet jährlich als Aktionstag statt, der zur Förderung der Hörgesundheit beitragen soll. Vor zwei Jahren stand der Tag einmal unter dem Motto: „Hören: Der Sinn deines Lebens!“ Damit ist gemeint: Das Hören ist viel mehr als der Empfang von Schallwellen – es ermöglicht mein Leben. Tatsächlich ist das Hören vielleicht der wesentlichste Zugang zur Welt, der Sinn, der uns das Leben erschließt, uns mit der Sprache vertraut macht und mit allen Klängen. Rund 400.000 unterschiedliche Töne soll der Mensch verarbeiten können. Unser Ohr können wir, anders als das Auge, nicht verschließen; es ist ständig bereit, so dass glücklicherweise Wecker in der Regel ihren Zweck gut erfüllen können. Hören heißt Teilhabe – Sprache und Klang sind der wesentliche Teil unserer sozialen Umwelt. 

Unsere Ohren sind zwar Wunderwerke, aber gleichzeitig erfassen sie nur einen Ausschnitt der Welt. Der extremste Künstler im Klang-Sortieren soll übrigens der Frosch sein: der hört angeblich nur die Laute anderer Frösche seiner Art. Was ihn nichts angeht, hört er nicht: beneidenswert. Wir Menschen hören im Idealfall alles zwischen einer Frequenz von 20 Hertz bis zu 20 Kilohertz. Wale und Fledermäuse hören Frequenzen bis 100 Kilohertz – was wir als Ultraschall bezeichnen. In unserer Welt gibt es Signale, Töne, Wellen und Frequenzen, zu denen wir keinen Zugang haben. Jedenfalls nicht mit unseren Sinnen. 

In der Bibel wird überliefert, dass Gott im Traum dem König Salomo erschien und ihn aufforderte, eine Bitte zu äußern. Und er bat nicht um Reichtum, Macht und Ruhm, sondern um „ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht.“ (1 Kön 3,9). Das Bild eines hörenden Herzens ist der Ausdruck dafür, dass man Entscheidendes nicht nur mit den beiden Ohren wahrnimmt, die man am Kopf trägt, sondern dass man dafür noch mehr braucht. Die Bibel nennt es das Herz, das Zwischentöne, Untertöne und so vieles mehr hört, damit daraus ein Verstehen wird. „Hören: Der Sinn deines Lebens“! Wenn man anfängt, auch mit dem Herzen zu hören, hat man die Chance, dass man tatsächlich dem Leben auf die Spur kommt.

Dr. Peter-Felix Ruelius

4. Achtsam hinaus ins Weite

Ich weiß, dass es Orte gibt, an denen mir gelingt, was ich im Alltag oft vergesse: präsent zu sein, alltägliche Gedanken, Fragen und Sorgen wenigstens für eine Weile zurückzulassen.

Es gibt immer wieder Orte, an denen ich mich besonders wohlfühle. An denen ich gerne bin,  zu denen es mich hinzieht. In der näheren Umgebung ist das eine Bank an einer Weggabelung  im Wald. Mit einem großartigen Blick in ein schönes Tal. In der Rhön, dem Mittelgebirge  in Osthessen, gibt es auch einen für mich besonderen Berg, an dem ich oft war, als ich  dort in der Nähe wohnte. Stundenlang kann ich an solchen Orten sitzen. Nachdenken,  in die Weite schauen. Und wieder nach Hause fahren. Habe ich dann etwas erlebt? Etwas  Besonderes gespürt? Keine Ahnung. Aber gut tut mir das schon, solche Orte aufzusuchen  und dort eine Weile zu bleiben. Und ich merke, wie schwer das manchmal fällt und wie  lange es dauern kann, an einem Ort einfach nur da zu sein, nicht zu sprechen, nichts zu  lesen, nichts zu tun. Einfach nur da sein. Zu erleben, wie das Gedankenkarussell langsam,  ganz langsam zur Ruhe kommt und die Gedanken sich sortieren.

Manche Menschen sprechen von Kraftorten. Ich weiß davon zu wenig. Aber ich weiß, dass  es Orte gibt, an denen mir gelingt, was ich im Alltag oft vergesse: präsent zu sein, alltägliche  Gedanken, Fragen und Sorgen wenigstens für eine Weile zurückzulassen. Körper und Geist  sind im Einklang. Solche Orte suchen oder wieder aufsuchen – das kann in der Fastenzeit  auch eine gute Übung sein.

Mit einem eher modernen Wort könnte man bei diesen Erfahrungen auch von Achtsamkeit  sprechen. Einer der wichtigen Vordenker der Achtsamkeit, Jon Kabat-Zinn, spricht solchen  Erfahrungen und bewusst eingeübten Unterbrechungen eine verändernde Kraft zu. Er sagt:  „Frieden beginnt damit, dass jeder von uns sich jeden Tag um seinen Körper und seinen  Geist kümmert.“ Das klingt auf den ersten Blick wenig anspruchsvoll, sehr einfach. Ich  mache die Erfahrung, dass es stimmt. Dass die bewusst gesuchte und erlebte Ruhe an guten  Orten mich friedvoller macht, mich aus mancher Verbissenheit und Unruhe herausholt. In  solchen Momenten gelingt es mir auch manchmal, mit dem Psalm zu beten: „Gott, du führst  mich ins Weite. Du stellst mich auf Höhen und machst meine Finsternis hell“ (Ps 18).

Dr. Peter-Felix Ruelius

5. Meinungsaustausch – oder: Interessant!

So ein innerer Meinungsaustausch ist nicht so einfach, aber er ist wirkungsvoll.

Meinungsaustausch – ganz harmlos und landläufig sieht das so aus: Menschen treffen  einander, sitzen zusammen, unterhalten sich über eine Frage und sagen mehr oder weniger  offen, was sie denken. Am Ende, wenn alles gut geht, hat jede und jeder wahrgenommen und  vielleicht auch verstanden, was die anderen gesagt haben, das eigene Urteil ist bereichert.

Meinungsaustausch – weniger harmlos, in der manchmal etwas sarkastischen Arbeitswelt-  Variante: „Was ist Meinungsaustausch? Wenn ich mit meiner Meinung zum Chef gehe und  mit seiner wieder zurückkomme.“ Hoffentlich ist das ein Relikt einer langsam aussterbenden  Art von Arbeitskultur mit Meinungsführerschaft und Denkverboten.

Meinungsaustausch geht auch ganz anders: Eine Freundin erzählt mir, dass sie mit ihrem  Mann zum Wandern will. Die Rucksäcke sind gepackt, und dann geht noch einmal das  Telefon. Ein Freund ihres Mannes ist dran. Und jetzt dauert es. Und dauert. Ihr erster Impuls:  Ärger. Dann macht sie einen Versuch – wo der Gedanke genau herkommt, kann sie gar nicht  sagen. Es ist so etwas wie ein innerer Meinungsaustausch: Eigentlich schön, sagt sie sich,  wenn dein Mann für jemand anderen auch so wichtig oder interessant ist, dass er länger  mit ihm reden will. Wenn du mit einem Mann verheiratet wärst, der für niemanden von Bedeutung  wäre, wäre dir das lieber? Mit dem Gedanken gelingt es ihr (für sie selbst sehr erstaunlich),  komplett entspannt zu bleiben, bis die Wanderung mit Verspätung dann losgehen kann.

So ein innerer Meinungsaustausch ist nicht so einfach, aber er ist wirkungsvoll. In einem Buch  für Berater lese ich: „Bleibe im Modus: Wie interessant. Immer wenn du auf Dinge stößt, die  bei dir eine automatische Abwehrreaktion hervorrufen, versuche doch den Satz: Wie interessant,  dass jemand das so machen kann, wie er das macht; wie interessant, dass jemand so  leben mag, wie interessant, dass jemand gerne so eine Kleidung trägt und so weiter.“

Der Versuch lohnt sich. Sobald bei mir ein innerer Reflex zum Widerspruch aufkeimt, probiere  ich die Perspektive aus: Das ist ja tatsächlich interessant, dass jemand .... Das Übungsfeld  kennt fast keine Grenzen.

Dr. Peter-Felix Ruelius

6. Noch nie probiert – aber sicher!

Ich darf mich daran erinnern, dass in mir Möglichkeiten liegen, die ich vielleicht gar nicht mehr sehe.

„Das haben wir noch nie probiert – also geht es sicher gut!“ Das Zitat von Pippi Langstrumpf  gibt die Richtung vor. Manchmal mache ich ein Fenster zu meiner Kindheit auf,  zu den Erinnerungen und zu den Bildern, die dann sichtbar werden. Ab und zu kann ich  durch das Fenster auch in einen Garten sehen. Es ist der Garten der Villa Kunterbunt. Der  Garten, in dem alles möglich ist, in dem Tommy und Annika stellvertretend für alle Kinder  aufgeweckt werden und den Mut bekommen, auch mal aus der Rolle zu fallen.

Vor rund achtzig Jahren entstand die Geschichte, erzählt und erfunden von Astrid Lindgren  am Krankenbett ihrer Tochter. Astrid Lindgren selbst besaß in ihrer eigenen Kindheit die  Quelle für die Geschichten, die Kindern und Erwachsenen Mut machen können. Das Besondere  ihrer Kindheit: „Wir hatten Geborgenheit, und wir hatten Freiheit. Das war genug.“  Geborgenheit und Freiheit sind eine wunderbare Ausstattung für ein Leben. Denn sie ermöglichen  etwas, das im soliden Erwachsenenleben oft verloren geht. Sie ermöglichen ein  Ausprobieren ohne die Furcht, das Gesicht zu verlieren.

Meine Erfahrung ist: Je älter ich werde, desto besser passe ich in die Erwartungen, die an  mich und meine Rollen gestellt werden. Und das Gewohnte und Erwartete ist ja oft auch das  Gute, das sich im Leben so ergeben hat, das gut gefügt und gebaut ist, das stimmig ist und  mich behütet. Die Waage, bei der Geborgenheit auf der einen Waagschale liegt und Freiheit  auf der anderen, neigt sich sehr in Richtung Geborgenheit. Die Räume der Freiheit werden  kleiner.

Manchmal kann es wichtig sein, aus der Rolle zu fallen. Ein psychotherapeutischer Ratschlag  lautet: Fall mal aus der Rolle, damit du aus der Falle rollst. Das meine ich: Ich darf mich daran  erinnern, dass in mir Möglichkeiten liegen, die ich vielleicht gar nicht mehr sehe. Manchmal,  ganz gleich in welchem Alter, braucht es einen Blick in den Garten der Villa Kunterbunt,  um sich daran zu erinnern und einmal einen anderen Weg einzuschlagen als den gewohnten.  Denn schließlich, so sagte es Astrid Lindgren einmal, gebe es ja „kein Verbot für alte  Weiber, auf Bäume zu klettern“. Für alte Kerle übrigens auch nicht.

Dr. Peter-Felix Ruelius

7. Realitätsverlust – Realitätsgewinn

Ostern ist, wenn man es genau nimmt, das Fest der Realitätsbehauptung schlechthin.

Auf einmal ist alles virtuell. Mit diesem eingängigen Begriff wurde im vergangenen Jahr  kurzerhand alles Mögliche aus der Wirklichkeit in die Sphäre des mehr oder weniger  Unwirklichen  verschoben. Es gibt also virtuelle Treffen, virtuelle Besprechungen, virtuelle  Wanderungen, virtuelle Reisen, virtuelle Theateraufführungen und Konzerte. Und dann  auch noch: Virtuelles Ostern. Virtuelle Osterspaziergänge, virtuelles Osterfrühstück mit  Opa und Oma, virtueller Ostergottesdienst im Kölner Dom.

Aber was heißt denn eigentlich virtuell? Virtuell heißt, dass eine Welt, in der ich mich bewege,  etwas, das ich sehe oder höre, gar nicht in Wirklichkeit da ist. Unsere Online-Veranstaltungen  sind zwar nicht der Austausch in physischer Präsenz, aber sie sind doch nicht virtuell, denn  sie finden ja statt! Mit realen Menschen, die an realen Orten sitzen und sich real unterhalten.

Ostern – virtuell? Da klingelt etwas bei mir. Denn Ostern ist, wenn man es genau nimmt,  das Fest der Realitätsbehauptung schlechthin. Um die Frage ging es schon immer: Was ist  eigentlich real? Die frühen Christen vor zweitausend Jahren kannten das Thema: Die Realität:  das ist der Tod. Dass jemand von den Toten auferstanden ist: das ist höchstens virtuell, vorgestellt,  phantasiert. Eine Täuschung über die Wirklichkeit. Wenn ihr glaubt, dass Jesus Christus  von den Toten auferstanden ist und dass das Leben das letzte Wort haben wird, dann ist das  eine vorgestellte, virtuelle Realität.

Halt! sagt an dieser Stelle der Apostel Paulus, in einem der bewegendsten Texte des Neuen  Testaments. Er kennt das Fazit, auf das alles hinausläuft: „Wenn wir allein für dieses Leben  unsere Hoffnung auf Christus gesetzt haben, dann sind wir erbärmlicher dran als alle anderen  Menschen.“ (1 Kor 15,19). Und dann fegt er diese Argumente einfach weg. „Nun aber ist  Christus von den Toten auferweckt worden!“ Ausrufezeichen. Es geht um Realität, nicht um  hilfreiche Einbildung. Eine Realität, die wir vielleicht nicht begreifen, aber es geht auf keinen  Fall um eine virtuelle Welt.

Der Ostergruß bei den orthodoxen Christen heißt deswegen auch: „Christus ist auferstanden –  er ist wahrhaftig auferstanden“. Wahrhaftig. Das ist das Entscheidende. Ostern virtuell?  Funktioniert nicht. Ostern feiert die Wirklichkeit.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Impulstexte 2020

Überblick: 7 Impulse für 7 Wochen Fastenzeit

Auch in diesem Jahr sollen Ihnen die Impulse zur Fastenzeit die Gelegenheit geben, Ihren Alltag für einige Augenblicke zu unterbrechen. Nehmen Sie einfach die Gedanken mit, die Ihnen hilfreich erscheinen.

Alles vorbei? Klar, der Aschermittwoch hat diese Ansage - aber sie wäre zerstörerisch, wenn sie nicht den ganz großen Bogen spannen würde, hin zum Osterfest, das am Ende der sieben Wochen Fastenzeit zu feiern wäre. Der vor einem Jahr verstorbene Priester und Dichter Lothar Zenetti hat eine schöne Antwort auf die Frage, wer am Ende die Rechnung zahlt. 

Als ob man es nicht schon schwer genug hätte! Und dann auch noch… Im zweiten Impuls geht es um eine andere Perspektive. Um ein Gegenmittel sozusagen. Gegen die Haltung, alles immer schlimmer zu finden und zu sehen. Die gute Nachricht: Es gibt Gegenmittel - und sie wirken!

Der dritte Impuls dreht sich um den guten, behutsamen Umgang miteinander. Denn er und das Achten aufeinander sind die Kraftquellen, aus denen wir in irritierten Zeiten leben. 

Bei der Auswahl des Bildes für den vierten Impuls haben wir uns für ein sehr frohes Bild entschieden, das im vergangenen Jahr beim Farbfestival der Barmherzigen Brüder Saffig entstanden ist. So viele Menschen, die gemeinsam feiern und gemeinsam richtig viel Freude haben. Solche Bilder und solche Momente machen das Leben aus. Zusammen können wir mehr. Zusammen können wir ganz viel. 

Zu einem ganz bewussten Innehalten oder auch Ablenken möchte der fünfte Impuls einladen. Dazu, mit einer größeren, dankbaren und wertschätzenden Perspektive auf das Leben zu blicken. Wenn es gelingt, stärkt das für den Alltag, der jetzt allen so viel abverlangt.  

Voraussagen, Einschätzungen, Prognosen, und immer wieder Zahlen. Wem glaube ich? In ganz normalen Jahren ist am 1. April eine gute Zeit für eine Spur Unsinn. Das Experiment mit dem, was Menschen zu glauben bereit sind, sorgt für gute Laune. Bekommt man das heute auch hin? Vielleicht haben Sie ja eine Idee, wie Sie in Ihrem Alltag etwas unterbringen können, was bei den Menschen, mit denen Sie zusammen arbeiten und leben, für einen Moment der Entspannung oder des Lachens sorgt. Auch das ist ja notwendig.   Was im Moment so richtig gut tut, das sind die vielen Botschaften und Zusagen von Hilfe, von denen man hört und liest. Die allermeisten davon sind zuverlässig - und keine Aprilscherze. Der sechste Impuls lädt zu beidem ein: zu einer kritischen Wachsamkeit und zum Vertrauen. 

Ostern unterbricht das Leben. Das Leben steht still. Das Leben soll stillstehen, damit das Leben nicht verloren geht. In diesem Jahr sind wir zu eigenartigen Gedanken gezwungen. Wenn wir eigentlich das Leben feiern wollen, sollen wir das Leben bewahren - eben dadurch, dass wir nicht feiern. Aber man kann es auch so sehen: Ostern unterbricht das Leben ja immer. Es unterbricht alle Abläufe des Gewohnten. Dadurch, dass Jesus Christus nicht im Tod geblieben ist, hat er das Leben auf ein neues Fundament gestellt. Und dieses Fundament bleibt. Ostern unterbricht das Leben - um zu zeigen, dass das Leben vom Tod nicht besiegt wird. Der siebte und letzte Impuls ist ein Unterbrecher-Impuls. Das Erlebnis des Schule-Schwänzens wird vielleicht noch ein paar Tage nicht möglich sein. Aber das Gewohnte zu unterbrechen - das kann auch in diesem Jahr gelingen. 

1. Der Gastgeber

Einmal wird es Zeit, dass wir aufbrechen und bezahlen: Der Aschermittwoch erinnert daran.

Das war eine ziemlich peinliche Situation: Ich war zum Essen in einem Restaurant verabredet und hatte definitiv zu wenig Geld dabei. Das ist mir aber erst aufgefallen, als die ganzen Köstlichkeiten schon auf dem Tisch standen. Es war kein ganz billiges Restaurant und damals, als Student, hatte ich auch keine Kreditkarte. Das Gefühl ist mir noch ganz gegenwärtig. Was für eine Erleichterung, als einer am Tisch wie nebenbei gesagt hat: "Ihr seid natürlich eingeladen."

Vor genau einem Jahr starb der Frankfurter Priester und Dichter Lothar Zenetti. Er hat in einem Gedicht davon geschrieben, wie unsere Logik des Bezahlens und des Ausgleichs ganz und gar auf den Kopf gestellt wird.

Einmal wird es Zeit, dass wir aufbrechen und bezahlen: Der Aschermittwoch erinnert daran. Wir brechen auf. "Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst." Mit diesem Satz werden Christen in den Gottesdiensten am Aschermittwoch ziemlich unsanft auf den Boden der Tatsachen geholt. Der Aufbruch aus unserem Leben ist eine traurige Gewissheit. Irgendwann wird das Leben enden. Und vielleicht herrscht manchmal die Lebenslogik: Am Ende wird es nicht reichen. Am Ende wird mein Leben sein wie ein Leben auf Pump, mit lauter unbezahlten Rechnungen. 

Aschermittwoch: Der Tag erinnert an die Vergänglichkeit. Aber er kann auch daran erinnern, dass wir Gäste des großzügigsten Gastgebers sind, den man sich vorstellen kann. Gott sei Dank. 

Dr. Peter-Felix Ruelius

Am Ende die Rechnung 

Einmal wird uns gewiss
die Rechnung präsentiert
für den Sonnenschein
und das Rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen
und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind,
den Vogelflug und das Gras
und die Schmetterlinge,
für die Luft, die wir
geatmet haben, und den
Blick auf die Sterne
und für alle die Tage,
die Abende und die Nächte. 

Einmal wird es Zeit,
dass wir aufbrechen und
bezahlen:
bitte die Rechnung. 

Doch wir haben sie
ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen,
sagt der und lacht,
soweit die Erde reicht:
Es war mir ein Vergnügen!

Gedicht aus: Lothar Zenetti, Leben liegt in der Luft. Worte der Hoffnung © Matthias Grünewald Verlag. Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2007.www.verlagsgruppe-patmos.de

2. Gegenmittel gegen den Immerschlimmerismus

Zuversicht erweckt auch Ideen, um im eigenen Leben und darüber hinaus Dinge etwas besser zu machen.

Es wird immer schlimmer. Die Sitten werden rauer, die Welt wird unbewohnbarer, dem Wald ist auch nicht mehr zu helfen und der Verkehr: ohne Worte! Ich habe vor Kurzem ein Wort gelernt: Immerschlimmerismus. Wenn man den eigenen Pessimismus so richtig beflügeln will, dann ist diese Haltung genau die richtige. Der Immerschlimmerismus funktioniert. 

Wenn man daraus aussteigen will, braucht man gute Gegenmittel. Das erste sind Fakten und ein realistischer Blick auf die Welt. Wenn man sich das Leben in unserem Land anschaut, dann sollte das "immer schlimmer" mit Sicherheit ziemlich geschwächt werden. Trotz aller Probleme: Niemals zuvor waren Menschen so gesund, so gebildet, so wohlhabend und so sicher vor Gewalt und Krieg wie heute. 

Das zweite Gegenmittel: Vertrauen und Hoffnung, dass das Leben sinnvoll ist. Neben meinem Schreibtisch hängt eine Postkarte mit einem Spruch, der Oscar Wilde zugeschrieben wird: "Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende." Die Karte habe ich in einer anstrengenden beruflichen Situation von einem Freund bekommen. Zu der Zeit war erst einmal wenig gut. Diese Karte, mittlerweile etwas vergilbt und angestaubt, habe ich mir damals oft angeschaut. Sie hat mir Mut gemacht und einen ganzen Horizont eröffnet. Geh weiter voran, es wird gut werden. Es ist dann sehr viel gut geworden. Der Theologe Fulbert Steffensky hat die Hoffnung einmal definiert: "Hoffnung garantiert keinen guten Ausgang der Dinge. Hoffen heißt darauf vertrauen, dass es sinnvoll ist, was wir tun." Das ist an schweren Tagen nicht einfach. Aber genau dann ist es wichtig, die Suche nach Sinn nicht aufzugeben, den Blick für den Sinn zu üben. 

Die Gegenmittel gegen den Immerschlimmerismus sind wirksam. Aber man muss sie trainieren. Dazu hilft in diesem Jahr die Fastenaktion der evangelischen Kirche. Sie heißt: "Zuversicht - sieben Wochen ohne Pessimismus." Das Schönste dabei: Zuversicht erweckt auch Ideen, um im eigenen Leben und darüber hinaus Dinge etwas besser zu machen. Der Immerschlimmerismus lähmt. Die Zuversicht macht kreativ. 

Dr. Peter-Felix Ruelius

3. Sei gut, Mensch!

Wenn das gute Menschsein gestärkt wird, wird es wirkungsvoll.

In einem großen Elektronik-Markt muss ich etwas umtauschen. An einem Schalter ist alles in einer Hand: Umtausch, Reklamation und Rückgabe. Weil vor mir ein aufgebrachtes Ehepaar mit einem schon benutzten und nicht mehr originalverpackten Küchengerät an der Reihe ist, werde ich Zeuge einer sehr professionellen Kommunikation. Da schafft es einer, ruhig zu bleiben. Der Mitarbeiter kann verständlich machen, warum eine Rückgabe des Gerätes nicht möglich ist. Es gelingt ihm, Aggression bei den Kunden abzubauen. Mit einer unglaublichen Geduld. Am Ende gehen die Kunden weg, zwar nicht zufrieden, aber auch nicht wütend. Und niemand hat sein Gesicht verloren.

Ich konnte nicht anders: Als ich an der Reihe war, musste ich dem Mann einfach meinen Respekt ausdrücken. Ja, sagt er, Geduld braucht man da schon. Nur ganz selten passiere es ihm, dass er mal aus der Haut fahre. Aber das seien wirklich die absoluten Ausnahmen."Wenn jemand mich angreift, zum Beispiel, dann werde ich schon mal lauter." 

In diesem Jahr startet der Caritasverband eine Kampagne unter dem Motto: "Sei gut, Mensch!" Die Kampagne will sichtbar machen, wie viele Menschen täglich auf ganz unterschiedliche Weise dazu beitragen, dass Solidarität, Zivilcourage, Anstand und Gerechtigkeit nicht unter die Räder kommen. Ehrenamtliche und Hauptamtliche. Gutmenschen eben - in einem wertschätzenden Sinn, und nicht abfällig oder geringschätzend, wie es oft zu hören war. Gutmensch - das Wort haben manche ja auch dazu verwendet, um jemanden als naiv oder realitätsfremd zu bezeichnen.

Ganz viele Menschen sind gut oder machen Dinge gut und damit ihre Umgebung menschlicher. Viele machen kein Aufhebens davon. Etwa so wie es bei Max Raabe heißt: "Ich bin nur gut, wenn keiner guckt…". Die Kampagne der Caritas will auch, dass Gutsein sichtbar wird. Gutsein darf benannt werden. An der Beschwerdestelle des Elektronik-Markts oder wo auch immer. Wenn das gute Menschsein gestärkt wird, wird es wirkungsvoll. Versuchen Sie es mal. Manchmal reicht schon ein "Danke".

Dr. Peter-Felix Ruelius

4. Der Irrtum des Weißen Hauses oder: Vielfalt ist gesund

Vielfalt ist willkommen. Weil Nächstenliebe niemanden ausschließt.

Die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika planten 1791 den Bau ihrer Hauptstadt. Und weil der Gedanke der Demokratie ihre Leitidee war, wollten sie auch ihre Hauptstadt mit ihren Gebäuden an den Vorbildern der Antike orientieren. So entstand in den Jahren zwischen 1792 und 1800 das "Weiße Haus" - strahlend weiß, mit Säulen und Kapitellen - wie eine Wiedergeburt der Antike mit ihren Tempeln und Monumenten. Übrigens: Mehr als 2.000 Liter weißer Farbe verbraucht man heute noch in jedem Jahr für die Auffrischungskur des Weißen Hauses. 

Leider hat das Ganze einen Schönheitsfehler, im wahrsten Sinn des Wortes. Denn viele wichtige Gebäude der Antike waren gar nicht weiß, sondern ziemlich bunt. Ebenso wie viele Skulpturen und Statuen. Wie spannend und interessant die farbige Welt der Antike sein kann, hat man erst in jüngerer Zeit wiederentdeckt. Eine Ausstellung, die im Moment im Frankfurter Liebig-Haus zu sehen ist, heißt dementsprechend: Bunte Götter. Hier geht es tatsächlich so bunt zu, dass es einen irritieren kann. 

Bunt, vielfältig, multikulti: So lange ist das ja noch gar nicht her, dass man in der politischen Diskussion in Deutschland mit diesen Begriffen angeeckt ist. Und in der kirchlichen Welt auch. Der Katholische Krankenhausverband Deutschlands wirbt derzeit unter der Überschrift "Vielfalt ist gesund" für den anderen Blick. Vielfalt ist willkommen. Weil Nächstenliebe niemanden ausschließt. Und: Zusammen können wir mehr. Menschen unterschiedlicher Herkunft arbeiten zusammen und verwirklichen zusammen, worauf es ankommt. 

In Zeiten, in denen die "weißen Häuser" auf der Welt immer weißer und Abgrenzungen voneinander immer höher und unüberwindlicher werden, ist es ein kleiner Denkanstoß, dass die gute alte Zeit, in diesem Fall die ganz alte Zeit, ganz schön bunt und vielfältig war. Die Vielfalt der Farben, die Vielfalt der Menschen, die Vielfalt der Schöpfung Gottes: Dagegen ist Weiß vor allem eins - langweilig. 

Dr. Peter-Felix Ruelius

5. Tage, die die Welt verändert haben

Bei den wichtigen Ereignissen, ob das die Wahl der Ausbildung oder des Berufs war oder die Entdeckung des Menschen, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will, besteht immer eine Verbindung von Eigenem und Geschenktem.

Der englische Komponist Bob Chilcott hat ein Stück geschrieben, das ziemlich fantasievoll fünf Ereignisse vertont, die seiner Ansicht nach die Welt verändert haben: die Erfindung des Buchdrucks, die Abschaffung der Sklaverei, den ersten motorisierten Flug, die Erfindung des Penicillin und den ersten bemannten Raumflug. "Five Days that changed the World" heißt das Stück. In dem Abschnitt über den Motorflug der Brüder Wright heißt es: "Gedanken können anfangen zu fliegen, wenn man ihnen Flügel gibt."

Als ich das Stück in einem Konzert gehört habe, flogen meine Gedanken auf einmal in eine ganz andere Richtung. Denn ich habe mich gefragt, ob ich die fünf Ereignisse benennen könnte, die in meinem eigenen Leben bahnbrechend waren. Ich habe nach Ereignissen oder Weichenstellungen gesucht, die mich vorangebracht, die mein Leben in eine gute Richtung gelenkt haben. Ein paar sind mir eingefallen. Entscheidungen und Entdeckungen. Und dabei ist mir eins deutlich geworden: Bei den wichtigen Ereignissen, ob das die Wahl der Ausbildung oder des Berufs war oder die Entdeckung des Menschen, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will, besteht immer eine Verbindung von Eigenem und Geschenktem. Etwas in mir hat eine Gelegenheit ergriffen, eine Wahl getroffen - und gleichzeitig war es dann immer ein Empfangen. Es kann eine Übung in der Fastenzeit sein, so eine Spurensuche zu unternehmen und darin auch einen Grund zur Dankbarkeit wahrzunehmen. 

Fast hätte ich es vergessen: Heute ist übrigens auch ein Wendetag in der Geschichte der Welt, ein ziemlich entscheidender sogar. In neun Monaten ist wieder Weihnachten. Deswegen gibt es in der katholischen Kirche den Tag "Verkündigung des Herrn". Er erinnert an den Tag, an dem nach biblischer Verkündigung eine junge Frau in Nazareth Ja gesagt und ihren Sohn Jesus empfangen hat. Mit diesem Ja beginnt - alles verändernd - die Geschichte der Menschwerdung Gottes.

Dr. Peter-Felix Ruelius

6. Was man alles glauben kann

Wer weiß, mit welchen Ideen man uns heute in den April schicken wird?

Auf dem Weg zur Arbeit muss ich tanken. Als ich zur Kasse gehe, drehe ich mich noch einmal um - welche Nummer hatte meine Zapfsäule noch? Da fällt mein Blick auf ein Schild: "Für Menschen wie dich geben wir jeden Tag unser Bestes. Weil du es bist." Darunter der Name des Ölkonzerns. Das macht mich auf einen Schlag wach. Für Menschen wie mich. Das Beste. Weil ich es bin. Wow! Nur: Glauben kann ich es nicht. Ein Werbespruch. Etwas dick aufgetragen. 

Heute ist ein ganz guter Tag für das Misstrauen. Nicht nur gegenüber Werbesprüchen. Wer weiß, mit welchen Ideen man uns heute in den April schicken wird? Also: Augen und Ohren auf - und bloß nicht zu viel glauben. So ganz klar ist es nicht, woher die Aprilscherze kommen. Ganz früher hatten sie eine ernstere Seite, der erste April galt als Unglückstag, und so war Wachsamkeit angesagt. Mit kleinen erfundenen Schreckensgeschichten erinnerte man seine Mitmenschen daran, dass sie an diesem Tag besonders aufpassen mussten. Also: Wachsam sein, wenn jemand etwas verspricht - wahrscheinlich steckt doch nur ein Trick dahinter, die Sache hat bestimmt einen Haken. Vor allem, wenn jemand freundlich ist. Eigentlich eine gute Haltung, nicht nur für den ersten April. 

Der Ratgeberautor Roger Rosenblatt empfiehlt eine andere Taktik. Er sagt, er glaube immer so gut wie alles, was man ihm erzähle. Er habe zwar schon oft genug dafür bezahlen müssen, dass er zu vielen Menschen zu viel geglaubt hat. Und trotzdem hält er das für besser als das Misstrauen. "Glauben Sie jedem", sagt er, "und Sie können sich der wundervollen Illusion hingeben, dass es das Leben gut mit Ihnen meint." Er behalte zwar nur ab und zu Recht, aber das sei genug; es sei sogar schon eine ganze Menge. 

Am ersten April darf man vielleicht dem Misstrauen einen etwas größeren Raum geben. Für die übrigen dreihundertvierundsechzig Tage im Jahr finde ich den Vorschlag Rosenblatts ziemlich gut, den Menschen mit einem großen Vorschuss an Vertrauen zu begegnen. Sogar wenn sie behaupten, sie geben ihr Bestes für mich. 

Dr. Peter-Felix Ruelius

7. Schule schwänzen. Für Ostern.

Dieser Moment, der aus dem Alltagsbetrieb herausgenommen ist – Schönheit, Stille, ein Blick für das Leben: Das ist ein Osterbild, ein Ostererlebnis.

Erinnern Sie sich noch an das Schuleschwänzen? Bei mir war das sehr selten der Fall. Aber das Gefühl kann ich trotzdem noch gut wachrufen, ein bisschen Lust am Unerlaubten war dabei, ein bisschen Herumdrucksen und doch die größere Anziehungskraft der Eisdiele gegenüber dem Physikunterricht. Aussteigen. Weil etwas Anderes interessanter ist als die Pflicht. 

In dem Gedicht von Joachim Sparre geht es um ein sehr poetisches Schuleschwänzen. Der Schulschwänzer sucht sich einen ruhigen Ort. Was kann ruhiger sein als der Friedhof? Und dort: eine ruhige Bank. Was für eine idyllische Szene! Etwas schlechtes Gewissen ist auch dabei, klar. Aber das wird durch die Spatzen weggelacht. 

Das Entscheidende finde ich in den letzten Zeilen. "Die Lilie dort auf dem Grab ist ein Argument gegen Algebra." Wenn man weiß, dass im Christentum die Lilie auch als Symbol für Jesus Christus gesehen wurde, geht in diesen wenigen Zeilen der Himmel auf: Was in diesem Moment lebt und sichtbar wird, die Schönheit dieses Augenblicks, siegt gegen alle Berechenbarkeit, siegt gegen die Systeme, gegen die Pflicht, gegen Lernen, gegen Leistung und Vorankommen. Dieser Moment, der aus dem Alltagsbetrieb herausgenommen ist - Schönheit, Stille, ein Blick für das Leben: Das ist ein Osterbild, ein Ostererlebnis. 

Als Erwachsene haben wir die Möglichkeit des Schwänzens meistens nicht mehr. Aber die Möglichkeit des Aussteigens aus dem Alltag, ab und zu, um unvermittelt dem Lebenswichtigen auf die Spur zu kommen, die sollten wir uns nie nehmen lassen. 

Dr. Peter-Felix Ruelius

Schuleschwänzen 

Schön dass der Friedhof
so früh geöffnet ist 

und die Bank unter
dem Holunderbaum
unbesetzt 

Nur eine Gießkanne
kommt vorüber
(wenn ich den Mann nicht ansehe
wird er mich nicht fragen) 

Die lärmenden Spatzen
lachen über mein
schlechtes Gewissen 

Die Lilie dort auf dem Grab
ist ein Argument gegen Algebra 

Joachim Sparre 

Aus: Das Gedicht Nr. 7, Oktober 1999, Reprint 2001, Anton G. Leitner Verlag, Weßling 2001

Impulstexte 2019

Überblick: 7 Impulse für 7 Wochen Fastenzeit

Die Impulse zur Fastenzeit sollen auch in diesem Jahr einmal wöchentlich als kleine Unterbrechung des Alltags dienen. Als kurze Auszeit, um einen Gedanken wahrzunehmen, aufzunehmen, der Sie ein kleines Stück Ihres Weges begleiten kann. Der Wegbegleiter in diesem Jahr wird Peter Friedhofen sein, dessen 200. Geburtstag wir feiern.

Der erste Impuls ist - in mehrfacher Hinsicht - ressourcenorientiert.

Ziemlich weit oben unterwegs - und dabei Bodenhaftung behalten: das gelingt wahrscheinlich nur wenigen. Bei Schornsteinfegern sind die Voraussetzungen optimal. Sie sehen und erfahren eine Menge. Der schöne Zusatzeffekt: Wer sich auf eine ähnliche Spur begibt, tut außerdem noch etwas für sein Herz.

Eingeschlagene Wege zu verlassen, einen Plan aufzugeben und eine andere Richtung einzuschlagen, das kann manchmal lebensrettend sein. Auf jeden Fall lohnt sich ab und zu eine Revision - ist der Plan, dem ich folge, noch der richtige, um ans Ziel zu kommen? Der dritte Impuls lädt gewissermaßen zur begründeten Inkonsequenz ein…

Der Alltag lässt vielleicht nie genug Zeit zum Träumen, und dazu, den eigenen Träumen und Ideen zu folgen und sie lebendig werden zu lassen. Wie gut, dass es Orte gibt, an denen man seinen Träumen, aber auch seinen wichtigen Anliegen etwas mehr Dauer geben kann. Dazu regt der vierte Impuls an.

Wenn zu viele Dinge die Räume füllen, kann das dazu führen, dass es einem zu eng wird, im wörtlichen und übertragenen Sinn. "Aufräumen!" heißt dann die Devise. Aber wie? Keine Angst - hier folgt kein Aufräumratgeber; davon gibt es schon genug: Aber zwei wertvolle Gedanken einer Expertin im Aufräumen möchten wir Ihnen im fünften Impuls doch weitergeben. Sie helfen ganz gut, auch bei den "immateriellen Beständen" im Leben.

Was wertvoll ist, das spart man am besten auf - für besondere Gelegenheiten. Wenn das zur Haltung wird, dann kann es sein, dass man sogar sein Leben aufspart. Es gibt im Deutschen ein schönes Wort: Freigiebigkeit. Es bringt wohl am besten die Haltung zum Ausdruck, zu der der sechste Impuls einladen möchte.

Schmetterlinge lachen zu hören - das ist vielleicht ein ungewöhnliches Bild, wenn es um Ostern geht. Gleichzeitig ist es ein Bild für eine unglaubliche Leichtigkeit, tröstend und froh.

1. Nachwachsende Rohstoffe

Nächstenliebe, Mut, Hoffnung, Freude und die anderen nachwachsenden Rohstoffe in mir – sie wachsen, indem ich sie tue.

Der Aschermittwoch: Nicht zufällig steht die Asche im Mittelpunkt. Vergänglichkeit, Staub, Asche, nahezu nichts bleibt. Alles ist vergänglich. Die Gedanken führen heute von der Asche ein bisschen weiter, zu einem Ausgangsstoff, der Kohle. Der Grund ist ganz einfach. Die Kohle, die schließlich zur Asche verbrennt, beginnt ihre große Karriere ziemlich genau in der Zeit der Geburt Peter Friedhofens und gibt ganzen Regionen ihr Gesicht. Peter Friedhofen wird in diesem Jahr die Impulse in der Fastenzeit begleiten. Sein 200. Geburtstag wurde am 25. Februar 2019 gefeiert.

Im Dezember 2018 endete der Untertagebergbau in der letzten Zeche im Ruhrgebiet. Eine Epoche ging zu Ende. "Schicht im Schacht" - endgültig. 200 Jahre hatte die Steinkohle das Ruhrgebiet zum führenden Industriegebiet gemacht. Die Kohle als wichtigste Ressource befeuerte die Hochöfen, sorgte für Arbeit und Wohlstand. Da konnte sich ja niemand denken, dass das mal zu Ende geht.

Woher nehmen wir eigentlich den Optimismus, dass die Ressourcen, mit denen Peter Friedhofen im 19. Jahrhundert begonnen hat und von denen wir heute noch leben, sich nicht erschöpfen? Wenn ich es richtig verstehe, haben wir es mit nachwachsenden Rohstoffen zu tun. Unsere nachwachsenden Rohstoffe sind: Nächstenliebe, Mut, Ideenreichtum, Sorge für Menschen, Hoffnung, Freude. Sie sind, Gott sei Dank und allen Pessimisten zum Trotz, zudem unbegrenzt.

Jetzt kommt doch noch eine kleine Einschränkung: Sie sind potenziell unbegrenzt, wenn sie gepflegt werden. Wenn sie tatsächlich bei mir und bei anderen nachwachsen dürfen und genug Nahrung erhalten. Wie das geht? Hier wird es wieder einfach: Nächstenliebe, Mut, Hoffnung, Freude und die anderen nachwachsenden Rohstoffe in mir - sie wachsen, indem ich sie tue. Im Tun wächst die Haltung. Und weil das an vielen Stellen Tag für Tag
geschieht, bin ich eigentlich ganz optimistisch, dass es in Sachen Nächstenliebe nie heißen wird: Schicht im Schacht!

Dr. Peter-Felix Ruelius

2. Herzerweiterung – oder: Frag den Schornsteinfeger

Wer viel sieht, kann viel urteilen. Wer mehr sieht, urteilt weniger, dessen Herz wird vielmehr weiter, weil er mehr versteht.

Wo geht man hin, wenn man wissen will, wie es einer Gesellschaft wirklich geht? Beliebt ist der Taxifahrer, den man um Auskunft bittet. Taxifahrer wissen, was man so denkt. Frisöre und Frisörinnen sind auch äußerst beliebt als Stimmungsbarometer des öffentlichen Lebens. Die erfahren ja auch so viel. Oder man fragt einen Schornsteinfeger.

Peter Friedhofen war schon in seiner Lehrzeit, erst recht aber in seiner Zeit als Wandergeselle und als Meister, dauernd unterwegs. Der Schornsteinfeger Peter Friedhofen kommt in alle Häuser - er kehrt die Schornsteine der reichen Villen mit ihren großen Kaminen ebenso wie die Schornsteine der ärmlichen Häuser. Er ist in Mietshäusern unterwegs und in den kleinen Häusern der Tagelöhner. Er steigt den Menschen aufs Dach und kommt bis in die Keller, um den Ruß zu beseitigen. Was er auf den Dächern und in den Häusern der Menschen erwirbt oder behält, ist Bodenhaftung. Seine Ideale eines frommen Lebens sind nie abgehoben, auch wenn sein Beruf sich oft über den Dächern der Städte und Dörfer abspielt. Gerade als Handwerker auf dem Dach bleibt er mit beiden Beinen auf der Erde. Er sieht, wie die Menschen leben - und kann ihnen zuhören.

Was Peter Friedhofen sieht, kommt nicht in die Geschichtsbücher. Politiker fragen ihn nicht nach seinen Vorschlägen. Aber für ihn selbst hat es ausgereicht, um anzupacken und sein Werk anzufangen. Sein Herz war weit geworden für die Menschen, die seine Hilfe brauchten.

Ich bin nicht als Schornsteinfeger unterwegs. Viel zu oft komme ich mir weit weg vor von dem, was Menschen denken, wie sie leben und was sie bewegt. Aber dort, wo es mir gelingt, Menschen zuzuhören und etwas von ihrem Leben zu teilen, komme ich ein wenig auf die Spur, auf die auch Peter Friedhofen gekommen ist: viel wahrnehmen. Sehen, hören, verstehen und dabei vor allem: wenig urteilen. Wer viel sieht, kann viel urteilen. Wer mehr sieht, urteilt weniger, dessen Herz wird vielmehr weiter, weil er mehr versteht. Was für ein Lebensziel!

Dr. Peter-Felix Ruelius

3. Wer a sagt, ...

„Wer a sagt, muss nicht immer b sagen. Er kann auch erkennen, dass a falsch war.“

Eine Zeitungsmeldung: Wieder einmal ist ein Autofahrer, der sich ganz auf sein Navi verlassen hat, vom Weg abgekommen. Seine Fahrt endete in einem Hafenbecken. Gott sei Dank konnte sich der Fahrer retten. Er kam mit dem Schrecken und einer Unterkühlung davon. Dummheit? Blindes Vertrauen in die Technik? Oder noch etwas anderes?

"Wer a sagt, muss auch b sagen." Das kennen wir, von Kindesbeinen an. Ein solider Satz für das Leben. Was du anfängst, das musst du auch zu Ende bringen. Der eingeschlagene Weg hat Vorrang vor Nebenwegen und dem Rückweg. Jede Abweichung, jeder Rückweg hat ja auch immer etwas von Scheitern. Was ich anfange, bringe ich auch zu Ende. Wenn ich a sage, sage ich auch b. Darauf sollen sich alle verlassen können.

Der Dichter Bertolt Brecht räumt in einem viel zitierten Wort auf mit der Idee, dass man einen Weg mit allen Konsequenzen zu Ende gehen muss. Er sagt: "Wer a sagt, muss nicht b sagen. Er kann auch erkennen, dass a falsch war." Dort wo ich sehe, dass ich auf dem Holzweg bin, sollte ich tatsächlich umkehren. Meistens, wenn ich mit dem Kopf durch die Wand will, gewinnt ja doch die Wand. Da ist es einfach gesunderhaltend, wenn ich einen Plan aufgebe oder ändere.

In diesem Jahr sind die Impulse in der Fastenzeit mit Peter Friedhofen unterwegs, und eine seiner Charaktereigenschaften war seine Beharrlichkeit. Von einer Idee, die er sich in den Kopf gesetzt hatte, war er nicht leicht abzubringen. Einmal hat er aber doch a gesagt und dann eben nicht b. Seine erste Klostergründung ging schief. In Weitersburg, seinem Geburtsort, hatte er schon ein Haus zu bauen angefangen, war mit zwei Brüdern dort eingezogen und dann klappte nichts mehr so richtig. Ablehnung, Schulden, Kälte, Hunger: Es passte einfach nichts. Und hier konnte Peter Friedhofen umschalten, gewissermaßen das Navi des einmal gefassten Entschlusses ignorieren und nach einer neuen Möglichkeit suchen. Ein Neuanfang, der ihn nach Koblenz brachte und seinem Ziel näher.

"Wer a sagt, muss nicht immer b sagen. Er kann auch erkennen, dass a falsch war." Manchmal kommt man damit eher ans Ziel. Und schließlich ist das ja das Entscheidende.

Dr. Peter-Felix Ruelius

4. Kleine und große Träume

Wer vorübergeht und einen Moment innehält, sieht auf einer Wand einen Ausschnitt des Lebens und kann die Anliegen anderer Menschen einen Moment lang begleiten.

Am Ende einer Ausstellung über Träume werden alle Besucher eingeladen, ihren ganz persönlichen Traum auf einem farbigen Klebezettel zu notieren und den dann an eine große Wand zu heften. "Jeder Traum ist es wert, dass er festgehalten wird": So lautet die Einladung. Schnell ist die Wand mit hunderten Zetteln übersät. Ich sehe ein vielfarbiges Panorama von menschlichen Träumen und Wünschen, alltäglichen und großen. Mich berührt vor allem, dass so viele Menschen in diesem öffentlichen Ausstellungsraum etwas so Persönliches von sich preisgeben.

Und ich finde auf einmal diese bunte Wand von Zetteln gar nicht so weit weg von den Büchern in den Kirchen und Kapellen, in denen man seine Anliegen, Gebete und Sorgen aufschreiben kann. Klar: Ein Gebet ist noch etwas anderes. Meistens geht es ja dort auch um die großen Themen und Sorgen des Lebens, ganz oft um bedrohliche Krankheit. Aber eines ist doch gemeinsam: Es entsteht eine - wenn auch flüchtige - Gemeinschaft von Menschen. Was ich aufschreibe, lesen andere, schenken meinem Anliegen vielleicht einen wohlwollenden Gedanken, begleiten mein Gebet oder meinen Traum für eine kleine Weile und lassen vielleicht selbst ein Gebet oder einen Traum zurück. Es tut gut, wenn man weiß, dass jemand mit Sympathie daran Anteil nimmt.

Wenn man in Trier vor der Maria-Hilf-Kapelle steht, in der Peter Friedhofen begraben ist, dann fallen einem an der Mauer, die das Gelände begrenzt, viele kleine Marmortafeln auf, sogenannte Votivtafeln, meistens als Dank für eine Heilung, eine glückliche Wendung, eine gute Heimkehr. Auch hier entsteht Gemeinschaft. Wer vorübergeht und einen Moment innehält, sieht auf einer Wand einen Ausschnitt des Lebens und kann die Anliegen anderer Menschen einen Moment lang begleiten.

Wenn ich an solche Orte komme, ob es Traum-Wände, ob es die Bücher für Anliegen in Kirchen und Kapellen oder auch solche Votivtafeln sind, dann bin ich gerne Mensch, ganz einfach deswegen, weil ich hier eine Ahnung davon bekomme, wie Menschen miteinander verbunden sind, dass sie Anliegen, Sorgen und Träume miteinander teilen und so auf eine ganz eigene Art Gemeinschaft entsteht.

Dr. Peter-Felix Ruelius

5. Ordnung schaffen: Raum für die Gegenwart

Aufbewahren, was auch heute glücklich macht und sinnvoll ist, und zurücklassen, was dem Leben nicht mehr dient.

Marie Kondo ist zurzeit der Superstar der Ordnung und die Meisterin des Aufräumens. Ihre Botschaft: Aufgeräumt wird das Leben glücklich. Die meisten Menschen haben offensichtlich zu viele Sachen und aus dem Zuviel wird schnell ein Chaos, weil man nicht mehr zum Aufräumen kommt. Wie gut, dass es Profis gibt, die einen beim Aufräumen unterstützen. Aufräumen hat Konjunktur.

Manchmal krame ich in alten Kisten und entdecke Dinge, an die ich schon lange nicht mehr gedacht habe. Dann tauchen in der Erinnerung auch alte Erlebnisse oder Begegnungen wieder auf. In vielen Dingen steckt etwas von meinem Leben. Die greifbare Vergangenheit gibt ein Gefühl von Heimat, von der eigenen, sicheren Welt, vom Zuhause im Leben. Mich davon trennen? Ganz schön schwer!

Aufräumen heißt: Der Gegenwart mehr Raum geben, damit die Vergangenheit und ihr Strandgut mich nicht erdrücken. Daher der wichtigste Rat von Marie Kondo beim Aufräumen: Nimm etwas in die Hand und frage dich: Macht es dich glücklich, das zu besitzen? Wenn nicht, dann trenne dich davon. Ein zweiter Rat: Bedanke dich bei allen Dingen, von denen du dich trennst. Aufräumen soll auch die Vergangenheit respektieren, sie nicht verachten, sondern anerkennen, dass mich Dinge in meinem Leben eine Zeit lang begleitet haben, ihren Zweck hatten und mir auch einmal etwas bedeutet haben.

Wenn in diesem Jahr Peter Friedhofen die Impulse zur Fastenzeit begleitet, dann kann nach 200 Jahren auch die Frage auftauchen: Was aus der Vergangenheit macht uns zufrieden und hilft uns, die Gegenwart gut zu gestalten? Der Orden der Barmherzigen Brüder war nie ein Museumsverein. Zu lebendig und herausfordernd waren immer die Bedingungen im Gesundheits- und Sozialwesen. Immer mussten die Brüder und alle, die mit ihnen gearbeitet haben und arbeiten, neue Entwicklungen und Gedanken aufnehmen. Wie im Privaten bestand und besteht die Kunst darin, die Balance zu finden: Aufbewahren, was auch heute glücklich macht und sinnvoll ist, und zurücklassen, was dem Leben nicht mehr dient. Und schließlich: das, von dem man sich trennt, mit Dankbarkeit und Wertschätzung verabschieden.

Dr. Peter-Felix Ruelius

6. Da hättest du genauso gut leuchten können

Ein gelebtes Leben hat die Chance zu leuchten. Dafür ist es da.

Meine Großmutter war eine ziemlich fleißige Handarbeiterin. Gestrickt hat sie ohnehin für die ganze Familie. Und wunderschöne Tischdecken bestickt. Die fertigen Sachen hat sie immer verschenkt. Meistens hat sie dazu gesagt: Das soll aber nicht in das Fach für "zu schade" kommen.

So gut kannte sie ihre Familie! Schon aus Respekt vor der vielen Arbeit hat man sich nicht so recht getraut, die schönen Sachen so einfach im Alltag zu verwenden. Die schönen Tischdecken kamen höchstens an Feiertagen auf den Tisch. Eben weil sie "zu schade" waren. Zu schade für den Alltag, für das normale Leben. Zu schade, um sich einfach so daran zu freuen. So haben einige Dinge, die in den Händen meiner Großmutter entstanden sind, sie um Jahrzehnte überlebt. Sie sind immer noch da, fast unbenutzt und immer noch "zu schade".

Wenn man nicht aufpasst, kann man so sein ganzes Leben einrichten. Alles aufsparen für die besondere Gelegenheit, nichts verbrauchen, sich wenig gönnen. Das ganze Leben gewissermaßen im Schongang leben oder in der Haltung des Abwartens: Das Eigentliche kommt ja vielleicht noch. Irgendwann gönnt man sich dann mal was. Irgendwann verwirklicht man seine Pläne. Oder nie?

Der Dichter Erich Fried hat ein Bild dafür: "Auch ungelebtes Leben geht zu Ende ... wie eine Batterie in einer Taschenlampe, die keiner benutzt". Und dann stellt man fest, so schreibt Erich Fried weiter, wenn man die Taschenlampe nach vielen Jahren anknipsen will, "kommt kein Atemzug Licht mehr heraus". Am Schluss des Gedichts schreibt er: "Da hättest du genauso gut leuchten können."

In diesem Jahr lassen sich die Fastenzeitimpulse durch Peter Friedhofen inspirieren. Obwohl er ja nicht alt wurde und aufgrund seines Gesundheitszustands genug Grund gehabt hätte, sich zu schonen, war er mit seinem Leben freigiebig. Seine Lebensgeschichte hat keine Phasen, in denen er ruhig und im Schongang gelebt hat. Das Abwarten auf den ganz richtigen Moment und die restlos passende Gelegenheit: Das war nicht seine Sache. Er hat sein Leben nicht im Fach für "zu schade" aufbewahrt. "Auch ungelebtes Leben geht zu Ende". Ein gelebtes Leben hat die Chance zu leuchten. Dafür ist es da.

Dr. Peter-Felix Ruelius

7. Wer Schmetterlinge lachen hört

Sterben und dabei durchbrechen zu einem größeren Leben, überhaupt zum Leben: Das ist Ostern.

Mich bedrückt es, wenn von Krankheit, vom Sterben und vom Tod gesprochen wird. Ich mag das nicht. Ich würde es auch heute nicht tun, wenn ich nicht ein ganz gutes Gegengewicht entdeckt hätte. Ein Titel der Band Novalis beginnt so: "Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß, wie Wolken schmecken, der wird im Mondschein ungestört von Furcht die Nacht entdecken."

Gut, ich weiß nicht so ganz genau, wie sich das anhört, wenn Schmetterlinge lachen - aber ich habe eine Vorstellung davon. Die passt zu dem Flug der Schmetterlinge, dem Leichten und Unbeschwerten, das sie verkörpern. Ganz hell müsste es klingen und auf jeden Fall ansteckend und einfach nur froh. Ja, und wie Wolken schmecken, das weiß ja jeder - leicht berauschend, wie ein erster Kuss oder die erste Frühlingsluft oder das erste Eis nach einem langen Winter. So ungefähr jedenfalls.

Das Lied der Band Novalis schließt so: "Wer mit sich selbst in Frieden lebt, der wird genauso sterben und ist selbst dann lebendiger als alle seine Erben." Mit sich in Frieden, ganz und gar einverstanden, weil die Mosaiksteine des Lebens zu einem Ganzen geworden sind. Sterben und dabei durchbrechen zu einem größeren Leben, überhaupt zum Leben: Das ist Ostern.

Am Ende seines Lebens, wenige Tage vor seinem Tod, hat Peter Friedhofen einen letzten Brief an seinen Freund und Förderer, den Domvikar Liehs in Trier, geschrieben. Da ist vom Sterben die Rede. Auch davon, dass Peter Friedhofen sehr klar vor Augen steht: Er hat nur noch wenig Lebenszeit. Der ganze Brief liest sich wie ein Zeugnis von großer Zufriedenheit und vom Wunsch, möglichst bald mit den "Engelchen im Himmel" für Gott singen zu können. Hier ist jemand an einem Punkt seines Lebens angekommen, an dem er in Frieden mit sich ist. Und jetzt lese ich das Lied der Band Novalis noch einmal rückwärts und lande beim Anfang: "Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß, wie Wolken schmecken, der wird im Mondschein ungestört von Furcht die
Nacht entdecken." Ein Osterlied: weil die Nacht keine Furcht mehr verbreitet und man schon ahnen kann, wie sich das Lachen der Schmetterlinge anhört und wie die Wolken schmecken.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Impulstexte 2018

Überblick: 7 Impulse für 7 Wochen Fastenzeit

Die Impulse zur Fastenzeit sollen auch in diesem Jahr einmal wöchentlich die Möglichkeit geben, den Alltag für einen Moment zu unterbrechen und mit einer Idee, einem spirituellen Akzent in den weiteren Tag zu gehen.

In diesem Jahr ist es ein eigenartiges Zusammentreffen beim ersten Impulstext: Der Aschermittwoch und der Valentinstag fallen auf denselben Tag. Stimmungsmäßig hat man die Qual der Wahl: Romantisch beglückt oder trübsinnig büßend. Allerdings kann es sein, dass das gar kein so großer Gegensatz ist: Die Fastenzeit soll letztlich den Menschen nicht niederdrücken, sondern ihn eigentlich leicht und liebenswert machen. Und dann wäre der Aschermittwoch vom Valentinstag gar nicht so weit weg. Der Impuls versucht auch, eine Brücke zu schlagen zwischen Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit.

Der zweite Impuls zur Fastenzeit lenkt den Blick auf einen gesellschaftlichen Brennpunkt, der allerdings eher still und leise ist: Einsamkeit. Wer kann eigentlich der Einsamkeit abhelfen? Meine Suche hat mich nach England, das Land der "splendid isolation", geführt. Dort hat man verstanden, was Einsamkeit für eine Gesellschaft bedeutet. Und dort sind Menschen zu finden, die ihre ganz eigene Strategie haben, um Einsamkeit zu überwinden.

Vor 100 Jahren erschien die erste deutsche Industrienorm. Seitdem bestimmen diese Standards viele Bereiche unseres Lebens. Im übertragenen Sinn prägen Normen und Standards ebenfalls unser Leben, unsere Erwartungen, unsere Vorstellungen: nicht nur von Produkten und Dienstleistungen, sondern auch von Menschen. In eine andere Richtung zeigt der dritte Impulstext: Auch das, was nicht in Vorstellungen und Schemata passt, gehört zur Welt - und darf in ihr sichtbar werden.

Sich selbst verändern, aus dem alten Trott und den alten Gewohnheiten ausbrechen: Das ist eine der schwersten Aufgaben im Leben. Manchmal gelingt es, weil ein winziger Anstoß von außen zur richtigen Zeit kommt. Die Geschichte, die im Mittelpunkt des vierten Impulses steht, zeigt, dass es vor allem Gesten der Aufmerksamkeit, der Wertschätzung und der Zuwendung sind, die ungemein wirksam sind und Veränderungsprozesse in Gang setzen können.

Aus der letzten Legislaturperiode wird sicher ein Wort in Erinnerung bleiben: "Wir schaffen das!" Geschickt oder ungeschickt? Richtig oder falsch? Der Streit über diesen Satz dauert im Grunde immer noch an. Aber: Was sollen wir eigentlich schaffen? Und wo wird das sichtbar? Ideen brauchen Symbole - der fünfte Impuls erzählt von einem solchen Symbol, einem Symbol für eine alte und immer aktuelle Sehnsucht, der Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit.

"Vom Vater hab ich die Statur, /  des Lebens ernstes Führen, /  vom Mütterchen die Frohnatur / und Lust zu fabulieren." So beginnt ein Gedicht von Goethe, mit dem er einen Blick auf sein Lebensprogramm oder besser seine Lebens-Ausstattung wirft. Und ein bisschen resigniert schließt das Gedicht: "Was ist denn an dem ganzen Wicht /  Original zu nennen?" Woher haben wir eigentlich, was wir sind - und was haben wir selbst dazu gelegt: aus unserer Lebenserfahrung, unseren Einsichten? Wird daraus ein Lebensprogramm? Sind wir jeweils ein "Original"? Der sechste Impuls erinnert an ein wichtiges Datum der Wissenschaftsgeschichte und ermutigt zum Spiel mit Buchstaben und Begriffen - auf der Suche nach dem Lebensprogramm.

Mit dem Impuls für die Kar-und Ostertage endet die Reihe der diesjährigen Impulse für die Fastenzeit.
Ostern darf, kann und soll überraschend sein. Das Osterfest macht einen Strich durch die Rechnung des immer Gleichen. Ostern öffnet den Horizont für das Neue. Darum geht es im siebten und letzten Impuls.

1. Mehr Kusshände!

Kusshände sind ein hervorragendes Mittel, um mit Menschen in Kontakt zu kommen. Und sie sind so
herrlich mehrdeutig.

Vorsätze? Für die Fastenzeit? Mir fällt eher das Übliche ein. Verzicht auf… Die Liste geht von Gummibärchen über die Schokolade bis zum Wein.

Eine Freundin hat für die Fastenzeit einen ganz anderen Vorsatz: "Ich werde mehr Kusshände verteilen." Wenn die Funken auf den Karnevalswagen haufenweise Kusshände verteilen - bitteschön, das passt. Aber in der Fastenzeit? Ich vergewissere mich: "Kusshände? Als Vorsatz? Und was soll das?" Sie sagt: "Ganz einfach: Kusshände sind ein hervorragendes Mittel, um mit Menschen in Kontakt zu kommen. Und sie sind so herrlich mehrdeutig. Wer mir freundlich zulächelt, bekommt eine Kusshand. Wer mir die Tür aufhält, bekommt eine Kusshand. Wer mir die Tür vor der Nase zufallen lässt - bekommt eine Kusshand. Wenn ich Freunde verabschiede, bekommen sie eine Kusshand. Der Autofahrer, der an einer engen Stelle hält und mir die Vorfahrt lässt, bekommt eine Kusshand. Und der, der mir die Vorfahrt nimmt, natürlich auch. Was meinst du, wie viele verdutzte, lächelnde oder lachende Gesichter ich auf diese Weise zu sehen kriege!"

Ein einfaches Mittel - und mit Verzicht zu tun hat es auch. Mit dem Verzicht auf den persönlich gepflegten Spontan-Ärger auf jeden Fall. Ein guter Vorsatz? Immerhin kann man ihn ausprobieren - oder mit Fantasie andere Dinge entdecken, mit denen man seine Mitmenschen überraschen kann.

Dr. Peter-Felix Ruelius

2. ... und wenn ja, wie viele?

Einer der wichtigsten Schritte muss von dem gegangen werden, der sich einsam fühlt.

"Wer bin ich und wenn ja, wie viele?" Die Frage aus dem philosophischen Bestsellertitel können viele ganz ohne Zynismus so beantworten: Ich bin einer - und ich bin einsam.

Weil Einsamkeit sich ganz offenkundig zu einem zentralen gesellschaftlichen Thema entwickelt, hat die britische Regierung als erste in Europa eine eigene Stelle dafür geschaffen.Die britische Ministerin Tracey Crouch übernimmt diesen Posten zusätzlich zu ihren anderen Aufgaben und ist seit Januar "Minister for Loneliness".

Ich muss an das Märchen vom selbstsüchtigen Riesen denken, das Oscar Wilde erzählt. Während vieler Jahre kamen Kinder nach der Schule in den Garten eines Schlosses um zu spielen.Bis der Besitzer, ein Riese, nach einer langen Abwesenheit zurückkam. Das Spielen der Kinder störte ihn so, dass er sie alle vertrieb und eine riesige Mauer um den Garten zog. Jetzt waren nicht nur die Kinder fort. Auch mit dem Blühen hatte es ein Ende. In dem Garten fühlten sich nur noch Winter und Frost wohl. Einsam, kalt und unerträglich war es - bis sich eines Tages die Kinder durch einen Riss in der Mauer zwängten und den Garten zurückeroberten. Und mit den Kindern kam der Frühling. Der Riese war so gerührt, dass er die Mauer einriss und es von nun an tolerierte, dass die Kinder im Garten spielten.

Wenn der Riese heute die Mauer einreißen würde: Wer weiß, ob überhaupt noch jemand da wäre,um wieder Leben und Frühling in sein Leben zu bringen. Menschliches Miteinander ist zu einem knappen Gut geworden.

Einsamkeit überwinden, die offensichtliche und die verborgene Einsamkeit in der Gesellschaft: Vielleicht sind Regierungsposten und Initiativen notwendig, um Menschen zusammenzubringen.Der 90-jährige Derek Taylor aus Manchester, dessen Top Ten Tips gegen Einsamkeit es bis in die Nachrichten der BBC geschafft haben, wollte darauf nicht warten. Er weiß, dass einer der wichtigsten Schritte von dem gegangen werden muss, der sich einsam fühlt. Und so lautet einer seiner Tipps für einsame Menschen: "Nimm dein Telefon viel öfter zur Hand um jemanden anzurufen- und warte nicht, bis jemand dich anruft."

Dr. Peter-Felix Ruelius

3. Wir können uns sehen lassen!

Ich darf aus meinem Versteck kommen, weil ich meinen Mitmenschen zutraue, dass sie mich mit Respekt ansehen.

Ein ganz schön konzentrierter Blick. Gut, die Aufgabe ist ja auch nicht ganz einfach: eine Krawatte binden. Die Männer, die (noch) Krawatten tragen, wissen das. Ähnlich schwer ist das Zubinden von Schuhen. Kleine, aber hochkomplexe Alltagsaufgaben, für die man vor allem eins braucht: Zwei gesunde Hände. Hier ist es anders: Bertolt Meyer ist auf eine Prothese angewiesen, weil ihm der linke Unterarm fehlt. Die so genannte bionische Prothese schenkt ihm jedoch heute, was lange Zeit als undenkbar galt - eine nahezu vollständig funktionsfähige Hand.

Das Bild von Bertolt Meyer war in einer Foto-Ausstellung zu sehen. So wie er zeigen sich viele andere. Der Foto-Wettbewerb und die Ausstellung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege im vergangenen Jahr standen unter der Überschrift: Mensch - Arbeit - Handicap. Sie verstanden sich als ein Projekt zur Inklusion. Menschen mit Handicap zeigen sich: Sie sind, wenn Inklusion gelingt, selbstverständlich
Teil der Gesellschaft und der Arbeitswelt.

Ich stelle mir den ersten Schritt schwierig vor: Bis heute geht es oft genug darum, Handicaps zu verbergen und mit ihnen so gut wie möglich zurechtzukommen. Zum ersten Schritt braucht man Mut: Aus dem Verbergen in das Licht. Aus dem möglichst Unauffälligen sichtbar werden. Aus der manchmal gut gehüteten Privatheit in die Öffentlichkeit einer Ausstellung.

Verbergen und zeigen: Auch für Menschen ohne offensichtliche Handicaps ist das eine Herausforderung. Was von mir dürfen andere sehen? Was sollen sie sehen? Wann mache ich mich verletzlich, wenn ich anderen etwas von mir zeige?

Verbergen und zeigen: Mit diesem Gegensatzpaar spielt die Fastenaktion der evangelischen Kirche in diesem Jahr. Sie heißt "Zeig dich! Sieben Wochen ohne Kneifen". In vielen Facetten geht es darum, sichtbar zu werden. Sich zu zeigen. Mit der Hoffnung, die man hat. Mit der Liebe, die man hat, aber auch mit den Fehlern, die man hat. Ich verstehe das als Einladung und Ermutigung. Etwa so: Ich darf mich sehen lassen. Ich darf etwas von mir zeigen. Ich darf aus meinem Versteck kommen, weil ich meinen Mitmenschen zutraue, dass sie mich mit Respekt ansehen.

Dr. Peter-Felix Ruelius

4. Wie sich etwas verändert

Schon eine kleine Geste kann helfen, uns in eine bessere Version unserer selbst zu verwandeln.

Ein absolut schlampiger junger Mann, ein Junggeselle, lebte in einer Wohnung, in der es aussah wie auf einer Müllhalde. Die Spüle war voll mit dreckigem Geschirr und wohin man sah: nichts als Unordnung und Schmutz. Der junge Mann wusste sehr genau, in was für einem Chaos erlebte, aber er dachte sich, das sei kein Problem, wenn er niemanden in seine Wohnung lasse.

Auch die junge Frau, die er kennenlernte und in die er sich verliebte, traf er nur außerhalb der Wohnung. Sie machten lange Spaziergänge - aber seine Wohnung sah sie nie. Eines Tages pflückte sie für den jungen Mann eine Rose und schenkte sie ihm. 

Zuhause suchte der junge Mann nun erst nach einer Vase, denn er wollte dieses Geschenk würdig aufbewahren. Und als er eine gefunden hatte, machte er sich erst einmal daran, sie zuscheuern, bis sie glänzte. Er stellte die Rose hinein und füllte die Vase mit Wasser: Wohin nun damit? Er räumte den Esstisch frei und wischte ihn ab. So ganz zufrieden war er nicht, weil er sah, dass dieses schöne Bild nicht zu seinem sonstigen Durcheinander passte. Also fing er an aufzuräumen und hörte nicht eher damit auf, als bis die ganze Wohnung aufgeräumt und sauber war. Seine Wohnung sollte zu dem wertvollen Geschenk seiner Freundin passen - und ohne dass jemand ihn dazu genötigt hatte, hatte diese Rose ihn und seine Wohnung verändert.

Mahatma Gandhi erzählte diese Geschichte seinem Enkel. Und der Enkel, Arun Gandhi,mittlerweile 83 Jahre alt, erzählt sie weiter, in seinem Buch "Wut ist ein Geschenk". Arun Gandhi schreibt, dass ihn, als er ein Jugendlicher war, diese Geschichte sehr berührt habe- das Gefühl des Angenommen-Seins, das in so einer kleinen Geste sichtbar wird, kann helfen, uns in eine bessere Version unserer selbst zu verwandeln.

Mahatma Gandhi hatte noch eine zweite Idee bei dieser Geschichte. Wir selbst, so sagt er, können so sein wie eine Rose, die dort sichtbar wird, wo wir leben und handeln. "Ein einziges lebendiges Beispiel von Liebe oder Hoffnung oder Wahrheit genügt" und im Kontrast dazuwirkt alles andere vielleicht armselig - und Menschen können durch diesen Kontrast ihre eigenen Möglichkeiten besser erkennen. Sie können sich entscheiden und sich verändern.

Dr. Peter-Felix Ruelius

5. Jeder Mensch braucht ein Zuhause!

Zuhause beginnt dort, wo Menschen einander aufnehmen, ohne Angst.

Obelisken stehen seit Jahrtausenden in Ägypten und an vielen anderen Plätzen in der Welt. Als steinerne Bilder der Sonnenstrahlen oder der Strahlen des Sonnengottes stehen sie ganz plastisch für die Verbindung der irdischen und der göttlichen Welt. Wo sie in andere Länder gebracht wurden, haben sie andere Bedeutungen erhalten: Blickfang und Schmuck für zentrale Plätze. In Rom, in Paris - und jetzt auch in Kassel.

Seit der documenta im vergangenen Sommer steht ein Obelisk des afrikanischen Künstlers Olu Oguibe dort auf dem Königsplatz. Der Künstler versteht ihn als Symbol für den Moment und die Kultur des Willkommens, die an vielen Orten in Deutschland während der vergangenen Jahre erlebt werden konnten. "Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt.": Die Inschrift zitiert aus dem Matthäus-Evangelium. In deutsch, arabisch,türkisch und englisch steht sie auf den vier Seiten des Sockels. Einen besonderen historischen Rückblick verbindet der Künstler auch noch mit seinem Denkmal: Die Hugenotten, vertriebene evangelische Christen aus Frankreich, wurden in großer Zahl in Hessen aufgenommen und trugen wesentlich zur Entwicklung der nordhessischen Gesellschaft bei.

Vielen Bewohnern der Stadt ist der Obelisk mittlerweile wertvoll geworden. Menschen verabreden und treffen sich dort - und die Stadt wirbt um Spenden für den Ankauf. Früher waren die Obelisken Zeichen der Sonnenstrahlen. Hier wurde einmal einer zu einem Zeichen für die Strahlen, die von Menschen ausgehen können. Ich stelle mir vor, wenn ich in einem fremden Land ein solches Zeichen sehen würde: Was für ein wertvolles Signal wäre das. Ich würde aufatmen. Mich vielleicht in den Schatten dieses Kunstwerks setzen und für einen Moment Angst und Sorge vergessen.

Die Caritas-Kampagne 2018 heißt: Jeder Mensch braucht ein Zuhause. Der Obelisk sagt: Zuhause beginnt dort, wo Menschen einander aufnehmen, ohne Angst. Zuhause beginnt immer im weiten Herzen und den offenen Armen der Menschen.

Dr. Peter-Felix Ruelius

6. Das Programm des Lebens

Wie wäre es, wenn ich einmal danach frage, was meine eigene „geistige DNA“ ist?

Fast genau vor 65 Jahren schreibt Francis Crick seinem Sohn einen Brief. Francis Crick kennen viele noch aus dem Biologie-Unterricht. Wenn man den Namen James Watson dazu nennt, erinnern sich sie meisten: Crick und Watson: Das waren doch die mit der DNA. Richtig.

Michael, der Sohn von Francis Crick, ist krank und liegt in seinem Internat im Bett. So bekommt er durch den Brief seines Vaters einen wunderbaren und persönlichen Einblick in dessen Denkwerkstatt und erfährt Wochen vor der Fachwelt von einer entscheidenden Entdeckung: "Mein lieber Michael, Jim Watson und ich haben wahrscheinlich eine äußerst wichtige Entdeckung gemacht. Wir haben ein Modell für die Struktur der Des-oxy-ribonuklein-Säure, kurz D.N.A. gebaut." Am Ende des Briefes schreibt er lapidar: "Wir glauben, dass wir den grundsätzlichen Kopiermechanismus entdeckt haben, durch den Leben wieder Leben erzeugt."

Die DNA ist eine Universalstrategie für alle Lebensformen, von der Amöbe bis hin zum Menschen. Die DNA ist das Unverwechselbare jedes Lebewesens. Noch etwas Chemie, aber keine Angst: Es geht hier nur um die Anfangsbuchstaben. Denn DNA besteht im Wesentlichen aus 4 Basen: Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin, abgekürzt mit den Buchstaben A, T, C, G.

Und das bringt mich auf eine Idee: Wie wäre es, wenn ich einmal danach frage, was meine eigene "geistige DNA" ist? Zugegeben. Ein assoziatives Wortspiel. Aber es weckt in mir die Lust zum Weitersuchen. Und so schreibe ich mir die vier Buchstaben untereinander und suche nach passenden Begriffen dazu: Welche Bausteine wären es, aus denen meine DNA, gewissermaßen mein Lebensprogramm, zusammengesetzt ist? Und welche wären Ihre? Vielleicht entstehen ganz großartige Lebensprogramme daraus.

A Anstrengung, Achtung, Aktionen, Akzente, Attraktivität, Aufrichtigkeit …

T Tiefgang, Trends, Treue, Trost, Träume, …

C Courage, Charisma, Chancen, …

G Güte, Gerechtigkeit, Genauigkeit, …

Dr. Peter-Felix Ruelius

7. Dreh das Fernsehen ab, Mutter, es zieht!

Ostern weckt das Leben und den Blick für das Einmalige, das es in jedem Leben gibt.

Mit jedem Jahr, das man lebt, werden die Dinge einander ähnlicher: Wahlen hier und da. Regierungen: passende oder unpassende. Kalte oder milde Winter. Gute Restaurants oder mittelmäßige. Bequeme Schuhe und unbequeme. Was sich unterscheidet, sind doch nur Nuancen.

"Dreh das Fernsehen ab, Mutter, es zieht" - Ende der sechziger Jahre schreibt Georg Kreisler, der österreichische Kabarettist und Musiker, dieses Lied. Wie durch ein offenes Fenster weht immer dasselbe neue Alte ins Zimmer. "Und der Abend ist zu schön für solche Sorgen. / Und das morgige Programm beginnt erst morgen. / Ich weiß schon heut, was man dann sieht - Dreh das Fernsehen ab, Mutter, es zieht!"

Heute hat der Newsticker im Handy das Fernsehen ersetzt - aber die Neuigkeiten werden dadurch nicht besser. Der Strom der Neuigkeiten, die doch kaum noch welche sind, macht unempfindlich. Unempfindlich für Überraschungen, unempfindlich für das Einmalige. Das Grundgefühl dabei: Alles haben wir in irgendeiner Weise schon gesehen. Von allem schon irgendwie gehört. Wenn man diese Dynamik unterbricht, kann man wach werden für die Überraschungen und das Einmalige, das es gibt. Mit Staunen wahrnehmen, dass die wochenlangen Schmerzen sich doch verzogen haben, weil man einen Therapeuten mit genialen Händen hat. Staunen, dass man Blumen bekommt. Überrascht sein, dass man einen Anruf erhält von einem Freund, den man vor Jahren das letzte Mal gesehen hat. Alles alltäglich? Alltäglich schon, aber nicht nebensächlich.

Ostern macht einen Strich durch die Rechnung des immer Gleichen. Wir behaupten, dass tot bleibt, was tot ist. Dass es tot bleibt, weil es immer so war. Ostern behauptet: Es ist anders. Ostern unterbricht den Strom des immer Gleichen. Wer das glaubt, ist der eigentliche Wirklichkeitsversteher: Denn eine Wirklichkeit, die keinen Raum mehr hätte für das wirklich Neue, das es noch nicht gegeben hat, müsste uns lähmen. Ostern weckt das Leben und den Blick für das Einmalige, das es in jedem Leben gibt. "Dreh das Fernsehen ab, Mutter, es zieht!" - In diesem Jahr ist das mein Ostervers.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Impulstexte 2017

Überblick: 7 Impulse für 7 Wochen Fastenzeit

Die Impulse für die Fastenzeit folgten in diesem Jahr, teilweise assoziativ, einer einfachen Frage: Wie soll man in der Welt präsent sein? Wie soll ich mich selbst zeigen und wie sollen andere mich wahrnehmen dürfen? Dazu nehmen die Texte unterschiedliche Spuren auf - am Anfang steht eine, die am Ende des Winters noch besonders gut tut: Eine Spur des Lichts.

Kleine Münze in der großen Weltpolitik? Ja, weil am Anfang ja nicht die Zäune und Mauern und Lager stehen, sondern Empfindungen, Haltungen, Gesten, mit denen Menschen einander begegnen. Bewegt man etwas, wenn man mit dem, was wichtig ist, im kleinsten Umfeld anfängt? Im zweiten Impuls geht es darum, dass es auf den Versuch ankommt. Vielleicht finden sich Mittäter. 

Düfte sind eine wunderbare Art, eine Atmosphäre herzustellen. Und die meisten Menschen reagieren auch ziemlich sensibel auf Düfte oder Gerüche.Kann man diese wunderbare Fähigkeit nutzen, um mitten in der Woche ein wenig Sonntag werden zu lassen? Auch hier kommt es auf den Versuch an, wie der dritte Impuls der Fastenzeitreihe 2017 zeigt. Ganz nebenbei kann man auch etwas darüber lernen, warum der Geruchssinn aus der Sicht des Judentums besonders privilegiert ist.

Ratgeber, kurze und kleine Lebensregeln tauchen immer mal wieder auf und wecken die Hoffnung, dass das Leben ganz einfach sein könnte.Der vierte Impuls enthält eine kleine Anleitung zum Leben. Sie ist sehr unkompliziert. Wird das Leben dadurch einfacher? Wird es besser? Probieren Sie es aus!

Leider, leider ist die Welt wirklich nicht so, wie sie sein sollte. Und leider, leider fällt einem das immer wieder auf. Wie sollte man sich da zurückhalten? Man muss doch…Von einem kleinen inneren Widerstreit mit dem Ergebnis der intensiven Reflexion der eigenen Wahrnehmung aller Fehler dieser Welt berichtet der fünfte Impuls.

Nur ein einziger Buchstabe trennt das Zappen vom Zappeln: Die Kulturtechnik, die möglichst schnell von einer Information zur nächsten springen will, ist manchmal ganz leicht zu verwechseln mit der unkonzentrierten Unruhe, die man bei jedem "Zappelphilipp" gerne abtrainieren würde. Überall gleichzeitig sein wollen: Wer das will, merkt, dass es nicht funktioniert. Der sechste Impuls bietet als Gegengewicht gewissermaßen die "Langversion" der Konzentration.

Sehnsuchtsorte: Wir finden sie möglicherweise auf unseren Reisen als Orte, an die wir gerne immer wieder zurückkehren möchten. Sehnsuchtsorte finden wir vielleicht auch in der Geschichte unseres Lebens. Der siebte und letzte Impuls begleitet eine solche Sehnsucht - und sucht danach, was hinter ihr verborgen ist.

1. Licht-Neid

"Ihr seid das Licht der Welt." Jesus redet so seine Jünger an. Euer Licht soll vor der Welt leuchten. Versteckt es nicht.

Am ersten Fastensonntag ist es wieder soweit. Dann brennt das Hutzelfeuer. Auf jedem Hügel, an jedem Dorfrand. In der Rhön ist Hutzelsonntag. Haufenweise alte Weihnachtsbäume werden aufgeschichtet, dazu Reisig und alte Paletten. Der Ehrgeiz jedes Dorfes ist, das größte und schönste und am längsten brennende Hutzelfeuer anzuzünden. Ganz oben: Die Hutzel, die Winterfigur, die verbrannt wird, damit das Frühjahr kommen kann.

Wenn man einen guten Aussichtspunkt hat, dann kann man die Feuer weit sehen, über das ganze Land verteilt. Oder besser: Früher konnte man sie richtig gut sehen. Weil früher eben alles besser war und die Hutzelfeuer heller? Nicht ganz. Aber die "Lichtverschmutzung" macht den Hutzelfeuern zu schaffen: Straßenbeleuchtungen und überhaupt viel zu viel Licht überall machen den Feuern Konkurrenz. Und seitdem an fast jedem Ortsrand ein Gewerbegebiet steht, das mit Leuchtreklamen das Seine dazu beiträgt, leuchten die Hutzelfeuer eher als bescheidene Dekoration durch die Lande.

"Ihr seid das Licht der Welt". Jesus redet so seine Jünger an. Euer Licht soll vor der Welt leuchten. Versteckt es nicht. Das heißt: Verhaltet euch so, dass ihr mit eurem Licht für die Welt erkennbar und weit sichtbar seid. Und was ist, wenn es schon überall hell ist? Wenn es überall leuchtet, was mache ich dann? So ungefähr fühlen sich Kirche und Christentum in der Gesellschaft heute: nämlich, dass sie etwas auf verlorenem Posten stehen. Dass sie unerkennbar werden. Dass sie nicht mehr wahrgenommen werden auf dem vielfältigen Markt der Weltanschauungen und Lebensbewältigungsangebote. Es ist so, als ob das Feuer neidisch wäre auf die schicke LED-und Neon-Beleuchtung.

Aber ganz im Ernst: Wird mein eigenes Licht dunkler, wenn mein Nachbar auch eins hat? Wird meine Liebe weniger, wenn ein anderer auch liebt? Wird mein Geschenk weniger wert, wenn ein anderer etwas schenkt? Wird mein Lied leiser, wenn eine andere Stimme es auch singt? Hat mein Champagner weniger Perlen, wenn der Nachbar auch welchen hat? Lass dein Licht leuchten vor der Welt. Und sei nicht neidisch auf anderes Licht. Dein eigenes ist das, was zählt.

Dr. Peter-Felix Ruelius

2. Reisende oder Mitreisende?

Wenn wir anfangen, höflich zu sein, dem anderen seinen Platz zubilligen, daraus könnte doch Liebe entstehen.

Was für eine schöne Zugfahrt. Am Anfang jedenfalls. Ich habe eine längere Fahrt vor mir und finde noch ein freies Abteil. Genial. Die Tasche kommt auf den Sitz neben mir, die Zeitung hat Platz auf dem Sitz gegenüber. Mein kleines Reich. Ich bin für mich.

Ein Bahnhof weiter. Ein zweiter Reisender steigt ein. Für uns beide ist immer noch so viel Platz, dass keiner den anderen stört und jeder bequem seine Beine ausstrecken kann. Nächster Halt. Der Bahnsteig ist voller Leute. Der Zug füllt sich. Ich muss meine Tasche vom Nebensitz nehmen und meine Beine etwas anziehen: Das Zugabteil ist jetzt voll besetzt. Und ich bemerke, dass sich ein leichter Unmut breit bei mir macht. "Mein" Abteil muss ich jetzt teilen. Die "Neuen" sind so etwas wie Eindringlinge. Ich heiße sie nicht willkommen. Und das, obwohl mir ja klar ist, dass Sitzplätze im Abteil zum Sitzen da sind.

Ich habe es in der Hand, ob aus dem, der ankommt, ein Mitreisender wird. Durch eine winzige Geste, einen Blick.

Anderer Kontext - gleiches Thema: Vor mehr als vierzig Jahren hatten sich Vertreter verschiedener Religionen in Zürich getroffen. Das war damals noch keine Selbstverständlichkeit. Der jüdische Gelehrte Friedrich Weinreb und der große katholische Theologe Karl Rahner gehörten zu den Teilnehmern. Rahner war skeptisch, ob aus einer rein höflichen Begegnung mehr werden kann. Friedrich Weinreb erwiderte ihm: "Wenn wir anfangen, höflich zu sein, dem anderen seinen Platz zubilligen, daraus könnte doch Liebe entstehen. Nur die Liebe zum unbekannten Gott kann uns alle vereinen. Liebe ist mehr als Philosophie. Mit Rechthaben kommen nur Aggressionen. Der Respekt vor dem Nächsten kann zur Liebe werden." Von Karl Rahner kommt dann die schöne Antwort: "Ja, man hat nur Recht im Lieben. Sogar den Fremden. Ich rede noch nicht einmal vom Feind. Im Lieben erkennen wir uns - jeder bleibt, wer er ist. Ihn so lieben zu können ist möglich."

Mein Zugabteil. Mein Land. Meine Stadt. Meine Straße. Mein Büro. Ich habe es in der Hand, ob aus Menschen, die einen Platz suchen, meine Mitreisenden werden.

Dr. Peter-Felix Ruelius

3. Sonntagsduft

Der Geruchssinn ist der einzige der menschlichen Sinne, der nicht am Sündenfall beteiligt war. Einzig die Nase war unschuldig – und ist daher in der Lage, durch den Duft, den sie wahrnimmt, den Menschen zu trösten.

Hat der Sonntag einen Geruch? Vielleicht nach gutem Essen oder Kuchen oder nach einem Glas Wein am Abend, nach Parfum oder nach der frischen Luft von Feld oder Wald oder Garten? Was für eine Frage am Mittwoch! Vielleicht genau die richtige.

Im Judentum gibt es einen schönen Brauch. Dieser Brauch schließt den Sabbat, den jüdischen Feiertag jeder Woche, ab. Eine Büchse mit duftenden Kräutern wird geöffnet und man riecht daran, atmet den Geruch dieser Kräuter ein, um den Wohlgeruch dieses Tages mitzunehmen in die Woche. Die Erklärungen, die es dazu gibt, sagen: Dieser Brauch dient dazu, die Traurigkeit etwas abzumildern, die mit dem Abschied vom Sabbat verbunden ist. Denn der Sabbat ist das wöchentliche Bild der Vollkommenheit, des guten und erfüllten Lebens. Warum ausgerechnet der flüchtige Duft von Kräutern diese Aufgabe übernehmen soll, ist nicht ganz eindeutig. Eine Erklärung sagt, dass der Geruchssinn der einzige der menschlichen Sinne ist, der nicht am Sündenfall beteiligt war. Denn Hören und Sehen, Greifen und Schmecken: All das spielt in der biblischen Erzählung von der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis eine Rolle. Einzig die Nase war unschuldig - und ist daher in der Lage, durch den Duft, den sie wahrnimmt, den Menschen zu trösten.

Was für eine schöne Idee - und wie nachvollziehbar! Schöne Gerüche und Düfte spielen für den Gefühlshaushalt der meisten Menschen eine erhebliche Rolle. Die (Wieder-) Entdeckung in der Aromatherapie kennt diesen Zusammenhang und nutzt ihn.

Man könnte es ja ausprobieren: Wenn der Alltagsgeruch am Montag schon anfängt, alles zu überlagern, das Gemisch aus Abgas, abgestandener Büroluft oder was auch immer - oder wenn es mir aus einem anderen Grund gerade richtig stinkt - dann könnte ich mich ja an den Geruch des Sonntags zu erinnern versuchen. Oder ganz bewusst an jedem Sonntag einen Duft tief einatmen. Und dann, wenn die Woche anstrengend wird, mein Duftgedächtnis aktivieren. Damit die Woche wieder eine Ahnung davon bekommt, wofür sie da ist.

Dr. Peter-Felix Ruelius

4. Weitersagen. Ausprobieren. Leben.

Gerade wenn’s kompliziert wird, kann ich dem Gedanken etwas abgewinnen, dass es ein paar wenige, griffige Formeln gibt, die das Leben gelingen lassen oder wenigstens etwas leichter machen.

Es ist ein paar Wochen her, da landete als Anhang einer Rundmail ein Text bei mir, den ich vor längerer Zeit schon einmal gelesen hatte: "Sieben kleine Anweisungen zum Leben". Gerade wenn's kompliziert wird, kann ich dem Gedanken etwas abgewinnen, dass es ein paar wenige, griffige Formeln gibt, die das Leben gelingen lassen oder wenigstens etwas leichter machen. Hier also der Text:

  1. Mach aus der ängstlichen Sorge um morgen die behutsame Fürsorge für heute.
  2. Vergleiche dich nicht mit anderen, es bedeutet sinnloses Leiden. Jeder Mensch ist unvergleichlich. Darum brauchen wir niemanden zu beneiden oder verachten.
  3. Plane deine Zeit, aber lass Freiräume für Überraschungen. Nimm Menschen stets wichtiger als Dinge. Wer liebt, hat Zeit!
  4. Ärgere dich nicht über andere. Wer sich über andere aufregt, büßt ihre Sünden. Nur wer liebt und vergibt, kann Menschen verändern.
  5. Teile gern mit anderen. Teilen vermehrt das Lebenskapital. Und die Vermehrung des Lebens beginnt immer mit dem Opfer.
  6. Vergiss die Freude nicht. Suche bewusst die kleinen und großen Anlässe zur Freude bei dir und anderen.
  7. Beginne den Tag mit einem Gespräch mit Gott. Danke, klage, bitte, singe, aber rede mit ihm. Er wartet schon auf dich.

Natürlich weiß ich, dass das Leben viel komplizierter ist und sich nicht mit ein paar einfachen Regeln bewältigen oder gestalten lässt. Aber ich mache ein Gedankenexperiment: Wenn sich sagen wir mal 80 Prozent der Menschen, die ich kenne und mit denen ich zu tun habe (mich selbst natürlich eingeschlossen), für eine Woche danach richten würden: Ich denke, das würde ich schon merken. Wer es noch einfacher mag, kann sich ja aus den sieben kleinen Anweisungen eine einzige aussuchen und damit probeweise einmal ein paar Tage leben. Meinen persönlichen Favoriten habe ich schon.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Die "sieben kleinen Anweisungen zum Leben" sind entnommen aus: aus: Axel Kühner: Hoffen wir das Beste,
Aussaat-Verlag, Neukirchen-Vluyn. Viele Texte von Axel Kühner kann man nachlesen auf der Seite: www.miriam-stiftung.de/

5. Hinschauen? Wegschauen?

Es gehört zur Welt, dass manchmal die Dinge nicht so sind, wie ich meine, dass sie sein sollen. Nicht immer kann und muss ich eingreifen.

Eine Tagung. Einer der Teilnehmer steht auf, weil er ein Projekt vorstellen will. Als er aufsteht, stößt er mit dem Fuß die Wasserflasche um, die neben seinem Stuhl auf dem Boden steht. Auf dem Holzboden breitet sich eine große Pfütze aus. Das langsam ins Holz einziehende Mineralwasser nimmt meine Aufmerksamkeit gefangen. Nebenbei gesagt - das war allemal interessanter als der Vortrag. Und noch interessanter war das innere Zwiegespräch in mir.


1. Stimme: Wasser auf dem Holzboden. Ganz blöd. Muss man eigentlich sofort aufwischen.
2. Stimme: Aber nicht schon wieder du.
1. Stimme: Auf dem Flur war doch vorhin der Kaffee aufgebaut. Da gibt's doch bestimmt Servietten.
2. Stimme: Mag sein. Dann wird ja jemand rausgehen können, der näher an der Tür sitzt.
1. Stimme: Wenn es aber außer mir niemand mitgekriegt hat?
2. Stimme: Hat es aber. Das Klirren der Flasche haben die anderen doch auch gehört. Bleib doch einfach mal sitzen und fühl dich nicht immer für jede Wasserpfütze zuständig.
1. Stimme: Pah. Wenn jeder so denken würde.
2. Stimme: Keine Sorge. Denkt ja nicht jeder so.
1. Stimme: Toll. Und der Boden? Da muss man doch drauf achten.
2. Stimme: Ich denke mal, dieser Saal wird schon so einiges erlebt haben. Der hält das wahrscheinlich aus.
1. Stimme: Hmmm.

Das Ende vom Lied: Ich bleibe sitzen. Die zweite Stimme hat gesiegt. War nicht einfach. Und ich erlebe wieder einmal das spannende Spiel der Balance zwischen Hilfsbereitschaft, Wichtigtuerei, Zurückhaltung und Gelassenheit, das oft so schwer fällt.

Es gehört zur Welt, dass manchmal die Dinge nicht so sind, wie ich meine, dass sie sein sollen. Nicht immer kann und muss ich eingreifen. "Alles sehen, vieles übersehen, wenig korrigieren." Johannes XXIII. hat sich diese Maxime zu eigen gemacht. Ziemlich mutig für einen Papst. Und gar nicht so einfach. Aber ganz schön klug.

Dr. Peter-Felix Ruelius

6. Zappen oder bleiben?

Ruhige Aufmerksamkeit: Das ist wahrscheinlich eines der gefährdetsten Güter unserer Zeit.

Zuerst tauchte das Zappen in der Science-Fiction auf: Da war es noch ganz schön grausam. Zappen hieß da: jemanden mit einem futuristischen Strahlengewehr oder einer Laserkanone oder sonst einer Science-Fiction-Waffe einfach ausschalten. Anvisieren. Auslösen. Zap! Der Gegner ist erledigt.

Heute werden keine Feinde mehr weggezappt, sondern höchstens langweilige Nachrichtensprecher, öde Unterhaltung, nervige Werbung. Zap. Weg damit: Und ich bin beim nächsten Programm. Zap. Wieder eins weiter. Damit was passiert. Damit etwas auftaucht, das mir gefällt. Das meine Nerven kitzelt. Und weil Dinge ja meistens auftauchen, wenn sie in ihre Zeit passen, ist das Zappen auch ein ganz guter Indikator für viele Bereiche des Lebens. Ich kenne Gesprächspartner, die machen den Eindruck, als würden sie am liebsten ständig weiterzappen: zum nächsten Thema, zum nächsten Gespräch. Ruhige Aufmerksamkeit: Das ist wahrscheinlich eines der gefährdetsten Güter unserer Zeit.

Die Bibel erzählt von einer der schönsten und langsamsten Begegnungen, die ich kenne. Sie ist mein Bild für das Anti-Zapping schlechthin. Als Hiob, der Mann, der kaum fassbares Leid erfahren hat, ganz am Ende ist, besuchen ihn drei Freunde. Sie sind entsetzt, als sie ihren Freund sehen. So elend sieht er aus. Und dann schreibt die Bibel: Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte; keiner sprach ein Wort zu ihm. Denn sie sahen, dass sein Schmerz sehr groß war. Hiobs Freunde bleiben. Sie fliehen nicht in etwas, das sie ablenkt. Sie schweigen. Sammeln sich und sammeln ihre Gedanken. Für eine lange Zeit. Das Bleiben ist ihr wertvollstes Geschenk an ihren Freund. Bleiben und schweigen.

Es wird mir nie gelingen, meine Aufmerksamkeit so lange zu sammeln. Aber für die Dauer eines Gesprächs, für die Zeit einer Begegnung, das kann funktionieren. Damit das Zappen nicht den Rhythmus angibt, der das Leben bestimmt.

Dr. Peter-Felix Ruelius

7. Sehnsucht nach Leben

Hier werde ich immer wieder so glücklich sein können wie jetzt.

Da war er einmal richtig glücklich, erinnert sich der Philosoph und Schriftsteller Coen Simon, auf einer Lichtung, die er als Kind entdeckt hat. In einem Augenblick bekam er einen unvergesslichen Eindruck einer vollkommenen, fast heiligen Landschaft. Etwas war in seiner Vorstellungswelt auf einmal anders geworden, hatte sich plötzlich konzentriert: Es gab einen unversehrten Ort, an dem er Glück, Zufriedenheit, Einheit erleben konnte.

Die Sehnsucht nach diesem Ort blieb. Viele Jahre später geht Simon diesem Erlebnis auf den Grund. Was er dabei entdeckt, kann man vereinfacht so beschreiben: Die Sehnsucht nach einer bestimmten Landschaft ist, so sagt er, gar nicht die Sehnsucht nach den Bäumen oder dem Gras oder den Blumen oder dem Zusammenspiel von Licht und Schatten, sondern die Sehnsucht nach dem Glück, das wir einst empfunden haben. Entdeckt man voller Glück und Zufriedenheit einen wunderbaren Ort, einen besonderen Platz, dann ist der Satz, der dazugehört: "Hier werde ich immer wieder so glücklich sein können wie jetzt."

Als erwachsener Mann sucht Coen Simon noch einmal nach der Lichtung aus Kindertagen. Er findet sie nicht. Aber die Sehnsucht nach ihr ist geblieben. Ein geistiges Heimweh.

Mit dem Blick auf Ostern lese ich in einem Gedicht des Dichters Andreas Knapp:

sterben möchte ich

lebenshungrig

krank vor sehnsucht

an lauter heimweh

nach IHM.¹

Irgendwo, irgendwann, ist in unser Herz ein Bild, ein Eindruck, eine Sehnsucht eingepflanzt worden, die wohl über alle Bilder von Landschaften, von Orten und Begegnungen hinausreicht. In diesem Moment sind wir Glückssucher geworden. Lebenssucher. Ostern erinnert uns daran. Es weckt unsere Sehnsucht und will nichts weniger sein als die Garantie: UnsereSehnsucht nach Leben und aller Lebenshunger und alles große Heimweh haben recht.

Dr. Peter-Felix Ruelius

¹ Andreas Knapp, Gedicht: Todesursachen, in: Weiter als der Horizont, Echter Verlag Würzburg, 2002, 8. Aufl. 2015, S.17

Impulstexte 2016

Überblick: 7 Impulse für 7 Wochen Fastenzeit

Im weitesten Sinn ging es bei den Fastenimpulsen im Jahr 2016 um die Suche nach Schätzen oder nach den Reichtümern, von denen unser Leben geprägt und umgeben ist. Den Auftakt macht eine Überlegung, wo eigentlich der richtige Ort ist, um Schätze zu suchen - und wonach es sich zu suchen lohnt.

Der zweite Impuls hat auf den ersten Blick nichts mit Fasten zu tun. Oder doch - wenn mit Fasten auch der Verzicht auf Enge und ihre Überwindung gemeint ist: Dann kann Fasten zum Fest werden.

Wann hat man eigentlich die besten Ideen? Oft zu spät! Der dritte Impuls unterscheidet zwischen Schlagfertigkeit und Geistesgegenwart - und hält ein deutliches Plädoyer für die Geistesgegenwart.

Für den vierten Impuls ist kaltes und nasses Wetter, das einen leider allzu oft durch die Wochen der Fastenzeit begleitet, die richtige Zutat; den Grundgedanken kann man allerdings getrost auch in Tage mit Sonnenschein mitnehmen.

Der vierte Fastensonntag ist der Sonntag "Laetare", übersetzt: "Freue Dich". Woran? Das Leben gibt zahlreiche Anlässe. Notwendig dazu: Entdeckerfreude und eine Haltung, die im Kleinen das Wesentliche erkennen will. Dieser Spur folgt der fünfte Impuls.

Der sechste Impuls lenkt den Blick auf eine sehr barmherzige Seite unserer biologischen Ausstattung - wichtig in einer Zeit, die uns mit Informationen, Eindrücken, Anregungen nur so überschüttet. Es ist ein Lob auf das Vergessen.

Der letzte Impuls der Reihe der Fastenimpulse 2016 lädt dazu ein, Menschen ganz einfach Menschen sein zu lassen. Und das ist dort besonders anspruchsvoll, wo wir lieben und anderen Menschen mit hohen, teilweise höchsten Erwartungen konfrontieren.

1. Nie genug: Schätze aus dem Himmel holen

Gott sei Dank bekommen die Menschen nie genug. Sie sind in ihrer Sehnsucht unendlich. Sie sind geschaffen für den Blick in den Himmel.

Viele haben die Meldung gar nicht mitbekommen: Der US-Kongress hat im letzten November ein Gesetz verabschiedet, das regelt, wie man mit wertvollen Bodenschätzen aus dem All umgehen soll. Jeder Amerikaner, der mit einer Lizenz des Verkehrsministeriums und der NASA ins All fliegt, um dort Bergbau zu betreiben und Bodenschätze abzubauen, der darf das tun. Und wer dort etwas Brauchbares findet, darf es behalten, nutzen oder veräußern.

Auf den ersten Blick: Eine komische Idee. Wie kommt eine Nation darauf, Dinge zuzuteilen, die ihr nicht gehören? Wer kann überhaupt Rechte vergeben zur Nutzung von Planeten, die Lichtjahre entfernt sind?

Ein zweiter Blick: Die Schätze aus dem Himmel holen - ja, so sind die Menschen! Sie verwerten alles was brauchbar ist, was man profitabel nutzen und vermarkten kann. Selbst wenn man es aus dem Himmel holen muss. Kriegen sie nie genug?

Nein, Menschen bekommen wirklich nie genug. Gott sei Dank bekommen die Menschen nie genug. Sie sind in ihrer Sehnsucht unendlich. Sie sind geschaffen für den Blick in den Himmel. "Alles beginnt mit der Sehnsucht" schreibt Nelly Sachs. Alles: auch die Arbeit des Verstandes, der immer weiter will und immer weiter kommt. Eben bis dahin, dass er Schätze aus dem Himmel holen will. Weil der Geist des Menschen ins Grenzenlose geht, kann er gar nicht anders.

Schätze aus dem Himmel holen - das ist schon in Ordnung: Aber doch bitte nicht schon wieder Erdenkrempel, Material, Rohstoffe, Bodenschätze. Menschen-Sehnsucht geht doch weiter als bis zu seltenen Mineralien. Sie sucht Segen und Glück. Und Leben in Fülle. Die Sehnsucht kann nur finden, was ihr entspricht, wenn sie nicht wieder mit Endlichkeit zugeschüttet wird.

Die Fastenzeit, die am Aschermittwoch beginnt, kann in diesem Sinne eine Zeit der Schatzsuche sein, eine Zeit, die so richtig Lust machen soll. Lust auf die großen Schätze, die man aus dem Himmel holen kann und eine Zeit, in der die Sehnsucht groß wird.

Dr. Peter-Felix Ruelius

2. Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge

Das große Herz oder die Großherzigkeit bleibt selten wirkungslos. Ein großes Herz steckt an. Ein großes Herz schafft es, andere aus der Enge des Lebens zu führen.

In einem kleinen dänischen Dorf leben im 19. Jahrhundert zwei Schwestern. Ihr Vater, ein frommer und strenger Pastor, der Gründer der Gemeinde, hatte bereits früh dafür gesorgt, dass die beiden Mädchen vor allem eines werden: fromm, sittenstreng und enthaltsam. So blieben sie allein, bis der Vater starb und sie selbst alt und säuerlich wurden.

Eine junge Köchin, Babette, kommt in die Gemeinde. Sie ist auf der Flucht und will nichts weiter als Sicherheit und ein Dach über dem Kopf. Als Gegenleistung wird sie für die beiden Schwestern kochen. Das Wunder beginnt, als Babette in einer Lotterie die sagenhafte Summe von 10.000 Francs gewinnt. Und was macht sie? Sie will für die Gemeinde ein Festmahl ausrichten. Den beiden Schwestern und den übrigen Bewohnern des Dorfes ist das unheimlich, erst recht als sie sehen, was Babette von überall her anliefern lässt: nur das Beste. Schließlich, so erfährt man nun, war sie in Paris eine der besten Köchinnen überhaupt. Es wird ein Festmahl, wie man es hier noch nie erlebt hat. Die Dorfbewohner allerdings sind nur widerstrebend bereit, sich darauf einzulassen. Sie verabreden, sich keinen Genuss anmerken zu lassen. Ihre strenge Lebensführung geht ihnen über alles.

Doch ganz langsam erwachen sie dann doch aus ihrer Starre, lassen sich anrühren, werden leicht, erinnern sich an ihr Leben und an ihre Wünsche. Sie können genießen. Und ihr Herz wird weit.

Die diesjährige Fastenaktion der evangelischen Kirche heißt: "Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge". Durch dieses Motto erinnere ich mich an den Film "Babettes Fest" aus den achtziger Jahren. Eine unerträgliche Enge wird überwunden. Babette schenkt mit ihrem großen Herzen den anderen einfach ein grandioses Fest. Der Clou dieses Fastenmottos ist: Das große Herz oder die Großherzigkeit bleibt selten wirkungslos. Ein großes Herz steckt an. Ein großes Herz schafft es, andere aus der Enge des Lebens zu führen. Ich kann es auf
den Versuch ankommen lassen, meiner eigenen Großherzigkeit ein wenig freien Lauf zu lassen. Und bin neugierig, was dann passiert.

Dr. Peter-Felix Ruelius

3. Der Geist auf der Treppe – oder der Geist im Herzen

Der Geist Gottes bringt mich in Verbindung zu dem, was für mich und für meine Seele wichtig ist.

Es war eine ziemlich gute Präsentation. Und die neue Mitarbeiterin hatte sich wirklich gut geschlagen. Hatte auch auf Nachfragen Richtiges und Gutes sagen können. Die Fakten waren gut recherchiert, ihre Schlussfolgerungen sinnvoll. Also: alles in Ordnung. Wenn nicht - ja wenn ihr nicht drei Minuten nach ihrem Auftritt noch ein ganz hervorragendes Argument in den Sinn gekommen wäre. Sie war verärgert. "Das hätte mir ja wirklich auch vor fünf Minuten schon einfallen können! Zu blöd!"

Franzosen haben für diese Situation ein eigenes Wort: "Esprit d'escalier", wörtlich: "Treppen-Geist" - der Geist hier verstanden als Inspiration oder Einfall. Der französische Dichter Diderot hat dieses Wort einmal geprägt. Die Inspiration, so sagt er, hat der Komödiant dann, wenn er die Treppe hinuntergeht, die ihn von der Bühne führt. So richtig ins Deutsche lässt sich das nicht übersetzen. Aber es trifft genau das Gemeinte: Wenn man gerade den Gesprächspartner verlassen hat und genau dann den richtigen Einfall, die zündende Idee hat. Eben: nach einer Diskussion, nach einem Streit, vielleicht auch nach einem Bewerbungsgespräch oder nach schwierigen Verhandlungen.

Ich bin mittlerweile etwas gelassener geworden. Das Richtige zu sagen ist vielleicht weniger eine Frage der Schlagfertigkeit als der Geistesgegenwart. Christlich gesprochen: eine Sache der Gegenwart des Geistes Gottes. Und das erste, was der Geist Gottes macht: Er bringt mich in Verbindung zu dem, was für mich und für meine Seele wichtig ist. Und er macht ruhig. Wenn ich mich dieser Gegenwart öffne, ist die Ruhe des Herzens meistens ein guter Indikator für diese Geistesgegenwart. Das ist kein Augenblickserfolg, sondern eine ruhige Gegenwart bei mir selbst und bei allem, was entscheidend ist. Wenn ich bei mir selbst und meinem Wichtigen zu Hause bin, dann werde ich das Wichtige und Richtige sagen können. Das ist die beste Vorbereitung für jedes Gespräch, für jeden entscheidenden Moment. Der Heilige Geist: Er ist weniger der Geist auf der Treppe als der Geist im Herzen.

Dr. Peter-Felix Ruelius

4. Hühnersuppentag – oder wie ist Gott?

Ein Hühnersuppentag ist einer, an dem es mir nicht so gut geht. An dem ich einfach kaputt bin. Ein Tag, der ungemütlich ist. Ungemütlich draußen und ungemütlich in mir selbst. An solchen Tagen gibt es Hühnersuppe.

"Was hast du eigentlich für Bilder vor Augen, wenn Du an Gott denkst?" Die Frage ist einigermaßen überraschend. Oder auch nicht. Warum sollte man jemanden, der Theologie studiert hat und immer mit diesen Themen zu tun hatte, so etwas nicht fragen? Ich selbst habe mich das so deutlich lange nicht gefragt.

"Was hast du eigentlich für Bilder vor Augen, wenn du an Gott denkst?" Ich kann in dem Moment, in dem ich gefragt werde, keine richtige Antwort geben. Aber dann gehe ich auf die Suche. Und ich finde keine Bilder, sondern etwas, das aus Bildern, Gefühlen und Stimmungen, aus Erlebnissen und Erfahrungen gemischt ist. Aus all dem setzt sich etwas zusammen, was dem Gedanken nahekommt: Ja, so müsste er sein.

Eine meiner Lieblingsmischungen, um etwas davon zu ahnen, wie Gott ist, das ist ein Hühnersuppentag. Ein Hühnersuppentag ist einer, an dem es mir nicht so gut geht. An dem ich einfach kaputt bin. Ein Tag, der ungemütlich ist. Ungemütlich draußen und ungemütlich in mir selbst. An solchen Tagen gibt es Hühnersuppe. So eine richtig gute. Selbstgemacht und richtig heiß. Und dann: eine warme Wolldecke über die Schultern und einfach nur Ruhe haben. Nichts machen, nichts erreichen, nichts vollbringen. Und wissen, dass jetzt Zeit ist,
wieder Kräfte zu sammeln. Es wird wieder gut. Das gelingt mal mehr, mal weniger. Meine Hühnersuppe ist schließlich nicht der Zaubertrank von Miraculix. Aber so im Großen und Ganzen sind meine Hühnersuppentage Inseln von Geborgenheit und Trost und Stärkung.

Und das hat mit Gott zu tun? Ja, weil das der Ausdruck ist, den mein persönlicher Glaube finden kann, zusammengesetzt aus der Vielfalt meines Lebens. Jeder hat andere Bilder und Eindrücke, die zu tun haben mit Sehnsucht, mit Trost, mit Freude, mit Dank, mit Geborgensein oder mit der Lust auf Leben. Alles kann drin sein. Mit Gott leben heißt: Diesen Reichtum des eigenen Lebens erkennen, auskosten und verstehen, wie vielfältig Gott auch für mich ist. Die Stellen, an denen ich etwas von ihm ahnen kann, sind unvorstellbar viele.

Dr. Peter-Felix Ruelius

5. Alles ist Windhauch – oder doch nicht?

Alles ist wichtig, verdient unsere Aufmerksamkeit und ist ein wunderbarer Teil des Lebens.

Ein Konzert auf der Abschieds-Tournee von Juliette Gréco, die mit fast 89 Jahren noch einmal auf der Bühne steht. Juliette Gréco: Das ist die große alte Dame des französischen Chansons. Sie ist wie eine Botin aus einer anderen Zeit. Als die Filme noch in schwarz-weiß gedreht wurden. Und es eben Chansons gab. Die Älteren erinnern sich.

Eines der Chansons bleibt mir ganz besonders im Gedächtnis. Es ist voller Lebenslust. Da heißt es: "Weder schönes noch schlechtes Wetter, weder der Duft des Ozeans noch der Wind, der über ein Weizenfeld streicht: nichts davon ist Eitelkeit. Nicht die warme Haut des Liebhabers noch der Glanz der untergehenden Sonne, noch die Wohltat eines kühlen Weins: Nichts ist Eitelkeit."

Bibelfeste haben die ersten Zeilen aus dem Buch Kohelet im Kopf, in den evangelischen Bibelausgaben heißt er der Prediger Salomos: "Alles ist eitel, alles ist Windhauch". Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Seine pessimistische Sicht umfasst das Tun der Menschen und die Weltgeschichte im Ganzen. Nirgendwo ist wirklich Glück zu finden. Am Ende steht für Kohelet immer das ernüchternde Fazit: Es ist doch alles Windhauch. Alles eitel. Alles unerheblich. Alles belanglos.

Juliette Gréco nennt ihr Lied ausdrücklich: den Gegen-Kohelet, oder, wie das Buch in der französischen Bibel heißt: Contre-Ecclésiaste: "Weder die Ängstlichkeit eines Kindes, noch das Lächeln von einem, der vorübergeht, auch nicht der Duft eines Fremden: Nichts davon ist Eitelkeit." Alles, alles, so singt sie, ist wichtig, verdient unsere Aufmerksamkeit und ist ein wunderbarer Teil des Lebens.

Ist hier jemandem vor lauter Optimismus die rosa Brille fest auf die Nase gewachsen? Nein: Auch in dem Chanson gibt es das, was eitel, vergänglich, schädlich ist: Das Wegschauen, die Arroganz, die Grausamkeit, die Verbitterung der Abgestumpften, das Sterben der Schönheit und der Verrat an der Wahrheit. All das ist wirklich eitel, vergänglich und so, dass man es getrost vergessen darf. Doch der große Rest: Lebensreichtum. Keine Eitelkeit, kein Windhauch.

Dr. Peter-Felix Ruelius

6. Barmherziges Vergessen

Dinge vergessen zu können ist eine Gabe, die uns das Leben erst ermöglicht.

Was für eine Ironie: Der Mann, der nichts vergessen konnte, ist heute ziemlich vergessen: Oder können Sie mit dem Namen Schereschewski auf Anhieb etwas anfangen? Solomon Weniaminowitsch Schereschewski starb vor rund sechzig Jahren als ein ziemlich gebrochener Mensch - und dabei hatte er doch eine wunderbare Gabe: Er besaß ein verblüffendes Gedächtnis.

Ein Psychologe wird früh auf ihn aufmerksam und testet ihn mit immer größeren Mengen von Fakten, zusammenhanglosen Zahlenreihen, Formeln und Wörtern. Niemals vergisst Schereschewski etwas. Das macht ihn zum bewunderten Gedächtniskünstler. Aber seine besondere Gabe macht ihn nicht glücklich im Leben. Denn was er nicht kann: Vergessen. Weil alles in gleicher Weise gegenwärtig ist, kann er nicht unterscheiden zwischen dem Wichtigen und dem Unwichtigen. Sein Gehirn gleicht einem Archiv, das er nie schließen kann und das ihm ungefragt alles ohne Unterschied gleichzeitig zur Verfügung stellt. Wissen, Erinnerungen an Gutes ebenso wie an Schmerzvolles und an Verletzungen.

Auch wenn ich manchmal gerne ein besseres Gedächtnis hätte, bin ich froh, dass es das Vergessen gibt. Meiner Ansicht nach ist diese Ausstattung unseres Gehirns im Großen und Ganzen nicht nur eine gute ökonomische Einrichtung, sondern auch so etwas wie eine Form der Barmherzigkeit der Schöpfung gegenüber uns Menschen. Dinge vergessen zu können ist eine Gabe, die uns das Leben erst ermöglicht.

Und wenn man aktiv vergessen könnte, aktiv Dinge aus dem Speicher der Erinnerung werfen könnte? Der Apostel Paulus sagt es einmal so: "Ich vergesse, was hinter mir liegt und strecke mich nach dem aus, was vor mir liegt." Dieses Lebensprogramm kann ich in einen Bereich meines eigenen Lebens übersetzen. Dann wird es zu einer Übung der Barmherzigkeit. Und die könnte so aussehen: In den Beziehungen zu anderen Menschen das vergessen, was nicht so gut war. Es einfach liegen lassen und den Blick darauf richten, was in Zukunft an Gutem möglich sein wird. In neuen Begegnungen kann ich dem Neuen und Guten eine Chance geben.

Dr. Peter-Felix Ruelius

7. Lieben – geerdet.

Beziehungen zerbrechen oft nicht so sehr an dem zu geringen Maß an Liebe, sondern an ihren zu großen Erwartungen, zu großen Hoffnungen.

"Wer liebt, sucht im letzten einen Gott". Roman Bleistein, der Theologe und Pädagoge, formuliert einen provokanten Satz. "Wer liebt, sucht im letzten einen Gott, das heißt einen, der ihn so erfüllt, dass weder Maß noch Grenze vorhanden sind: also Ewigkeit, Unendlichkeit. Der eine Mensch verheißt dem anderen eine solche Erfüllung. Welcher Mensch kann dafür einstehen?"

Wer liebt, kann den anderen vergöttern, kann im Augenblick des größten Verliebtseins und auch in der Dauer einer Beziehung sein ganzes Leben hineinwerfen in diese Beziehung. Er kann alles erwarten: die Erfüllung des Lebens und den Sinn des ganzen Daseins. Nein, das kann doch nicht sein, dass die Liebe nur so zum Leben dazukommt wie der Beruf oder die Heimat oder Freunde, die eine Zeitlang das Leben begleiten. Die Liebe muss doch das ganze Leben sein. Nie mehr allein sein, nie mehr verlassen werden. Das gilt umso mehr in einer Zeit, die nur mehr Wandel und Flexibilität kennen will.

Doch die Erfahrung ist: Beziehungen zerbrechen oft nicht so sehr an dem zu geringen Maß an Liebe, sondern an ihren zu großen Erwartungen, zu großen Hoffnungen. Die lasten dann auf dem Gegenüber wie ein viel zu voll gepackter Rucksack.

Bleistein rät zu einer Tugend: "Die erste Tugend der Liebe heißt: das Erbarmen. In ihm vergebe ich dem anderen, dass er mein Gott nicht sein kann."

"Liebt einander, wie ich euch geliebt habe": Das Wort, das Jesus sagt, schließt sich an eine merkwürdige Szene im Evangelium an. Am Gründonnerstag steht der Text im Mittelpunkt der Gottesdienste. Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße. Die wehren sich. So einen niedrigen Dienst wollen sie von ihrem Meister nicht akzeptieren. Aber es steckt Sinn dahinter. Wenn ich jemandem die Füße wasche, also im übertragenen Sinn den ganz alltäglichen, vielleicht auch uninteressanten, mühsamen Teil des Lebens mit ihm teile, seinen Staub und seine Narben, dann lasse ich ihn Mensch sein. Dann liebe ich als Mensch einen Menschen und lerne eine
Nähe, die buchstäblich geerdet ist.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Pfingsten

Pfingsten

Das Pfingstfest hat mit dem Geist zu tun - und der ist unsichtbar. So drastisch wie in den Erzählungen der Bibel, mit Wind und Feuer, erlebt man ihn nicht. Aber Spuren des Geistes gibt es. Zu einer solchen Spurensuche laden die Impulse zum Pfingstfest ein.

Impulstexte

Wohlgeruch (2023)

Unser Glaube und die Erkenntnis Gottes ziehen durch die Welt wie ein Duft, erreichen die Menschen schnell in ihrem Innersten und schließen ihre Gefühle, ihre Herzen auf.

Wie das duftet! Frühjahr und Frühsommer halten nicht nur für die Augen jede Menge Schönes bereit sondern auch für die Nase (Allergiker mögen mir diese Empfindung nachsehen). Die Erkenntnisse der Neurobiologie sind ja gar nicht notwendig, um zu bestätigen, dass unsere Nase uns sehr genau angibt, wo wir uns wohlfühlen können und wo nicht. Der Hintergrund: Die Geruchsnerven sind direkt mit dem limbischen System des Gehirns verbunden, das für Empfindungen von Begehren oder Furcht zuständig ist.

In einer kleinen Straße in Paris gibt es eine alteingesessene Parfümerie, die einen ganz anderen Zusammenhang in den Blick rückt – oder genauer: in Blick und Nase. Das Schaufenster ist voll von Parfümflakons, aber auch von Kerzen und Wachsfiguren in Pink und Orange. Zu sehen sind Jesus-Figuren, Madonnen, Kreuze. Alles bekannt aus dem frommen Repertoire von Kirchen und Privathäusern. Glaube und Duft – die Madonna neben dem Parfümflakon und das Kreuz neben dem Eau de Toilette? Unpassend, oder?

Eigentlich ist dieser Zusammenhang gar nicht so verkehrt: „Wir sind ein Wohlgeruch Christi. Gott sei gedankt, der den Duft seiner Erkenntnis an jeglichem Ort durch uns zum Vorschein bringt.“ Das Zitat stammt aus dem zweiten Korintherbrief der Bibel. Paulus traut den verwöhnten Bürgern und Bürgerinnen von Korinth zu, dass sie damit etwas anfangen können. Unser Glaube und die Erkenntnis Gottes ziehen durch die Welt wie ein Duft, erreichen die Menschen schnell in ihrem Innersten und schließen ihre Gefühle, ihre Herzen auf. So könnte es sein. Dafür sollen, so sieht es Paulus, Christen sorgen: dass Menschen den guten Duft des Lebens aufnehmen, sich darin wohlfühlen – und das Gute immer mehr die Welt durchdringt. An Pfingsten passt die Idee noch besser, denn der Geist Gottes ist ja ähnlich ungreifbar. Die Bibel beschreibt ihn als Brausen, als Wind, der den Menschen die Haare zerzaust und ihnen mächtig ihre alten Einsichten durcheinanderwirbelt. Wenn unser Leben anfängt, in diesem Sinn zu duften, wenn unser Leben ohne viele Worte für andere Menschen ein Wohlgeruch ist, dann sind wir wahrscheinlich auf der richtigen Spur.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Der Satellit des guten Willens (2022)

Pfingsten heißt: Es kommt genau auf mich an. Ohne mich braust der Geist Gottes nicht durch die Welt.

Im Haus des britischen Premierministers treffen die Diplomaten der wichtigsten Länder zusammen, mitten in der Nacht. Ein Fremder präsentiert ihnen eine Idee: Ihm und seinen Kollegen sei es gelungen, einen Satelliten des guten Willens zu entwickeln, der durch seine Strahlung alle Menschen so verändert, dass sie nur noch positive und friedvolle Gedanken haben und kurzerhand der Weltfrieden ausbricht. Und damit die zerstrittenen Länder diesen Plan nicht vereiteln können, sind die Trägerraketen abschussbereit und werden noch während des Diplomaten­treffens gezündet. Und schon brechen unter den Anwesenden Friede und Harmonie aus.

Mitten im Kalten Krieg hat der damals ziemlich berühmte Bühnenautor, Regisseur und Schauspieler Curt Goetz diese Idee in einem Theaterstück festgehalten: „Der Ausbruch des Weltfriedens.“

Wann, wenn nicht heute, würde man sich das wünschen – in den Gehirnen voller Hass und Egoismus, voller Feindschaft und Böswilligkeit legt sich plötzlich ein Schalter um und aller Streit ist weg, kein Krieg mehr, keine Angst, kein Hass.

„Wärme du, was kalt und hart, löse, was in sich erstarrt, lenke, was den Weg verfehlt“: So heißt es in einem alten Gebet zum Heiligen Geist. Manche haben vielleicht die Vorstellung, dass es so gehen könnte – der Heilige Geist braust einmal durch die Menschheit – und sie lässt alles hinter sich, was sie am Guten hindert. Die Bibel macht es einem da auch nicht leichter: Sie erzählt ja von Pfingsten genau das: Ein Brausen kommt vom Himmel, und auf einmal können alle einander verstehen, können miteinander sprechen, erleben das Wunder der Verständigung.

Meine Vermutung: Der Geist Gottes macht Kleinarbeit, viel Kleinarbeit. Er überrumpelt niemanden, auch nicht mit gutem Willen. Wir kommen nicht daran vorbei, selbst in uns wirken zu lassen, was uns gut oder wenigstens ein bisschen besser macht. Dass wir das können und die Sehnsucht nach Verständigung und Frieden und dem Guten nicht verlieren: Das hat dann tatsächlich mit dem Heiligen Geist zu tun. Pfingsten heißt: Es kommt genau auf mich an. Ohne mich braust der Geist Gottes nicht durch die Welt. Der einzige Satellit des guten Willens, den es geben kann, bin ich selbst.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Zeichensprache (2021)

Pfingsten heißt, daran zu glauben, dass es dem Geist Gottes gelingt, Menschen zueinander zu bringen.

Ein Mann lebte mit seinen beiden Söhnen Rafiki und Tambu in einer Hütte im Grasland. Er hatte ihnen beigebracht, wie man sich im Busch bewegt, wie man sich orientiert und wie man Wege und Orte kennzeichnet. Eines Tages sagte der Vater zu seinen Söhnen: Jetzt macht euch selbst auf den Weg. Ihr habt genug gelernt. Erkundet das Land, hinterlasst Zeichen, und wenn ihr wiederkommt, dann zeigt mir die Wege, die ihr gegangen seid. Also machen sich beide auf den Weg. Während der eine, Tambu, Grasbüschel knüpft und Zweige abknickt, geht Rafiki ohne erkennbare Absicht durch die Gegend. Aber wenn sie in ein Dorf kommen, fängt Rafiki sofort an, mit allen zu reden, die Leute zu fragen und ihre Geschichten zu hören. Nach der Rückkehr hört sich der Vater ihre Erlebnisse an und macht sich mit ihnen auf den Weg. Tambu kann ihm viele Stellen zeigen, die er markiert hat. Als sie aber in ein Dorf kommen, laufen die Leute auf Rafiki zu, umarmen ihn und freuen sich, den netten Jungen wiederzusehen, mit dem sie geredet hatten. Tambu ist traurig darüber: Warum erinnern sich die Leute nur an Rafiki und nicht an mich? Ich habe die Gegend doch genau erkundet und kenne mich gut aus! Der Vater erklärt es ihm: „Es gibt auch noch andere Zeichen als Grasbüschel, mein Kind. Das sind Zeichen, die ein Mensch in den Herzen anderer Menschen hinterlässt, wenn er zu ihnen geht und mit ihnen spricht und ihnen seine Freundschaft zeigt.“

Diese afrikanische Erzählung ist für mich eine einfache Pfingstgeschichte. In der Bibel wird  erzählt, dass auf einmal alle Menschen miteinander reden können, einander verstehen, auch  wenn sie nicht dieselbe Sprache sprechen. Dass das gelingt, führt die Bibel auf den Geist  Gottes zurück. Er sorgt dafür, dass Menschen einander wirklich begegnen können. 

Was macht man aber, wenn man gar nicht zusammenkommen kann, wenn Begegnungen  reduziert sind und kein Fest Menschen versammelt? Oder anders: Was macht Rafiki im  Lockdown? Pfingsten heißt, daran zu glauben, dass es dem Geist Gottes gelingt, Menschen  zueinander zu bringen. Ein Lockdown hindert den Geist Gottes nicht. Ich glaube, dass Rafiki  auch in dieser Zeit Wege finden würde, Zeichen in den Herzen der Menschen zu hinterlassen.  Vielleicht sogar besonders wirksame.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Der Geist Gottes in Labyrinth-Zeiten (2020)

Ein Labyrinth ist kein Irrgarten. Labyrinthe verlangsamen den Schritt, aber führen ihn nicht in die Irre.

Auf der Homepage des Labyrinthbauers und -forschers Gernot Candolini lese ich: "Die Geschichte des Labyrinths ist so lang und seltsam wie sein verschlungener Weg. Das Ziel ist die Suche nach der geheimnisvollen Mitte. Überraschend ist, dass das Labyrinth ursprünglich immer nur einen Weg zur Mitte hatte ohne Abzweigung und Sackgasse. Trotzdem war der Weg zur Mitte und wieder heraus schwierig genug. Es findet ihn nur der, der ihn auch geht." Es gibt eine Vielzahl von Labyrinthen, in großen Gartenanlagen, Kirchen, Klöstern - gemeinsam ist ihnen allen: Sie wollen mich zur Mitte bringen. 

Wir leben in einer Labyrinth-Zeit: Vorsichtig, Schritt für Schritt, bewegen wir uns voran. Wir wissen nicht, wo der Weg wieder eine Biegung macht. Wir gehen Umwege und vielen dauert der Weg bis zum Ziel viel zu lange. 

Wir leben in einer Labyrinth-Zeit. Dabei ist es ganz wichtig, dass man weiß: Ein Labyrinth ist kein Irrgarten. Im Labyrinth geht man zwar viele Umwege, bis man zum Ziel kommt, aber man verliert sich nicht. Labyrinthe verlangsamen den Schritt, aber führen ihn nicht in die Irre. 

Worauf kommt es im Labyrinth an? Die wichtigsten beiden Helfer sind Ausdauer und Hoffnung. Ja, es kann sein, dass der Weg noch einmal scheinbar vom Ziel wegführt, wenn ich glaube, dass ich schon fast angekommen bin. Im Labyrinth bleibt mir nichts anderes übrig, als Ausdauer zu üben. Und die Hoffnung? Die Hoffnung trägt durch Labyrinth-Zeiten. Sie macht mir immer wieder deutlich, dass ich keinen Grund habe, am guten Ziel, an der guten Lösung, der guten Mitte zu zweifeln. Ausdauer und Hoffnung gelten als Tugenden und werden im christlichen Glauben mit dem Heiligen Geist verbunden. Papst Johannes Paul II. hat den Heiligen Geist einmal den "Hüter der Hoffnung" genannt. Und deswegen steht das Pfingstfest, das dem Heiligen Geist gewidmet ist, für mich in diesem Jahr unter dieser Überschrift: Vertrauen auf den Geist Gottes, der die Hoffnung hütet und sie bei den Menschen wachhält. Vertrauen darauf, dass es im Labyrinth ein Ziel gibt. Wir werden es finden. In dieser Labyrinth-Zeit und in den Labyrinth-Zeiten, die das Leben auch sonst bereithält. 

Dr. Peter-Felix Ruelius 

Kintsugi: Lebensspuren vergolden (2019)

Heile, was verwundet ist.

Was will man mit einer alten Porzellantasse, wenn sie zerbrochen ist? Man wirft sie weg,oder? Warum sollte man etwas notdürftig reparieren, wenn man es danach doch nicht mehr benutzt?

Schon vor ein paar hundert Jahren hat man in Japan eine Kunst erfunden, die einen anderen Weg geht. Sie heißt Kintsugi. Wertvolles Porzellan, das zerbrochen ist, wird aufwendig repariert. Besonders dabei ist, dass die Bruchstelle vergoldet wird. So durchzieht das reparierte Stück eine goldene Ader und gibt dem wertvollen Stück einen neuen Charakter. So wird es neu, auf ganz eigene Weise aufgewertet.

Die Bruchlinien vergolden: Wenn man das auch im eigenen Leben könnte! Private oder berufliche Übergänge, die nicht gelungen sind, Abschiede von Menschen, misslungene Beziehungen. Verluste, Trauer, Scheitern und Brüche gibt es in vielen Lebensgeschichten. Wer davor bewahrt bleibt, hat vielleicht ganz einfach Glück gehabt. Wem allerdings etwas zerbricht im Leben, der muss mit diesem Bruch weiterleben. Das ist oft schwer. Die Taktiken, die zur Verfügung stehen, sind zwar vielfältig, meistens bestehen sie darin, Geschehenes zu vergessen, eventuell zu kitten oder es in der eigenen Biografie möglichst unsichtbar zu machen.

Der Unterschied zwischen Zukleistern und Vergolden hat mit Pfingsten zu tun. In den biblischen Beschreibungen der Gaben des Heiligen Geistes oder der sogenannten Charismen steht ausdrücklich die Gabe der Heilung. Und in der mittelalterlichen Anrufung des Heiligen Geistes findet sich die Bitte: "Heile, was verwundet ist". Meine Perspektive darauf ist: Aus eigener Kraft gelingt es mir oft gar nicht, die kleineren Brüche und Absplitterungen im Leben zu akzeptieren, sie als Teil meines Lebens zu sehen und anzunehmen. Ich kann vieles bestenfalls zukleistern. Wenn es mir auch nur ansatzweise gelingt, die Brüche meines Lebens zu vergolden, das heißt, sie als wertvollen und wichtigen Teil meines Lebens anzusehen, dann kann es sein, dass gerade darin etwas vom Geist Gottes spürbar wird. Er gibt mir zu verstehen: Du bist besonders wertvoll, Mensch, mit allem, was dein Leben enthält, was gelungen, was ganz geblieben und auch mit dem, was zerbrochen ist.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Erinnern oder vergessen? (2018)

Pfingsten ist ein Anstoß zum richtigen Vergessen und zum richtigen Erinnern: damit das Leben gut gelingt.

In einer weit entfernten, dunklen Zeit, über die wir heute so gut wie nichts wissen, spielt  Kazuo Ishiguros spannender Roman "Der begrabene Riese". England im 5. Jahrhundert - eine Zeit der Bürgerkriege, Spaltungen, Grausamkeiten und Angst. Und zusätzlich bevölkern noch merkwürdige Gestalten den Roman: Drachen, Kobolde und Drachenhunde.

Über allem liegt ein Nebel - ausgeatmet von einem Drachen. Dieser Nebel löst bei den Menschen das Vergessen aus. Sie erinnern sich nicht mehr an die eigene Vergangenheit, und sie erinnern sich auch nicht mehr an die vergangenen Schlachten und Kriege. Das hat den Vorteil, dass sie auch die Rache vergessen haben. Sie leben mehr oder weniger friedlich miteinander. Allerdings haben sie auch ihre eigenen Lebensgeschichten weitgehend ver­gessen. Das wird dort tragisch, wo ein altes Ehepaar an einem Wendepunkt des Lebens noch einmal den Grund der gegenseitigen Liebe aufspüren will und muss.

Erinnern oder vergessen: Was ist der größere Segen? Wir gehen davon aus, dass die Erinne­rung, die aufrichtige Erinnerung, überhaupt erst eine gute Zukunft ermöglicht. Im Privaten ebenso wie im Politischen. Im Roman gerät diese Sicherheit ein bisschen ins Wanken: Denn es kann ja auch ein gnädiges Vergessen geben und Erinnerung kann auch schmerzhaft sein.

Was ist das Bessere? In der Bibel heißt es vom Heiligen Geist, dass er uns alles lehren und uns an alles erinnern wird, was Jesus selbst gesagt hat. Und: Der Heilige Geist heißt Beistand - für mich ein wunderbares Bild, weil der Heilige Geist als "Lehrer" und "Erinnerer" keine Gehirnwäsche vollzieht, sondern mir als freiem Mensch zur Seite steht. Ich selbst kann unterscheiden, was ich behalten muss und was ich vergessen darf. Und ab und zu habe ich die Erfahrung gemacht, dass ein gutes und aktives Vergessen (ja, das geht!) dem Leben dien­licher sein kann als ein akribisches Gedächtnis. Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes, ist ein
Anstoß zum richtigen Vergessen und zum richtigen Erinnern: damit das Leben gut gelingt.

Übrigens: Am Ende des Romans wird der Drache besiegt, so wie sich das gehört. Aber was dann daraus wird, kann hier natürlich nicht verraten werden. 

Dr. Peter-Felix Ruelius

Der Geist, die Freiheit und ein Vogel (2017)

Der Geist Gottes sortiert mich manchmal in die Welt ein. Und zwar so, dass ich mit den Grenzen, die mir gesetzt sind, weiterkomme.

Vielleicht aus Neugier, vielleicht aus Versehen: Neulich hat sich ein junger Vogel durch die offene Terrassentür in mein Wohnzimmer verirrt. Nach einer ersten Orientierung steuert er die höchsten Punkte im Raum an: die Vorhangschiene, einen Bilderrahmen, die Deckenleuchte.Sichtlich verwirrt fliegt und flattert er durch den Raum. Jedes Mal, wenn er wieder startet, kennt er nur eine Richtung: nach oben. Dumm nur, dass er hier nicht weiterkommt. Da ist ihm die Zimmerdecke im Weg. Auf die einfachste Lösung kommt er nicht: Den Weg durch die offene Terrassentür oder das offene Fenster findet er nicht. So dreht er Runde um Runde. Es kostet einige Tricks, bis ich ihn erfolgreich auf den Weg ins Freie bringen kann.

Seitdem ist der kleine Kerl für mich ein Experte in Sachen Freiheit. Warum konnte er so lange nicht nach draußen finden? Mir gefällt die philosophische Erklärung: Ihm fehlte das Bewusstseinfür eine Grenze über seinem Kopf. Er kannte das nicht: Einen nach oben abgeschlossenen Raum. Deswegen führte die einzige Bewegung, mit der er Freiheit finden wollte, an eine unüberwindbare Grenze. Seine Welt ist ja immer nach oben offen. Klar, dass er dann auch immer nach oben fliegt.

"Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit." Über den Satz diskutiere ich mit Freunden, als wir vor einem kirchlichen Gemeindehaus stehen. Der Satz ist dort mit großen Buchstaben aufgemalt. Einer sagt: "Unsinn! Überall, wo man es mit dem Geist Gottes zu tun bekommt, wird man doch eingeschränkt". Wenn ich den Geist Gottes richtig verstehe - in aller Bescheidenheit - dann denke ich, dass es anders ist. Der Geist Gottes sortiert mich manchmal in die Welt ein. Und zwar so, dass ich mit den Grenzen, die mir gesetzt sind, weiterkomme. Und da gibt es viele. Durch den Geist Gottes lerne ich, dass ich Freiheit im wirklichen Sinn dann finden kann, wenn ich sie dort suche, wo sie ist und nicht immer dort, wo ich sie mir vorstelle. Wenn ich ein Vogel wäre, hieße das: Akzeptieren, dass es Räume und Zimmerdecken gibt. Einmal horizontal fliegen und das eingespeicherte Programm kurz aufgeben. Das offene Fenster finden. Und dann auch die Freiheit.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Ein spiritueller Fußabdruck (2016)

Menschen, die vom Geist Gottes erfüllt sind, hinterlassen Spuren.

Zweieinhalb. Das ist ein ziemlich erschreckender Wert. In einem Test habe ich meinen "ökologischen Fußabdruck" überprüft. Wenn jeder so leben würde wie ich, bräuchte die Menschheit ungefähr zweieinhalb Erden, um nachhaltig überleben zu können. Also: Mein Leben hinterlässt tatsächlich ganz schön deutliche Spuren. Spuren hinterlässt jeder Mensch. Unvermeidlich. Allein dadurch, dass er auf der Welt ist. In der Geschichte der Sprache wird das ganz augenfällig, weil das Wort "Spur" ursprünglich den Fußabdruck meint. Der ökologische Fußabdruck ist nur eine moderne Ausprägung dieser alten Bedeutung.

Mit den Spuren hängt das Spüren zusammen. Spüren heißt: den Einfluss oder die Wirkung von jemandem oder etwas wahrnehmen. Und jetzt wird es interessant: Meinen ökologischen Fußabdruck zum Beispiel spürt ja niemand. Er ist erst einmal unsichtbar. Spare oder verschwende ich Energie, dann merke ich das zwar in meinem Geldbeutel, aber sonst nimmt diese Spuren erst einmal niemand wahr. Erst auf lange Sicht wird spürbar, wie sich mein Lebensstil auf die Umwelt auswirkt. Positiv oder negativ.

An Pfingsten feiert die Christenheit eine unsichtbare Spuren-Wirklichkeit. Der Geist Gottes hinterlässt keine sichtbaren Spuren. Niemand spürt seine Anwesenheit. Wer vom Geist Gottes geprägt ist, wird deswegen nicht auf einen Schlag besser, wird nicht zum Heiligen. Er wird nicht sichtbar fröhlicher oder enthusiastisch. Er bekommt keine Zauberkraft und kann nicht fliegen. Und die Welt retten kann er auch nicht. Doch Menschen, die vom Geist Gottes erfüllt sind, hinterlassen Spuren. Wenn es einmal gelingt, über den eigenen Schatten zu springen und einem Impuls zur Versöhnung zu folgen. Wenn einmal Großzügigkeit über den Geiz siegt. Wenn einmal, auch nur in einer Kleinigkeit, Wertschätzung anstelle von Geringschätzung gelingt. Auf lange Sicht entsteht dann so etwas wie ein spiritueller Fußabdruck. Vom Geist Gottes geprägt sein, das bedeutet, dieser Wirklichkeit zu trauen. Es bedeutet, um die gute Wirkung des Guten zu wissen. Und es bedeutet die unerschütterliche Hoffnung darauf, dass die Welt lebenswert für alle Menschen sein kann.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Übrigens: Für den spirituellen Fußabdruck habe ich kein Messinstrument gefunden, wer aber seinen ökologischen Fußabdruck ermitteln möchte, kann das hier tun: www.footprint-deutschland.de/

Der Geist der Ausdauer (2015)

Glaube heißt: ausdauernd unterwegs sein in dem, was man erhofft und von dem man überzeugt ist. Nicht nachlassen. Weiterlaufen.

Ausdauerndes Laufen ist die Art der Fortbewegung, die am meisten der menschlichen Natur entspricht. So hat sich der Mensch in den letzten vier Millionen Jahren entwickelt. Die großartige Dokumentation "The perfect runner" des kanadischen Anthropologen und Filmemachers Niobe Thompson folgt dem Wunder des menschlichen Laufens: In Kanada, in Äthiopien und im Sibirien der Rentierzüchter. Als die Vorläufer der menschlichen Art auf ihre zwei Beine kamen, waren sie ziemlich verletzlich. Das Laufen auf zwei Beinen machte sie tatsächlich nicht schneller. Jeder Vierbeiner konnte sie überholen. Besonders stark waren sie auch nicht. Ihnen fehlte ganz schön viel, was sie zum Überleben gut hätten brauchen können. Aber eines waren sie: sie waren ausdauernd. Das war ihr Überlebensvorteil. Die frühen Menschen konnten lange laufen. So konnten sie auch Tiere jagen, die schneller waren als sie - aber eben nicht ausdauernd. Es ist faszinierend, diesen Spuren im Film zu folgen.

Es gibt Themen, Fragen und Probleme, die sind auf den ersten Blick so groß, dass die Kraft dafür nicht auszureichen scheint. Vielleicht hilft es dann, auf den "Ausdauer-Modus" umzuschalten. Der Mensch: der Dauerläufer. Der Ausdauernde. Der nicht aufgibt, sondern dranbleibt.

Ein Pfingstimpuls? Ja. Denn an ganz vielen Stellen im Leben geht es nicht um den Hochsprung. Nicht um enorme Kraft. Nicht um Hochgeschwindigkeit. Sondern um Ausdauer. Der Geist Gottes verleiht nicht unbedingt Flügel. Aber er stärkt im ausdauernden Weiterlaufen. Ausdauernd bleibt der Mensch in Glaubensbewegung und in Lebensbewegung.

Der Brief an die Hebräer im Neuen Testament stellt Glaubensdauerläufer vor: Zum Beispiel Abraham, den großen Nomaden des Alten Testaments, der sich aufgemacht hat, aufgebrochen ist, ohne zu wissen, wohin er kommen würde. Und stets weiterlief. Ein Ausdauerläufer. Von einer Verheißung angetrieben und vom Geist gestärkt. "Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft", überschreibt der Brief an die Hebräer dieses Kapitel. Und ich möchte das weiter deuten: Glaube heißt: ausdauernd unterwegs sein in dem, was man erhofft und von dem man überzeugt ist. Nicht nachlassen. Weiterlaufen. Über Hindernisse und Umwege. Nicht mit unbändiger Kraft, aber mit der Ausdauer von Menschen, die zum Dauerlauf geboren sind.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Wer sich für das Laufen interessiert, kann hier fündig werden: theperfectrunner.com

Anwesend? Abwesend? (2014)

Der Geist Gottes ist einfach so da. Er wirkt im Hintergrund. Er trägt mich, auch wenn ich es nicht mitbekomme. Offline, gewissermaßen.

Ein Dialog unter Freunden: "Wo bist du denn? Ich hab schon drei Mal bei dir auf die Mailbox gesprochen. Warum gehst du nicht ran, wenn ich dich anrufe? Du antwortest seit Tagen auf keine SMS. Bei Dir zuhause geht auch nur der Anrufbeantworter ans Telefon. Meine E-Mail hätte ich mir auch sparen können. Da kam auch keine Reaktion. Wo bist du? Ich bin schon ganz unruhig. Geht's Dir etwa nicht gut? Oder hab ich irgendwas falsch gemacht? Bist du sauer auf mich? Melde dich doch bitte mal. Melde dich doch!"

Drei lange Tage später kommt die Antwort: "Alles gut. Alles in Ordnung. Ich war ein paar Tage weg und hatte mein Ladekabel nicht dabei. Mein Akku war leer."

"Gott sei Dank! Ich dachte schon, etwas wäre nicht in Ordnung!"

Viele haben sich schon so daran gewöhnt, immer präsent zu sein, dass sie das auch von allen anderen erwarten. So gibt es eine Verbundenheit in einem ständigen Netz aus kleinen Lebenszeichen und Bestätigungen: Bist du noch da? Du bist da, wenn du reagierst, wenn du meine Mails und SMS beantwortest. Wenn du sie schnell beantwortest. Wenn du ans Telefon gehst. Immer. Ich bin dir ja nur wichtig, wenn du für mich immer erreichbar bist und mich immer wieder mit dem digitalen Signal fütterst: Ich habe dich wahrgenommen.

Das andere ist dann schwer zu verstehen: Dass jemand da ist, wenn er nicht ständig erreichbar ist. Dass jemand auch für mich da ist, dass jemand mit mir verbunden ist, dass ich für jemanden wichtig bin, auch wenn ich das nicht ständig wahrnehmen, empfinden, hören oder lesen kann.

Wenn in der Kirche vom Heiligen Geist die Rede ist, dann ist so etwas damit gemeint: Vertrauen in Abwesenheit. Vertrauen ohne Signale. Getröstet sein ohne Schulterklopfen. Sicher sein ohne Netz und doppelten Boden. Verbundenheit, auch wenn man offline ist. Die Beziehung stimmt, auch dann, wenn ich nichts höre, nichts sehe, nichts lese. Das beruhigt mich. Jesus sagt einmal vom Heiligen Geist, dass er ein "anderer Beistand" ist. Anders als die "Beistände", deren ich mich immer vergewissern muss. Der Geist Gottes ist einfach so da. Er ist meine Beziehungsgarantie. Er ist die beruhigende und tröstende Zusage, dass Gott mit mir ist. Er wirkt im Hintergrund. Er trägt mich, auch wenn ich es nicht mitbekomme. Offline, gewissermaßen. Mit dem Heiligen Geist lernen heißt für mich glauben lernen, und das wiederum heißt auch: Gelassenheit lernen, den Menschen vertrauen, dem Leben vertrauen, auch dann, wenn es mir nicht jede Minute bestätigend entgegen kommt.

Sommerzeit

Sommerzeit

Mit den Sommerwochen nähern sich für viele - lange ersehnt - die Urlaubstage. Ob Zuhause oder Fernab verbracht, wir alle wünschen uns gerade dann Momente von Leichtigkeit und Freude. Die Sommerimpulse lenken unseren Blick darauf, was der Seele gut tut.

Impulstexte

Aus Sand gebaut (2017)

Ob etwas gelungen ist oder nicht - wir konnten immer wieder von vorne beginnen.

Ans Meer! Endlich wieder! Immer wieder! Ein winziges Detail hält mir über das Jahr die Erinnerung an die Sommerwochen wach. Denn es wird in meinem Auto noch lange nach dem Urlaub kleine Spuren von Sand geben. Ein bisschen Strand, den ich an meinen Füßen oder meiner Kleidung hatte, hat den Weg in mein Auto gefunden und taucht an mehr oder weniger verborgenen Stellen wieder auf: zwischen den Sitzen, auf der Fußmatte oder in der Ablage an der Tür.

Diese Spuren wecken die Erinnerungen: An den Strand, an das Licht des Sommers, das Geräusch des Meeres und daran, wie es sich anfühlt, barfuß am Meer entlangzugehen. Und dann mischt sich auch die Erinnerung an die Kinder darunter, die mit bunten Schaufeln und Eimern und mit unglaublichem Ernst versuchen, dem Sand eine bauliche Gestalt zu geben. Kanäle und Burgen entstehen - und jedes Bauwerk hat den Reiz, dass es mit der nächsten Flut wieder eingeebnet wird. Der Strand wird zum Spielfeld, das jeden Morgen wieder neu vorbereitet ist, neu geglättet. Die Bauten aus Sand dürfen sein, was sie sind: spielerischer Ausdruck des Bautriebs, Experimente ohne Bestandsgarantie.

Vielleicht sind deswegen Strand und Meer so beliebt und so wichtig - weil sie uns selbst als Kinder einmal die Erfahrung machen ließen, dass es ein Bauen ohne den Anspruch der Dauer geben kann. Ob etwas gelungen ist oder nicht - wir konnten immer wieder von vorne beginnen. Mit jedem Lebensjahr jenseits der Kindheit werden die Spuren deutlicher und die Mauern stabiler. Irgendwann im Leben bewohnt man die eigenen vier Wände: Feste Häuser, vielleicht nicht selbst gebaut, aber doch Ausdruck eigener Vorstellungen und Wünsche.
Stabil und fest - ein Zuhause für das Leben.

Ans Meer reisen, endlich wieder über den Strand laufen: vielleicht auch, um zu erleben, dass es das vorläufige, leichte und spielerische Leben gibt, das im Rhythmus der Gezeiten jeden Tag einen neuen Bauplatz zur Verfügung hat. Wenigstens für einige Sommertage. Mit ein paar Sandkörnern hier und da meldet sich diese Sommer-Einsicht immer wieder - bis zur nächsten Reise ans Meer.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Was die Seele im Sommer macht (2014)

Die Urlaubs- und Reisezeit soll eine sein, die dem Körper genauso gut tut wie der Seele. Nur: was tut der Seele gut?

Was macht die Seele im Urlaub? Was für eine Frage! Sie baumelt. Sie hat ja gar keine andere Wahl. Ob ich in die Türkei reise oder nach Gran Canaria, ans Mittelmeer oder nach Schottland - entscheidend ist: Ich kann die Seele mal so richtig baumeln lassen.

Ganz ehrlich: Mich macht diese Metapher schwermütig. Ich stelle mir so eine arme, müde Seele vor, die sieht ein bisschen aus wie ein leerer Luftballon. Und die hängt nun irgendwo am Mittelmeer oder am Atlantik oder an der Nordsee und baumelt vor sich hin. Kommt ein Windstoß, baumelt sie etwas schneller, bei Windstille baumelt sie langsamer. Und wenn der Urlaub vorbei ist, dann hört sie wieder auf zu baumeln, dann wird sie wieder aufgeblasen und verbringt angespannt und ruhelos ihre Tage bis zum nächsten Urlaub. Da wird ihr die Luft wieder rausgelassen und sie darf endlich wieder baumeln. Woher weiß man eigentlich, ob die Seele Lust darauf hat, einfach nur so abzuhängen?

Für viele beginnen in diesen Tagen der Urlaub und die Reisezeit. Und das stimmt ja: Diese Zeit soll eine sein, die dem Körper genauso gut tut wie der Seele. Nur: was tut der Seele gut? Weil wir gar nicht wissen, wie unsere Seele aussieht oder wo wir sie finden, sind wir auf Bilder, auf Metaphern angewiesen. Ich persönlich habe zwei Metaphern gefunden, die mir besser gefallen als die Seele, die baumelt. Die erste: Ich kann mir vorstellen, dass im Urlaub meine Seele aufblüht, dass sie farbig und kraftvoll wird, weil sie das Licht des Sommers und die neuen Eindrücke einer Reise genau so genießt wie ich. Und das zweite Bild finde ich in einem Lied von Paul Gerhardt aus dem Evangelischen Gesangbuch. Dort heißt es:

"Du meine Seele, singe, / wohlauf und singe schön! /… Ich will den Herren droben /
hier preisen auf der Erd / ich will ihn herzlich loben / solang ich leben werd."

Wenn es mir richtig gut geht, dann ist das mein Grundgefühl, dann möchte meine Seele singen, weil sie froh ist über die Welt und das Leben. Wer weiß - vielleicht entdecken Sie in diesen Sommerwochen Ihre ganz eigenen Bilder für das, womit es ihrer Seele in dieser schönsten Zeit am besten geht. Ich wünsche es Ihnen von Herzen.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Adventszeit

Adventszeit

In der Adventszeit bereiten wir uns auf das Fest der Geburt Jesu - Weihnachten - vor. Doch gerade in dieser besinnlichen Vorweihnachtszeit fehlt uns oftmals die Ruhe. Die Impulse zur Adventszeit laden zum kurzen Innehalten in der vorweihnachtlichen Hektik ein.

Impulstexte

Geborgen (2023)

Geborgenheit zu erleben, das wärmt mein Herz und passt in die Zeit vor Weihnachten.

Meine Heimfahrt war eine Odyssee – das fällt mir als erstes ein, wenn ich an den plötzlichen Winteranfang denke, der Ende November über Teile von Hessen und Rheinland-Pfalz hereingebrochen ist. Eine Odyssee – das Wort erinnert an die Irrfahrten des Königs Odysseus von Ithaka, der immerhin zehn Jahre umherirrte, bis er wieder nach Hause kam. Bei mir sind es nur einige Stunden – und die sind mehr als genug! Stunden, in denen das nahe Zuhause in immer weitere Ferne rückt, weil Straßen gesperrt sind durch umgestürzte Bäume, festgefahrene Lastwagen und jede Menge Schnee. Wörter wie „aussichtslos“ oder „ausweglos“ kommen mir in den Sinn. Schließlich, nach langen Umwegen und spät in der Nacht, ist es geschafft. Endlich zuhause. Erleichtert und todmüde.

Die Verunsicherung sitzt auch am folgenden Tag noch in den Gliedern. Wie schnell kommt mein gewohntes Leben, wie schnell kommt jede Selbstverständlichkeit aus dem Takt, weil die Natur mir einen Strich durch die alltägliche Rechnung macht. Mit ein wenig Abstand stellen sich auch andere Gedanken ein: Das Gefühl, ein sicheres Zuhause zu haben, wird mir auf einmal besonders wertvoll. Wie privilegiert bin ich – und wäre es auch, wenn ich eine Nacht irgendwo, meinetwegen auch im Auto verbringen müsste. Und ein Auto ist ja, global betrachtet, schon Privileg genug. Und ich bin gesund und habe keinen dringenden Termin. Die Erholung in der Nacht ist kürzer – aber sonst?

Weit davon entfernt, das nachfühlen zu können, denke ich an Menschen, die auf der Flucht sind, die kein sicheres Zuhause haben, das sie irgendwann wieder erreichen können, wo es Heizung und ein warmes Bett gibt. Menschen, deren Häuser zerstört sind durch Bomben, gelenkt von anderen Menschen, denen es egal ist, dass sie die Heimat so vieler anderer zerstören. Menschen, die in unwürdigen Lagern Tage, Wochen oder sogar Jahre verbringen müssen. Wie gesagt, ich bin weit davon entfernt, mich in diese Lage versetzen zu können.

Und etwas weihnachtlich: Die Geschichte des Christentums beginnt ja mit Heimatlosigkeit, mit Verfolgung, Flucht und Unsicherheit. Maria, Josef und das Jesuskind tragen diese Geschichte mit sich und damit auch die Nähe zu allen Heimatlosen, Verunsicherten und Geflüchteten. Das sollte man nie vergessen.

So gesehen: Ich bin dankbarer als im gewohnten Alltag für all das, was mich geborgen sein lässt. Für das Dach über dem Kopf und das tägliche Brot. Für mein Zuhause. Und ich weiß einmal mehr, dass das für so viele Menschen nicht selbstverständlich ist. Geborgenheit zu erleben, das wärmt mein Herz und passt in die Zeit vor Weihnachten.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Unsere Vollkommenheit – Gottes Vollkommenheit (2017)

Wir Menschen können nicht alles in Weisheit und Vollkommenheit ordnen.

Bis zum Konzert sind es nur noch ein paar Wochen. Der Chor arbeitet fieberhaft. Er probt Beethovens Missa Solemnis. Das ist keine leichte Kost. Die Töne sitzen ganz gut. Jetzt fängt die Feinarbeit an. Hier klingt ein Vokal noch nicht gut, da ist eine leise Stelle mit mehr Spannung zu gestalten. Da muss eine Betonung korrigiert werden. Höchste Töne müssen trotz der Anstrengung leicht klingen. Noch ein Durchlauf. Und noch einer. Der Chorleiter ist noch nicht ganz zufrieden. Und er hat immer noch eine Idee, wie er den Klang noch transparenter, noch edler und noch ausdrucksvoller hinbekommt. Und die rund hundert Sängerinnen und Sänger strengen sich an, versuchen jeden Hinweis aufzunehmen, motiviert und nur manchmal ein kleines bisschen ungeduldig: Reicht es immer noch nicht? Am Ende, wenn es richtig gelingt, dann entsteht etwas, das alle froh macht. Mit etwas Glück, aber vor allem mit sehr viel Arbeit entsteht ein Kunstwerk, das die Hörer bewegt und die Musiker und Sänger mit dem guten Gefühl zurücklässt, ein kleines Stück Vollkommenheit gestaltet zu haben.

Das kennen Künstler, aber auch viele andere Menschen in anderen Berufen. Sie kennen die Plage der Anstrengung. Sie kennen auch die innere Stimme, die sagt, dass es doch nun mal so reicht, wie es ist. Und sie kennen ein inneres Aufraffen, dass es doch noch etwas besser oder etwas schöner oder etwas genauer geht.

Ganz im Gegensatz dazu steht ein Prinzip, das in den letzten Jahren immer mehr Karriere gemacht hat: das so genannte Pareto-Prinzip. Das genießt vor allem im Zeitmanagement hohe Plausibilität. Der Grundsatz lautet: Zwanzig Prozent des Aufwands bringen rund 80 Prozent eines Ergebnisses hervor. Die restlichen zwanzig Prozent des Ergebnisses erreicht man mit den weiteren 80 Prozent des Aufwands. Das entspricht genau dem Feilen an einem Ergebnis, zum Beispiel an einem Musikstück. Fazit: Wenn du achtzig Prozent erreicht hast, dann ist das doch ganz gut. Dann kommst du mit dem Ergebnis meistens ganz gut zurecht.

Ganz gut zurechtkommen, irgendwie durchkommen: Reicht das? Beim Staubsaugen oder aufräumen vielleicht schon. Von einem Flugkapitän erwarte ich dagegen, dass er seinen Job mit hundertprozentiger Genauigkeit macht. Der Chirurg, der mich operiert, hat hoffentlich auch die berühmten letzten zwanzig Prozent an Fingerfertigkeit gelernt, damit er auch dann auf der Höhe seiner Leistung ist, wenn nicht alles routinemäßig läuft.

Die letzten Tage vor dem Weihnachtsfest sind geprägt von den so genannten O-Antiphonen. Das sind Verse, die im Abendgebet der katholischen Kirche auftauchen. In verschiedenen Bildern formulieren sie immer eine ganz bestimmte Sehnsucht, die sich mit dem Kommen Gottes in die Welt verknüpft. Der Text, mit dem die Reihe beginnt, lautet:

"O Weisheit, hervorgegangen aus dem Munde des Höchsten - die Welt umspannst du von einem Ende zum andern, in Kraft und Milde ordnest du alles: o komm und offenbare uns den Weg der Weisheit und Einsicht."

Hinter der Sehnsucht nach Weisheit steht eine Erfahrung: Wir Menschen können nicht alles in Weisheit und Vollkommenheit ordnen. Auch bei größter Anstrengung machen wir wahrscheinlich nicht alles richtig, machen wir Fehler. Wir bleiben angewiesen auf den, der vollendet, der in letzter Hinsicht alles zur Vollkommenheit führt. Bei aller Anstrengung ist es unsere Sache, alles so gut zu machen, wie es geht und Gottes Sache ist es, zu vollenden.

Eine Maxime, die Ignatius von Loyola zugeschrieben wird, sagt es so: Handle so, als ob alles von dir und nichts von Gott abhinge - und setze deine Hoffnung so auf Gott, als ob alles von ihm und nichts von dir abhinge.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Alles egal? (2017)

Die Hoffnung im Advent ist genau die: dass Gott nichts egal ist, dass er die Dornen und das Tote verwandeln will, weil er die Welt nicht ihrer eigenen Gleichgültigkeit überlässt.

Das Weltprinzip sieht aus wie ein Seestern, überdimensional, blassgelb und faltig. Es hängt in einem stillgelegten Straßenbahndepot in München. Das Weltprinzip bewegt sich ein bisschen und stößt ab und zu ein Brummen aus. Das Weltprinzip ist "Das große Egal".

Der Autor und Kolumnist Axel Hacke hat diesem Weltprinzip die Mitte eines sehr scharfsinnigen Buches gewidmet. Es heißt: "Die Tage, die ich mit Gott verbrachte".

Sehr heiter geht es darin zu und sehr harmlos. Gott in Gestalt eines höflichen und freundlichen älteren Herrn lenkt die eine oder andere kleinere und größere Angelegenheit im Leben des Autors. Sehr kurzweilig rettet er ihn zum Beispiel vor einem herabfallenden Globus oder lässt es ein bisschen regnen. Einmal lässt er den Löwen vor der Feldherrenhalle in München durch einen brennenden Reifen springen.

Aber die ganze Heiterkeit ist weg, als Gott den Autor mitnimmt zum "Großen Egal". Auf einmal herrscht ein anderer Ton: nachdenklich, traurig und wütend. Erst recht, als Gott ihm das Weltprinzip erläutert.

"Der Kern der Welt ist die Gleichgültigkeit. Egal was du tust, egal was irgendjemand tut, egal ob du lebst, egal, ob du stirbst, egal, ob die Meeresspiegel steigen und ganze Länder unter Wasser setzen, egal, ob die ganze Menschheit ausgelöscht wird - die Welt dreht sich weiter. Es gibt nichts, das Dem Großen Egal nicht vollkommen wurscht wäre."

"Ist Ihnen damals kein besseres Weltprinzip eingefallen?"

"Nein. Wahrscheinlich bin ich deswegen jetzt erst hier. Ich hatte früher einfach Angst, mir das alles anzusehen. Es mir vor Augen zu führen. Aber irgendein Prinzip musste die Welt haben."

Der Autor wird nun unglaublich wütend. Er greift "Das Große Egal" an. Er schreit es an, schreit die Schicksalsschläge und die unverstehbaren Verluste des Lebens dem großen Egal entgegen. Aber auch die Glückserlebnisse. Soll das alles egal sein? "Das Große Egal" reagiert, wie es immer reagiert, mit einem müden, deprimierten, gebrummten "Egal".

Heute füge ich einen Aufschrei dazu. Genau vor einem Jahr rast ein Mörder in den Berliner Weihnachtsmarkt, tötet Menschen, verletzt Menschen, versetzt ein ganzes Land in Trauer und Verunsicherung: Alles egal? Die Attentate der vergangenen Jahre: Paris, Nizza, London, Barcelona - die Liste ist ja noch viel länger. Egal?

In das große Egal dieser Welt hinein möchte ich ein Lied singen, eines meiner Lieblings-Adventslieder: "Maria durch ein‘ Dornwald ging." "Maria durch ein‘ Dornwald ging, der hat seit sieben Jahren kein Laub getragen". Ich weiß, dass ich schon als Kind hier eine sehr genaue Vorstellung hatte: Eine öde und leere Landschaft, nichts als Dornen und Gestrüpp. Eine leblose, feindliche Welt. Sieben Jahre ist nichts gewachsen. In meiner Vorstellung war diese Ödnis unvorstellbar groß.

"Was trug Maria unter ihrem Herzen? Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen, das trug Maria unter ihrem Herzen."

Das Lied erinnert an den Weg, den die schwangere Maria zu ihrer Verwandten Elisabeth geht.

"Da haben die Dornen Rosen getragen: Als das Kindlein durch den Wald getragen, da haben die Dornen Rosen getragen."

Was für ein berührendes Bild. Im wörtlichen Sinn. Allein das Vorübergehen, eine unmerkliche Berührung durch die Gegenwart des Gotteskindes reicht, damit aus der Öde ein lebendiger Garten wird.

Die Hoffnung im Advent ist genau die: dass Gott nichts egal ist, dass er die Dornen und das Tote verwandeln will, weil er die Welt nicht ihrer eigenen Gleichgültigkeit überlässt.

Nein: Das Große Egal ist nicht das Weltprinzip. Es ist allerdings eine ständige Versuchung, die Welt so zu sehen. Der Advent wehrt sich mit Hoffnung und Sehnsucht, mit etwas Trotz und ja, manchmal auch mit Zorn gegen das große Egal. Und der Advent behauptet kühn, dass es dafür einen Grund gibt.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Perspektiven (2017)

Der Schlüssel zu dieser Welt, der Schüssel zur Zukunft ist das Sehen des guten Möglichen.

Adventszeit ist Spendenzeit. Aber wem und wofür soll ich spenden? Wie kann ich beurteilen, was richtig und sinnvoll ist? Klares Ergebnis einer ersten Recherche: Keiner weiß es so richtig. Die großen Organisationen, kirchlich oder nicht, sind vielleicht eine ganz vertrauenswürdige Adresse. Oder doch lieber kleinere Organisationen oder Aktionskreise, bei denen ich vielleicht sogar jemanden persönlich kenne, der Spenden und ihre Verwendung organisiert?

Adventszeit ist Spendenzeit. Bei meiner Suche lese ich mich fest. Das passiert mir selten. Ich bin auf einer Seite gelandet, die heißt: "Perspective daily". Perspektive. Täglich. Das klingt gut. Die Seite betreibt konstruktiven Journalismus.

Konstruktiv heißt er deswegen, weil er Lösungen und Perspektiven diskutiert. Weil er aktiv nach Perspektiven sucht. Sein Leitwort ist: "Zeigen, was geht". In den verschiedensten Bereichen arbeiten Journalisten, oft mit wissenschaftlichem Hintergrund, an Reportagen und Hintergrundartikeln, die Gewohntes in Frage stellen. Sie brechen Perspektiven auf, die viele schon zu sehr verinnerlicht haben. Seit knapp zwei Jahren ist die Seite online. Und entstanden ist in dieser Zeit ein richtiger Kosmos an Ideen, Lösungsvorschlägen und eben: Perspektiven.

Adventszeit ist Spendenzeit. Ich lasse mich weiterführen und finde auf der Seite von Perspective Daily einen Artikel über "Effektiven Altruismus" - eine Bewegung, die genau untersucht, ob Spenden tatsächlich bewirken, was sie bewirken wollen. Überraschend ist zum Beispiel für mich, dass ein Programm zur Entwurmung von Kindern in Afrika viel wirksamer ist als die Finanzierung von Schulgeld, wenn man die Frage stellt, wie der Schulbesuch mehr Kindern ermöglicht werden kann.

Adventszeit ist Spendenzeit - und eine Zeit für Perspektiven. Ich habe eine Idee, wie ich etwas tun kann. Mit Geld, das ich selbst nicht zum Leben brauche. Und ich lasse mich anstecken von der Überzeugung, dass es Perspektiven und Lösungen gibt. Dass die Welt tatsächlich verändert werden kann. Dass es keinen Grund gibt zur Resignation. Keinen Grund für die Annahme, dass es ja ohnehin nichts nützt.

Die letzten Tage vor Weihnachten werden in der Liturgie der katholischen Kirche begleitet von den so genannten O-Antiphonen: kurzen Versen, die mit ganz unterschiedlichen Bildern die Sehnsucht nach der Ankunft Jesu Christi in dieser Welt und die Wende der Welt zum Guten ausdrücken. Der Text des heutigen Tages heißt:

"O Schlüssel Davids, Zepter des Hauses Israel - du öffnest und niemand kann schließen, du schließt, und keine Macht vermag zu öffnen. O komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fessel des Todes."

Das Bild ist aus der Bibel genommen. Ich kann es gut so deuten, dass hier jemand angesprochen wird, der die Macht hat, zur richtigen Zeit die richtige Tür zu öffnen und Freiheit zu schenken. Wenn wir von "Schlüsselpositionen" sprechen, dann klingt davon etwas nach.

Der Erlöser, auf den ich hoffe, hat, wenn man so will, eine Schlüsselposition. Wenn Gott Mensch wird und der Sohn Gottes geboren wird, dann auch deswegen, weil er uns mitnehmen will in seine Sicht. Weil er etwas aufschließen will. Weil er uns sehen lehren will. Sehen was geht. Das Mögliche in einer Welt der Unmöglichkeiten. Weil er Räume aufschließen will, die uns handeln lassen. Der Schlüssel zu dieser Welt, der Schüssel zur Zukunft ist das Sehen des guten Möglichen. Das Sehen der Erfolge und der Lösungen, die es gibt, auch dort, wo alles unmöglich, unerreichbar oder nicht umsetzbar scheint. Es geht nicht um Wunder und Zauberei, sondern um Lösungen, die Menschen im Vertrauen auf das Gelingen ausprobiert haben und umsetzen.

Es ist nicht nur eine Adventsaufgabe: Täglich die Augen offen halten für die Perspektiven, die möglich und gut sind. Und die eine oder andere davon verfolgen.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Orientierung auf der Bahnhofstreppe (2017)

Dort, wo nichts mehr geht, sehnen sich Menschen danach, einen Weg zu finden, der nach Hause führt.

"Was bist du eigentlich für ein Mensch?" "Ich bin ein Clown (…) und sammle Augenblicke. Tschüs." . Das ist der letzte Dialog, den der Clown Hans Schnier mit seinem Bruder führt. Zwei Welten, die nicht zusammenkommen können.

Leo, der Bruder, studiert Theologie und lebt im Priesterseminar in Bonn. Hans, der Clown, wurde von der Frau verlassen, die er wie niemanden sonst auf der Welt liebt. Jetzt ist er verzweifelt auf der Suche nach ihr. Dass Marie ihn verlassen hat, hat ihn in eine tiefe Lebenskrise gestürzt. Niemand hilft ihm. Die einen wollen es nicht. Von den anderen kann er Hilfe nicht annehmen. Der Bruder könnte ihm helfen; aber die strengen Regeln des Priesterseminars verbieten es ihm, am Abend noch einmal zu seinem Bruder zu gehen und ihm wenigstens ein paar Mark zu geben, die ihn über einen Tag oder zwei retten könnten.

"Wer bist du eigentlich?" "Ich bin ein Clown. Ich sammle Augenblicke." Heinrich Böll, der Autor des Romans "Ansichten eines Clowns", wurde heute vor hundert Jahren geboren. Und in den Ansichten eines Clowns wie in so vielen anderen Romanen, wurde Heinrich Böll der Chronist der gesellschaftlichen Gehversuche der jungen Bundesrepublik, Chronist ihrer Widersprüche, ihrer Aufbrüche, aber auch ihrer Verlogenheiten.

Zwei Brüder, ein Vater: Daraus konnte immer schon eine gute Geschichte werden. Wie in der Bibel. Dort eilt der Vater seinem verlorenen Sohn entgegen und setzt ihn ein in die Freude des Erbes. Hier läuft es etwas anders: Der Vater, der als Großindustrieller über großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss verfügt, geht dem missratenen Sohn, dem Hans, zwar entgegen. Er sucht ihn auf, bietet ihm Hilfe an. Will ihn noch einmal aufbauen, als perfekt ausgebildeten Pantomimen. Aber er versteht nicht, dass es diese Bevormundung ist, die der Sohn nicht annehmen kann.

Und der Bruder? Der ist vor lauter religiöser Geradlinigkeit gar nicht in der Lage zu erkennen, was Barmherzigkeit wäre, was Hilfe wäre in einer Einsamkeit, die groß ist und bitter.

Die Realität der sechziger Jahre ist offensichtlich eine andere als die biblische. Und doch bahnt sich in der Bibel ja an, was hier weitererzählt wird, übersetzt in eine andere Zeit. Zwei Lebensentwürfe: Der eine verschreibt sich den höheren Ordnungsprinzipien. Der andere will ein freies Leben, ein lächerliches sogar. Unter Alkohol und ohne Training wird die Lächerlichkeit jämmerlich. Hans Schnier scheitert wie der verlorene Sohn der Bibel. Er landet auf der Bahnhofstreppe: ohne Geld in der Tasche, ohne Kompromisse.

Der Clown Hans Schnier auf der Bahnhofstreppe: Ist das eine Adventsfigur? Der Vers, der in der katholischen Liturgie den heutigen Tag begleitet, ist eine der so genannten O-Antiphonen. In ganz unterschiedlichen Bildern sprechen diese Verse von der Sehnsucht. Der Vers des heutigen Tages heißt:

"O Morgenstern, Glanz des ewigen Lichtes und Sonne der Gerechtigkeit. Komm und erleuchte jene, die in Finsternis und Todesschatten sitzen".

Auf Lateinisch heißt der Morgenstern Oriens. Der Stern, der am Morgenhimmel sichtbar wird, im wörtlichen Sinn Orientierung gibt, Ausrichtung ermöglicht und den Weg zeigt.

Mit der Geschichte des Clowns Hans Schnier im Kopf, höre ich diesen Vers so: Es ist ziemlich gleichgültig, warum Menschen in ihrem Leben auf Wege kommen, die sie nicht weiterführen. Gleichgültig, ob sie an irgendeiner Stelle eine falsche Richtung gewählt haben oder ob ihnen ein großes Hindernis den Weg versperrt hat. Die Sehnsucht im Herzen bleibt ja die gleiche: Dort, wo nichts mehr geht, sehnen sich Menschen danach, einen Weg zu finden, der nach Hause führt. Nach Hause finden, müsste immer heißen: einen Ort zu finden, der Freiheit und Geborgenheit miteinander verbindet. Von Herzen angenommen sein, ohne Nötigung, ohne Vorwurf.

Wenn Menschen einander diese Heimat geben können, den Fremden und - was manchmal noch schwerer ist - den Nächsten: dort geben sie der Sehnsucht nach dem Morgenstern ein Gesicht.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Er ist gerecht, ein Helfer wert (2017)

Die Sehnsucht, die sich auf die Ankunft des Sohnes Gottes richtet, ist auch eine Sehnsucht nach der guten Herrschaft.

Es wäre möglich, die Schach-Partie jetzt zu gewinnen. Der Gegner ist einfach nicht erschienen. Es wäre ein Leichtes, jetzt einfach abzuwarten. Dann fiele nach allen Regeln der Schachwelt der Sieg an Carl Schlechter. Der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic erzählt in seinem ersten Roman "Carl Haffners Liebe zum Unentschieden"  diese kleine, wahrscheinlich historisch zutreffende Begebenheit: Während eines wichtigen Turniers war die Partie zwischen Carl Schlechter, der im Roman den Namen Carl Haffner trägt, und Frank Marshall unterbrochen worden. Bei der Wiederaufnahme fehlte auf einmal Frank Marshall. Die Uhr lief. Der Schiedsrichter war beunruhigt. Carl Schlechter machte sich Gedanken: Hatten sie einander missverstanden? War Marshall davon ausgegangen, dass Schlechter ohnehin aufgeben würde? Und was tat Schlechter nun? Er stellte die Uhr ab "und rückte die Figuren in die Grundstellung. Marshalls König placierte er in der Mitte des Brettes. Daran erkannte jeder Vorübergehende, daß der Amerikaner [also Frank Marshall] gewonnen hatte."

Am Ende des Turniers hat Schlechter zwar noch einen respektablen Platz erreicht, steht aber nicht auf dem Siegertreppchen. Seine Fairness bringt ihm immerhin den Ausspruch des Turnierleiters ein, dass er den fairsten Zug aller Zeiten getan habe.

Das historische Vorbild des Romanhelden von Glavinic gehörte vor dem Ersten Weltkrieg zu den ganz Großen des Schachspiels. Die Schachturniere damals waren große Events und ihre Protagonisten waren internationale Stars. Carl Schlechter lebte allein vom Schachspiel - und war auf Preisgelder angewiesen. Ein Verzicht auf einen unfair errungenen Sieg war nicht nur eine noble Geste, er kostete ihn auch materiell etwas.

Carl Schlechter ist in die Geschichte eingegangen als der Schachspieler, der eine besondere Vorliebe für das Remis, das Unentschieden hatte. Er sei, so heißt es, überaus höflich und freundlich gewesen, äußerst bescheiden und nie darauf aus, jemanden zu übervorteilen.

Der Advent hat in der Liturgie der katholischen Kirche eine Eigenheit. Die letzten Tage vor Weihnachten sind von Texten begleitet, die man die so genannten O-Antiphonen nennt. Es sind kurze Verse, die im Abendgebet der katholischen Kirche auftauchen. Der Text für den heutigen Tag heißt:

"O König aller Völker, ihre Erwartung und Sehnsucht, Schlussstein, der den Bau zusammenhält: O komm und errette den Menschen, den du aus Erde gebildet."

So geht eine sehr weltliche Angelegenheit mit in die Tage vor Weihnachten. Denn es geht ja hier um das Bild eines guten Herrschers, einer guten Regierung. Und die Sehnsucht danach hat Konturen, sie ist relativ konkret. Gute Herrschaft geht nicht mit Gewalt vor. Sie ist fair. Sie muss anständig sein. Im Großen wie im Kleinen. Sie muss auch in der Lage sein zu verzichten: Ob man es Kompromiss nennt oder Remis. Die Größe, den Gegner nicht zu demütigen, steht immer dahinter. Der Schachspieler Carl Schlechter lässt etwas von dieser Fairness und dieser Vornehmheit ahnen.

Die gute Herrschaft muss ausbalanciert sein. Schlussstein, der den Bau zusammenhält. Die Sehnsucht, die sich auf die Ankunft des Sohnes Gottes richtet, ist auch eine Sehnsucht nach der guten Herrschaft.

In der Sprache des Adventsliedes heißt es:
Er ist gerecht, ein Helfer wert;
Sanftmütigkeit ist sein Gefährt,
sein Königskron ist Heiligkeit,
sein Zepter ist Barmherzigkeit;
all unsre Not zum End er bringt,
derhalben jauchzt, mit Freuden singt:
Gelobet sei mein Gott,
mein Heiland groß von Tat.

Jesus selbst hat nie erlebt, was es heißt, Politiker oder Herrscher zu sein. Im Gegenteil: Er wurde Opfer der Mächtigen. Und trotzdem: In dem, was er gesagt hat, in dem, wie er Menschen begegnet ist, muss etwas von dieser Art der Herrschaft spürbar gewesen sein. Etwas, das sich durch die Jahrhunderte zieht, etwas, das wir heute ahnen und in seltenen Augenblicken wahrnehmen, wenn wir gutes, kluges und faires Verhalten der Mächtigen erleben.

Gottes Herrschaft ist nicht die des Rechts auf Biegen und Brechen. Gottes Herrschaft ist die Herrschaft der Sanftmut. Eine Gerechtigkeit des großen Herzens.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Umwerfende Weihnachten (2017)

Das ist so umwerfend, dass der Mensch dadurch auf die Beine kommt.

Wenn man nach Übersetzungen für das englische Wort "Amazing" sucht, dann hat man die Qual der Wahl: Überwältigend kann es heißen oder überraschend, erstaunlich, umwerfend, begeisternd oder faszinierend. Ich entscheide mich heute für "umwerfend".

Morgen ist der Heilige Abend. Viele sind unterwegs zueinander. Kinder zu ihren Eltern, Eltern zu ihren Kindern. Viele brechen auf und kommen dann endlich an. Das Letzte kann noch vorbereitet werden, die allerletzten Geschenke müssten heute besorgt werden, der Speiseplan steht fest. Der Baum ist da, das Haus sauber.

Umwerfend?

Nicht so richtig. Den einen oder anderen wird es vielleicht umwerfen. Nach dem Stress der Vorweihnachtstage wirft es viele aus der Bahn. Jetzt, wo alles gut und schön sein sollte: Jetzt wirft es uns um. Weil es reicht oder weil es einfach zu viel ist. Viele wirft es auch während der Feiertage um: Wenn viele Hamsterräder zum Stillstand kommen, erwachen alte Themen oder Fragen, die man das ganze Jahr über weggeschoben hat. Familien sind zusammen und erkennen, was sie aneinander haben oder eben auch nicht. Und dann werden Klarheiten, auf die man sich das ganze Jahr verlassen hatte, umgeworfen.

Umwerfend? Amazing?

Im weltlichen Amerika gibt es so etwas wie eine christliche Hymne, ein Lied, das jeder kennt und das an ganz vielen Stellen erklingt: "Amazing Grace". Unzählige Male vertont. Im Lauf der Zeit wurde das Lied vielfach bearbeitet und von einer kaum mehr übersehbaren Vielzahl von Künstlern interpretiert: Um nur ein paar zu nennen: Elvis Presley, Janis Joplin, Joan Baez, The Blind Boys of Alabama, Meryl Streep, Jonny Cash, Mike Oldfield.

Jeder kennt es, jedem geht der Klang ins Ohr. Am bewegendsten für mich: Der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, singt 2015 das Lied bei der Trauerfeier für die Opfer des Anschlags von Charleston in South Carolina. "Amazing Grace".

Umwerfend? Ja, schon eher. Das Lied erzählt von der umwerfenden und verwandelnden Gnade. Es erzählt von einem Vorher und einem Nachher. Von dem Weg, der von der Blindheit zum Sehen führt, von Angst zur Hoffnung, von Gefahr zum Vertrauen. Der Verfasser des Liedes wird so etwas erlebt haben. Er war tief in den Sklavenhandel verstrickt, bevor er für sein Leben einen ganz anderen Angelpunkt gefunden hat.

Amazing Grace. Umwerfende Gnade.

Umwerfend? Weihnachten ist umwerfend. Die alten Adventslieder erzählen ja auch schon davon: O Heiland, reiß die Himmel auf. Diese Sehnsucht ist kraftvoll und drastisch. Weihnachten darf uns mit Macht aus unserem "So ist es und so wird es bleiben" herausreißen.

Umwerfend. Was wirft mich um?

Ja, tatsächlich wirft mich der Gedanke um, dass Gott Mensch wird. Das ist, wenn auch schon hunderte Male gehört, alles andere als banal. Gott so denken zu können, dass der Unendliche den Schritt auf diese Erde macht, in das menschliche Leben hinein, in seine Banalität, in seine Freude, in sein Leid: Das ist umwerfend. Dass er sich berühren lässt und am Ende verstricken lässt in diese Welt. Dass er Zuwendung, Freundschaft, Feindschaft und Verfolgung erfährt. Das ist umwerfend.

Das ist so umwerfend, dass der Mensch dadurch auf die Beine kommt. Auch das meint das Wort von der umwerfenden Gnade. Ein Umwerfen, das nicht zerstört, sondern paradoxerweise aufrichtet. "And grace will lead me home”. Und Gnade wird mich nach Hause führen.

Die so genannten O-Antiphonen, die die letzten Tage vor Weihnachten begleiten, kurze Texte aus dem Abendgebet der katholischen Kirche, schließen heute mit folgendem Text:

"O Immanuel, unser König und Lehrer, du Hoffnung und Heiland der Völker: o komm, eile und schaffe uns Hilfe, du unser Herr und Gott.”

Immanuel. Das ist vielleicht der schönste Name, den Gott hat: Immanuel. Das hebräische Wort heißt: Gott mit uns. Und das ersehnen wir an Weihnachten: Gott mit uns. Amazing. Umwerfend - aufrichtend. In unseren Hoffnungen und Ängsten, in dem, was uns das Herz zerreißt und in dem, was uns von Herzen froh macht.

Ihnen allen wünsche ich umwerfende Weihnachten.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Novene - Neu beginnen

Neu beginnen

Eine Novene für ein versöhntes Miteinander

Wir erleben eine Zeit großer Belastungen. Die aktuelle Gesundheitskrise fordert und überfordert viele Menschen. Wir wollen für die Erkrankten und ihre Angehörigen beten sowie für alle, die in der medizinischen Versorgung und Pflege ihren Dienst tun. Vor allem aber ist zurzeit das Miteinander auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Die Debatte um die Angemessenheit von Maßnahmen zur Covid-Bekämpfung hat Gräben aufgerissen. Es ist Zeit zur Abrüstung der Worte und Gesten – und Zeit für mehr Stille und Gebet. Diese Novene ist eine konkrete Hilfe dazu. Sie geht von Texten des Propheten
Jesaja aus, der in einer ähnlich belasteten Zeit gelebt hat.

1. Tag: Beim Namen gerufen

Gotteslob 222, 1

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir. Wenn du durch Ströme schreitest, reißen sie dich nicht fort.

(Jesaja 43,1-2)

Impuls:

Jeder von uns ist ein einzigartiges Geschöpf Gottes – persönlich beim Namen gerufen und für immer in seine Hand geschrieben. Zugleich sind wir eingebettet in ein größeres Wir, das uns trägt und herausfordert.

Fürbitte:

Wir beten für alle, die sich persönlich nicht mehr wahrgenommen oder verstanden fühlen. Besonders beten wir für jene, die durch Meinungsströme mitgerissen werden. – Gott, unser Vater: Wir bitten dich, erhöre uns.

Vater unser…

Gegrüßet seist du, Maria…

Gott, Du Urquell des Lebens, in der Auseinandersetzung dieser Zeit entscheiden wir uns für Deine tröstende und heilende Gegenwart. Wir wissen, dass Jesus sein Herz für alle Menschen geöffnet hat. Es ist eine Quelle für Versöhnung und Neubeginn. Vor allem bitten wir um Deinen Geist, der Verhärtungen aufweicht und ein neues Miteinander ermöglicht. Im Vertrauen auf Deine verlässliche Hilfe danken wir Dir für jede Begegnung am heutigen Tag. Amen.

2. Tag: Zum Aufstehen ermutigt

Gotteslob 222, 2

Stärkt die schlaffen Hände und festigt die wankenden Knie! Sagt den Verzagten: Seid stark, fürchtet euch nicht!

(Jes 35,3-4)

Impuls:

Mut tut gut. Mutlosigkeit lähmt. Unsere Welt braucht Menschen, die der Verzagtheit trotzen und über den eigenen Tellerrand hinausblicken. Manchmal ist eine mutige Umkehr notwendig.

Fürbitte:

Wir beten für alle, die verzagt und resigniert aufgeben wollen. Und wir beten, dass wir einander unablässig zum Aufstehen und Weitergehen ermutigen. – Gott, unser Vater: Wir bitten dich, erhöre uns.

Vater unser…

Gegrüßet seist du, Maria…

Gott, Du Urquell des Lebens, in der Auseinandersetzung dieser Zeit entscheiden wir uns für Deine tröstende und heilende Gegenwart. Wir wissen, dass Jesus sein Herz für alle Menschen geöffnet hat. Es ist eine Quelle für Versöhnung und Neubeginn. Vor allem bitten wir um Deinen Geist, der Verhärtungen aufweicht und ein neues Miteinander ermöglicht. Im Vertrauen auf Deine verlässliche Hilfe danken wir Dir für jede Begegnung am heutigen Tag. Amen.

3. Tag: Von Angst befreit

Gotteslob 222, 3

Denn ich bin der HERR, dein Gott, der deine rechte Hand ergreift und der zu dir sagt: Fürchte dich nicht, Ich habe dir geholfen - Spruch des HERRN.

(Jes 41,13)

Impuls:

Viele Ängste prägen unser Leben – Ängste zu versagen, Gesundheit oder Ansehen zu verlieren. Im Blick auf Gottes Hilfe wächst neues Vertrauen, befreiend und heilsam.

Fürbitte:

Wir bitten für alle, die von massiven Ängsten besetzt sind. Wir beten, dass es uns gelingt, einander die Hand zu reichen und zu begleiten – durch alle Schwierigkeiten hindurch. – Gott, unser Vater: Wir bitten dich, erhöre uns.

Vater unser…

Gegrüßet seist du, Maria…

Gott, Du Urquell des Lebens, in der Auseinandersetzung dieser Zeit entscheiden wir uns für Deine tröstende und heilende Gegenwart. Wir wissen, dass Jesus sein Herz für alle Menschen geöffnet hat. Es ist eine Quelle für Versöhnung und Neubeginn. Vor allem bitten wir um Deinen Geist, der Verhärtungen aufweicht und ein neues Miteinander ermöglicht. Im Vertrauen auf Deine verlässliche Hilfe danken wir Dir für jede Begegnung am heutigen Tag. Amen.

4. Tag: Freude über Gottes Rettung

Gotteslob 222, 4

An jenem Tag wird man sagen: Siehe, das ist unser Gott, auf ihn haben wir gehofft, dass er uns rettet. Wir wollen jubeln und uns freuen über seine rettende Tat.

(Jes 25,9)

Impuls:

Eine Gesellschaft ohne Freude ist wie ein Vogel ohne Flügel. Auch inmitten vieler Probleme kann es eine Fröhlichkeit des Herzens geben. Manchmal braucht es die Entscheidung zur Freude.

Fürbitte:

Wir beten für alle, bei denen Verbitterung Einzug gehalten hat, dass sie zu neuer Lebensfreude finden. Ebenso beten wir für Kinder, dass sie in herzlicher Freude aufwachsen können. – Gott, unser Vater: Wir bitten dich, erhöre uns.

Vater unser…

Gegrüßet seist du, Maria…

Gott, Du Urquell des Lebens, in der Auseinandersetzung dieser Zeit entscheiden wir uns für Deine tröstende und heilende Gegenwart. Wir wissen, dass Jesus sein Herz für alle Menschen geöffnet hat. Es ist eine Quelle für Versöhnung und Neubeginn. Vor allem bitten wir um Deinen Geist, der Verhärtungen aufweicht und ein neues Miteinander ermöglicht. Im Vertrauen auf Deine verlässliche Hilfe danken wir Dir für jede Begegnung am heutigen Tag. Amen.

5. Tag: In der Schule des Friedens

Gotteslob 222, 5

Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden. … Sie erheben nicht das Schwert, Nation gegen Nation, und sie erlernen nicht mehr den Krieg.

(Jes 2,4)

Impuls:

Böse Worte, Vorwürfe und Unterstellungen sind gefährlicher als ein scharfes Schwert. Zuhören und die Bitte um Entschuldigung können Wunder wirken. In der Schule des Friedens.

Fürbitte:

Wir beten, dass wir in unseren Familien, im Freundeskreis und bei der Arbeit mit Meinungsverschiedenheiten gut umgehen können. Wir beten um Versöhnung und Heilung. – Gott, unser Vater: Wir bitten dich, erhöre uns.

Vater unser…

Gegrüßet seist du, Maria…

Gott, Du Urquell des Lebens, in der Auseinandersetzung dieser Zeit entscheiden wir uns für Deine tröstende und heilende Gegenwart. Wir wissen, dass Jesus sein Herz für alle Menschen geöffnet hat. Es ist eine Quelle für Versöhnung und Neubeginn. Vor allem bitten wir um Deinen Geist, der Verhärtungen aufweicht und ein neues Miteinander ermöglicht. Im Vertrauen auf Deine verlässliche Hilfe danken wir Dir für jede Begegnung am heutigen Tag. Amen.

6. Tag: Neuanfang mit Gottes Hilfe

Gotteslob 222, 6

Auf den kahlen Hügeln lasse ich Ströme hervorbrechen und Quellen inmitten der Täler. Ich mache die Wüste zum Wasserteich und das ausgetrocknete Land zu sprudelnden Wassern.

(Jes 41,18)

Impuls:

Gott lässt Neues aufblühen. Wir sind nicht dazu verdammt, Ärger, Verletzungen und Lasten für immer mitzutragen. Wir sind dazu berufen, füreinander frisches Quellwasser zu sein.

Fürbitte:

„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ (Hl. Johannes XXIII.) – Gott, unser Vater: Wir bitten dich, erhöre uns.

Vater unser…

Gegrüßet seist du, Maria…

Gott, Du Urquell des Lebens, in der Auseinandersetzung dieser Zeit entscheiden wir uns für Deine tröstende und heilende Gegenwart. Wir wissen, dass Jesus sein Herz für alle Menschen geöffnet hat. Es ist eine Quelle für Versöhnung und Neubeginn. Vor allem bitten wir um Deinen Geist, der Verhärtungen aufweicht und ein neues Miteinander ermöglicht. Im Vertrauen auf Deine verlässliche Hilfe danken wir Dir für jede Begegnung am heutigen Tag. Amen.

7. Tag: Mit Gottes Geist begabt

Gotteslob 222, 7

Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Der Geist des HERRN ruht auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.

(Jes 11,1-2)

Impuls:

In einer verunsicherten Welt ist es besonders wichtig, klug und besonnen zu handeln und um Gottes Geist zu beten. „Geistlose kann man nicht begeistern, aber fanatisieren kann man sie.“
(Maria von Ebner-Eschenbach)

Fürbitte:

Gott, sende aus deinen Geist und das Antlitz der Erde wird neu. Sende ihn aus über Jung und Alt, über Mutige und Verzagte, über Gesunde und Kranke. Wir brauchen deine Hilfe! – Gott, unser Vater: Wir bitten dich, erhöre uns.

Vater unser…

Gegrüßet seist du, Maria…

Gott, Du Urquell des Lebens, in der Auseinandersetzung dieser Zeit entscheiden wir uns für Deine tröstende und heilende Gegenwart. Wir wissen, dass Jesus sein Herz für alle Menschen geöffnet hat. Es ist eine Quelle für Versöhnung und Neubeginn. Vor allem bitten wir um Deinen Geist, der Verhärtungen aufweicht und ein neues Miteinander ermöglicht. Im Vertrauen auf Deine verlässliche Hilfe danken wir Dir für jede Begegnung am heutigen Tag. Amen.

8. Tag: Von Gottes Wort geführt

Gotteslob 222, 8

So spricht der HERR, dein Erlöser, der Heilige Israels: Ich bin der HERR, dein Gott, der dich lehrt, was Nutzen bringt, und der dich auf den Weg führt, den du gehen sollst.

(Jes 48,17-18)

Impuls:

„Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht, es hat Hoffnung und Zukunft gebracht, es gibt Trost, es gibt Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten, ist wie ein Stern in der Dunkelheit.“ (GL 450)

Fürbitte:

Barmherziger Gott, du hast ein befreiendes und heilendes Wort für jeden Menschen. Öffne unsere Herzen, damit wir hören und verstehen lernen – bereit für die Aufgaben, die Du uns zumutest. – Gott, unser Vater: Wir bitten dich, erhöre uns.

Vater unser…

Gegrüßet seist du, Maria…

Gott, Du Urquell des Lebens, in der Auseinandersetzung dieser Zeit entscheiden wir uns für Deine tröstende und heilende Gegenwart. Wir wissen, dass Jesus sein Herz für alle Menschen geöffnet hat. Es ist eine Quelle für Versöhnung und Neubeginn. Vor allem bitten wir um Deinen Geist, der Verhärtungen aufweicht und ein neues Miteinander ermöglicht. Im Vertrauen auf Deine verlässliche Hilfe danken wir Dir für jede Begegnung am heutigen Tag. Amen.

9. Tag: Gerechtigkeit wird wachsen

Gotteslob 222, 9

Taut ihr Himmel von oben, ihr Wolken lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, sie lasse Gerechtigkeit sprießen. Ich, der HERR, erschaffe es.

(Jes 45,8)

Impuls:

Gerechtigkeit ist der einzige Weg zu einem nachhaltigen Frieden für unsere Welt. Solidarität, Respekt und
Bescheidenheit sind die wichtigsten Haltungen auf diesem Weg.

Fürbitte:

Wir beten für alle, die unter Ungerechtigkeit leiden oder nicht geachtet werden. Und wir bitten um den langen Atem Gottes für alle, die sich für mehr Fairness und Gerechtigkeit einsetzen. – Gott, unser Vater: Wir bitten dich, erhöre uns.

Vater unser…

Gegrüßet seist du, Maria…

Gott, Du Urquell des Lebens, in der Auseinandersetzung dieser Zeit entscheiden wir uns für Deine tröstende und heilende Gegenwart. Wir wissen, dass Jesus sein Herz für alle Menschen geöffnet hat. Es ist eine Quelle für Versöhnung und Neubeginn. Vor allem bitten wir um Deinen Geist, der Verhärtungen aufweicht und ein neues Miteinander ermöglicht. Im Vertrauen auf Deine verlässliche Hilfe danken wir Dir für jede Begegnung am heutigen Tag. Amen.

Gebete und Impulse von Bischof Hermann Glettler und Pfr. Franz Troyer, Dezember 2021

Corona-Pandemie

Corona-Pandemie

Gesichtsmasken sind ein Zeichen der Corona-Pandemie geworden und werden uns noch lange an diese Zeit erinnern. Wie sie unsere Mimik verändern und warum er sich auf eine Zeit nach den Masken freut, erzählt Dr. Peter-Felix Ruelius in einem Impuls.

Das ganze Gesicht

Das Lächeln der Mona Lisa - seit Jahrhunderten ist das Gemälde von Leonardo da Vinci eines der wertvollsten und am meisten bewunderten Bilder der Welt. Das Lächeln dieser Frau, geheimnisvoll und berührend, ist ein Anziehungspunkt für Millionen. Irgendwann im März tauchte ein Bild im Internet auf, da war die Mona Lisa mit Mund-Nase-Schutz zu sehen. Nur die Augen waren noch zu erkennen. Und auf einmal hat das Gesicht fast sein ganzes Geheimnis verloren. Das Lächeln der Mona Lisa - nichts Besonderes mehr.

Die Schutzmaske oder der Mund-Nase-Schutz: Das wird uns noch lange als Symbol dieser Zeit in Erinnerung bleiben. Erst recht, wenn nun auch immer mehr Menschen in ihrem Alltag, außerhalb von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, damit aus dem Haus gehen. Beim Einkaufen dieser Tage war ich erstaunt, wie viele sich offensichtlich von so einem Gesichtsschutz Sicherheit versprechen. Ich merke, wie sehr ein Gesichtsausdruck vom ganzen Gesicht abhängt. Der Gesichtsausdruck einer Kassiererin, wenn ich ihr wünsche, dass sie gesund bleibt - ich kann ihn nur erahnen, wenn sie eine Maske trägt.

Und so sehne ich mich danach, dass ich endlich wieder viele vollständige Gesichter sehen kann. Ich freue mich darauf, bald wieder in lachende, lächelnde, angestrengte, zufriedene, besorgte, traurige und frohe Gesichter sehen zu können, weil ich gelernt habe, sie zu lesen und zu verstehen. Mimik braucht das ganze Gesicht.

Manche der alten Darstellungen Gottes zeigen ein Auge innerhalb eines Dreiecks. Ältere Menschen haben noch in Erinnerung, dass das früher mit dem Spruch erklärt wurde, dass dies "ein Auge ist, das alles sieht …". Mir hat diese Darstellung nie gefallen. Und jetzt befremdet sie mich noch mehr. Wenn in der Bibel von Gottes Angesicht die Rede ist, dann stelle ich mir ein liebevolles Gesicht vor, das mir begegnet und das ich verstehen kann. Und wenn in der Bibel die Frage an Gott auftaucht: "Wie lange verbirgst Du Dein Angesicht vor mir?", dann ist damit ja auch gemeint, dass es für einen glaubenden Menschen in Sorge und Trauer auch wieder eine lebendige Erfahrung der Zuwendung Gottes geben muss. "Lass Dein Angesicht über uns leuchten" - die Bitte aus dem Buch der Psalmen wird derzeit für mich auch menschlich greifbar.

Hoffentlich bald wird der Gesichtsschutz verschwunden sein. Wir werden einander wieder nicht nur in die Augen sehen können, sondern in das ganze Gesicht. Und vielleicht erst vorsichtig, dann aber mit immer mehr Vertrauen, können wir wieder aufeinander zugehen und auch für jeden sichtbar, ohne Maske, die Distanz überwinden. Weil wir einander nicht mehr als Bedrohung wahrnehmen, sondern ganz einfach als Mitmenschen.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr Dr. Peter-Felix Ruelius

Generalkapitel 2019

Generalkapitel 2019

Alle sechs Jahre versammeln sich gewählte Mitglieder der Kongregation der Barmherzigen Brüder von Maria-Hilf zum Generalkapitel. Anlässlich des diesjährigen Generalkapitels, das vom 7. bis zum 17. Oktober stattfindet, lädt die Gemeinschaft der Brüder dazu ein, sie durch einen guten Gedanken oder ein Gebet auf diesem Weg zu begleiten.

Dabei sein ist alles

In der Gemeinschaft der Christen gibt es ganz viele Möglichkeiten dabei zu sein.

Den Spruch kenne ich von Sportereignissen: Dabei sein ist alles. Ob man am Ende auf dem Siegertreppchen steht oder auch nicht. Am 7. Oktober 2019 beginnt eine Versammlung, bei der rein äußerlich gar nicht so viele dabei sind: das Generalkapitel der Barmherzigen Brüder von Maria-Hilf. Alle sechs Jahre ziehen sich Delegierte aus dem ganzen Orden für mehrere Tage zurück, um über die Entwicklungen im Orden zu beraten, um wichtige Entscheidungen zu treffen und überhaupt die Weichen für die nächsten sechs Jahre zu stellen. Dazu gehört der intensive Austausch untereinander, aber auch das wache Hören darauf, was Gottes Wille für den Orden heute ist.

Dabei sein ist alles. In der Gemeinschaft der Christen gibt es ganz viele Möglichkeiten dabei zu sein. Auch über tausende Kilometer trägt die Verbindung, die man haben kann, wenn man aneinander denkt und füreinander betet. Das ist eine starke Verbindung. Wenn ich weiß, dass jemand mich im Gebet bei wichtigen Aufgaben begleitet, macht mich das ruhig und sicher.

Neun Tage vor ihrem 34. Generalkapitel laden die Barmherzigen Brüder dazu ein, für sie zu beten, vom 29. September bis zum 7. Oktober. Damit folgen sie der alten Tradition eines neuntägigen Gebets, einer so genannten Novene. Der Ursprung liegt in den neun Tagen, die nach biblischer Überlieferung zwischen der Himmelfahrt Jesu Christi und der Erfahrung des Heiligen Geistes an Pfingsten liegen. An neun Tagen miteinander beten und damit den guten Wunsch verbinden, dass die Barmherzigen Brüder mit dem Geist Gottes auch in den kommenden Jahren entschieden für Menschen in der Welt wirken können: Das kann ein schönes Zeichen der Verbundenheit sein. Im Gebet dabei sein - das ist nicht alles, aber ganz viel.


Gott, schenke den Barmherzigen Brüdern deinen Heiligen Geist,
damit sie die Zeichen der Zeit erkennen.
Dein Geist begleite ihre Beratungen
und helfe, das Für und Wider gut abzuwägen und zu prüfen.
Er nehme Trennendes weg und gebe Geduld, aufeinander zu hören.
Er schenke ihnen Mut, Schritte in die Zukunft zu wagen
und die Freude, das zu tun, was ihnen möglich ist.


Dr. Peter-Felix Ruelius

Jahr der Barmherzigkeit 2016

Heiliges Jahr der Barmherzigkeit

Zwischen dem 8. Dezember 2015 und dem 20. November 2016 fand das Heilige Jahr der Barmherzigkeit statt, das von Papst Franziskus ausgerufen wurde. Barmherzigkeit - was bedeutet das eigentlich? Danach zu fragen ist wichtig, nicht nur, weil die BBT-Gruppe die Barmherzigkeit im Namen trägt. Das Jahr der Barmherzigkeit war für die BBT-Gruppe und ihren Einrichtungen ein wichtiger Anlass, sich mit der zentralen Botschaft der Barmherzigkeit auseinanderzusetzen und uns unseres zentralen Auftrages zu vergewissern.

Das Feiern eines Heiligen Jahres bzw. "Jubeljahres" geht auf eine hebräische Tradition zurück, die im Jahr 1300 wieder aufgegriffen wurde. Es wird alle 25 Jahre gefeiert, bisher 26 Mal und zuletzt im Jahr 2000. Ein außerordentliches Jubiläum zu besonderen Anlässen findet außerhalb des festen Rhythmus statt. Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit ist ein solches außerordentliches.

Dem Thema "Barmherzigkeit" im Arbeitsalltag nachspüren: Dazu hat die Aktion "Herz.Punkt" mit einer Reihe von Impulstexten eingeladen, die an dieser Stelle veröffentlicht werden. Als zusätzliches Newsletter-Angebot an die Mitarbeitenden der BBT-Gruppe ermutigte Herz.Punkt, nicht aus dem Blick zu verlieren, wofür wir in der BBT-Gruppe unterwegs sind. Sich bewusst zu machen, was der Dreh- und Angelpunkt des eigenen Tuns, der eigenen Arbeit ist. Sich auf das Eigentliche, den Kern, zu besinnen und Dinge zu einer Herzensangelegenheit werden zu lassen.

Impulstexte

Durch das Tor der Barmherzigkeit

Türen im Herzen öffnen und aufgeschlossen den Menschen im Leben, in der Welt begegnen.

Das ist ein so einfacher Vorgang, hundertmal jeden Tag: Jemand geht durch eine Tür. Verlässt einen Raum und betritt einen anderen. Und denkt weiter nicht darüber nach. Es sei denn, hinter einer Tür wartet etwas Besonderes. Entscheidende Momente können mit Türen verbunden sein und damit, was mich hinter der Tür erwartet. Vor der Tür kann sich dann Unruhe einstellen oder frohe Erwartung. Spontan fällt mir aus meiner Kindheit das Warten vor der Wohnzimmertür am Heiligen Abend ein. Später im Leben kommen andere wichtige Türen dazu. Die Tür des Prüfungsraums beim Abitur. Oder die Tür zum Arztzimmer, wenn man als Patient nach einer wichtigen Untersuchung auf das Gespräch mit dem Arzt wartet. 
Am 08. Dezember wurde eine besondere Tür aufgestoßen, eher ein großes Tor, die so genannte Heilige Pforte im Petersdom in Rom. Sie wird nur in den großen Jubiläumsjahren der katholischen Kirche geöffnet. Papst Franziskus hat diese Tür geöffnet. Mit diesem Symbol beginnt das Jahr der Barmherzigkeit. Für die Gläubigen soll das ein Anlass sein, sich zu vergewissern, wie sie Gott verstehen können. Gott ist keine anonyme Macht. Gott ist nicht fern vom Menschen. Gott ist kein unbewegter Weltenlenker. Er lässt sich bewegen vom Leid und von der Freude der Menschen, er begegnet ihnen mit offenen Armen und einem weiten Herzen.  Ein Symbol dafür ist die "Heilige Pforte": Menschen sollen durch diese Tür gehen und bewusst darauf vertrauen, dass Gott den Menschen immer mit seinem weiten Herzen willkommen heißt. 
Und dann sollen sie wieder hinausgehen, mitten hinein in das Leben, in die Welt. Mit der Überzeugung, dass die Barmherzigkeit der Atem ist, von dem die Welt lebt. Es ist wohl die wichtigste Botschaft, auf die die Welt heute angewiesen ist: Barmherzig zueinander sein, weil Gott barmherzig ist. Und diesen Rhythmus: Gott als barmherzig verstehen und dann etwas davon mitnehmen in die Vielfalt des Lebens, den kann ich auch leben, wenn ich nicht in Rom bin. Ich kann ihn immer leben, wenn ich zu Menschen unterwegs bin, an ihn kann ich bewusst denken, wenn ich heute durch eine Tür gehe, zu Hause, am Arbeitsplatz, wo immer ich gerade bin. Die Heilige Pforte kann an jedem Ort sein.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Da kommt noch was

...da wusste ich – es kommt noch was. Was Richtiges. Nicht so ein winziges Dessert. Sondern Apfelstrudel mit Vanillesauce oder gefüllte Pfannkuchen. Etwas, wofür man die Gabel braucht

"Wenn ich mal tot bin, dann will ich mit einer Gabel in der Hand begraben werden!" Ein sehr seltsamer Wunsch einer alten Dame. Sie äußert ihn, als sie - bei bester Gesundheit - mit dem Pfarrer über ihre Beerdigung spricht. Und die Gabel will sie in ihre rechte Hand gelegt bekommen. Die Angehörigen und alle, die zur Beerdigung kommen, sollen sie in ihrem Sarg liegen sehen mit der Gabel in der Hand. "Eine Gabel?": Der Pfarrer staunt nicht schlecht. "Was wollen Sie nach Ihrem Tod noch mit einer Gabel?" 

Die alte Dame lächelt. Mit der Gabel verhalte es sich so: Sie sei in ihrem Leben ganz oft zum Essen eingeladen gewesen. Und manchmal, wenn der Hauptgang abgetragen wurde, da hieß es dann: Die Gabel können Sie behalten. "Und da wusste ich", so die alte Dame, "da wusste ich - es kommt noch was. Was Richtiges. Nicht so ein winziges Dessert. Sondern Apfelstrudel mit Vanillesauce oder gefüllte Pfannkuchen. Etwas, wofür man die Gabel braucht." Und mit dieser Überzeugung wolle sie auch ihr Leben beschließen. Deswegen die Gabel. Sie hat die feste Überzeugung, dass das Leben so wie ein Festessen sei, bei dem ihr jemand sagt: Am Ende kommt noch was Richtiges, so ein richtig großer Nachtisch.[1]

Wir sind mitten im Advent: Gestern war der Nikolaustag und damit ist schon ein Höhepunkt vorbei. Mitten im Advent - und fast hat man den Eindruck: Mehr geht nicht. Die Weihnachtsmärkte sind ein wunderbarer Ort der Geselligkeit. Weihnachtsfeiern bis zum Abwinken. Und wenn dann tatsächlich Weihnachten ist, dann haben viele schon genug. Genug von Glühwein, Süßigkeiten, Musik und Stimmung. Kommt da noch was? 

Die Geschichte von der alten Dame, die mit der Gabel in der Hand beerdigt werden möchte, beruhigt mich. Sie beruhigt mich, wenn ich im Advent nicht auf jeder Feier sein kann, nicht jeden Weihnachtsmarkt in der Umgebung besuche. Ja: Da kommt noch was. Das Beste, das, was alles abrundet, das muss ich nicht schon am Anfang haben. Das hat noch Zeit. Und wenn es hektisch wird vor lauter Adventsgenuss, dann versuche ich so ganz leise die Aufforderung in mir zu hören: Behalte die Gabel noch. Warte ruhig etwas. Spare dir noch etwas Appetit auf. Advent ist Vorbereitung.

Dr. Peter-Felix Ruelius


[1] Mehrfach in unterschiedlicher Form erzählte Geschichte; Quelle nicht feststellbar.

Barmherzigkeit fängt bei mir an

Anfangen kann ich damit, dass ich mir keine Vorwürfe mache, sondern mit mir gütig bin und meine Schwächen liebevoll ansehe.

Wie schön ist es, wenn man To-Do-Listen hat, ob an der Arbeit oder zu Hause. Gut geplant ist halb erledigt. Im Internet gibt es jede Menge Ratgeber dazu: Wie man To-Do-Listen anlegt, sortiert und sich vergewissert, dass man nichts vergessen hat. Meine eigenen To-Do-Listen sehen auch meistens ziemlich gut aus.
Aber dann: Dann kommt der Freitag und ich schaue meine To-Do-Liste an. Sie ist immer noch ganz schön voll. Da kam dann doch noch eine größere unerwartete Aufgabe dazu und der ganze schöne Plan war futsch. Neue Termine - und aus war's mit der schönen geplanten Arbeit. Und so etwas ist dann regelmäßig wenigstens ein kleiner Frust-Anlass: Schön gedacht und schön geplant und wieder mal längst nicht alles geschafft: Der schönste Nährboden für ein schlechtes Gewissen. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: To-Do-Listen sind unbarmherzig.
Was fange ich also damit an? Bei Facebook lese ich den Ratschlag: Öfter mal was von der To-Do-Liste auf die Was-soll's-Liste verschieben. Auf den ersten Blick ein ganz sympathischer Ratschlag. "Was soll's" klingt aber nicht richtig gut. Es hört sich nach Niederlage an. Immerhin nach Niederlage mit Augenzwinkern. Aber trotzdem das Eingeständnis: Ich resigniere. Und das hilft mir nicht wirklich.
In diesem Jahr taucht auf der Themenliste der katholischen Kirche immer mal wieder das Schlagwort "Barmherzigkeit" auf. Der erste Blick geht dann dahin, wo Menschen in Not sind und mich ihr Leid berührt. Und wenn ich die Blickrichtung einmal umdrehe? Wenn ich einmal mit mir selbst barmherzig bin? Anfangen kann ich auch mit meinen To-Do-Listen. Anfangen kann ich damit, dass ich mir keine Vorwürfe mache, sondern mit mir gütig bin und meine Schwächen liebevoll ansehe. Auch die, kein perfekter Planer der eigenen Aufgaben zu sein. Ich glaube sogar, dass das eine wichtige Voraussetzung dafür ist, anderen gegenüber barmherzig zu sein. Wenn ich mit mir selbst gut bin, kann ich auch Verständnis und Barmherzigkeit anderen gegenüber aufbringen.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Das Herz des christlichen Glaubens

Die mitfühlende Stärkung des Gegenübers ist es, was Menschen ausmacht, die täglich für andere arbeiten.

Was ist daran barmherzig, wenn wir als Mitarbeitende in der BBT-Gruppe unsere Arbeit machen? Auf den ersten Blick nichts, denn jede Krankenpflegerin und jeder Physiotherapeut, jeder Arzt und jeder Altenpfleger übt einen Beruf aus, zu dem eine Menge Fachwissen und Können gehören und mit dem man erst einmal auch seinen Lebensunterhalt verdient.

Doch es steht mehr dahinter: Letztlich arbeiten alle 11.000 Mitarbeitenden der BBT-Gruppe dafür, dass Menschen gestärkt werden, gut leben können und gesund werden. Dass sie in ihrem Leben zurechtkommen und ihre Fähigkeiten aktivieren können oder, bildlich gesprochen, dass sie irgendwann die Treppenstufen selbstständig nach oben kommen. Dahinter steckt eine Haltung, die man deswegen Barmherzigkeit nennen kann, weil sie etwas verwirklicht, was auch im religiösen Sinn so gemeint ist. Der Grundgedanke: Wenn der Mensch es mit Gott zu tun hat, dann hat er es mit dem barmherzigen Gott zu tun. Mit dem, der ihn nicht klein machen will, sondern ihn stärkt. Die mitfühlende Stärkung des Gegenübers ist es, was Menschen ausmacht, die täglich für andere arbeiten. Das klassische Bild der Barmherzigkeit ist der barmherzige Samariter, der den Verwundeten auf das Pferd setzt und ihn im wörtlichen Sinn emporhebt. Das ist das Herz des christlichen Glaubens.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Wozu um Himmels willen?

Wer barmherzig ist, lässt sich anstecken, lässt sich berühren, bewegen vom Schicksal des Menschen, der ihm begegnet.

Eben. Um Himmels willen. Wir Menschen leben in einer Welt, die extrem unbarmherzig ist. Sie ist weder friedvoll noch rücksichtsvoll. Sie lässt viele unter die Räder kommen. Sie wäre nicht lebenswert, wenn es nicht die andere Seite gäbe: Wenn keine Barmherzigkeit zu finden wäre. Auch so ist das Leben auf der Erde noch nicht der Himmel. Aber es kommt ihm etwas näher.

Barmherzigkeit: Sie geht über das Einzelschicksal nicht hinweg. Wer barmherzig ist, lässt sich anstecken, lässt sich berühren, bewegen vom Schicksal des Menschen, der ihm begegnet. Von seinem Schicksal oder seiner Notlage. Weil Menschen berührt sind, kommt ihre Fantasie in Gang: Was kann ich für den Menschen tun, der gerade meine Hilfe braucht?

Die Barmherzigkeit krempelt die Ärmel hoch und packt an. So hat es beispielsweise Peter Friedhofen getan. Und so tun es auch Tausende von Menschen, die heute für die Einrichtungen der BBT-Gruppe arbeiten. Barmherzigkeit: Das ist engagierte Empathie oder liebevolles Zupacken. Weil beides dazugehört. Berührt werden und etwas tun.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Barmherzigkeit: Die Reha-Maßnahme Gottes

Barmherzigkeit macht Menschen stark. Sie hat kein Interesse daran, dass Schwache schwach bleiben.

Rehabilitation heißt übersetzt: Wieder-Befähigung. Und darum geht es. Daran arbeiten Tag für Tag hunderttausende Menschen in unserem Land. Ob sie es so nennen oder nicht. Aus der Empathie für Menschen kommt die Freude darüber, dass Menschen erstmals oder wieder etwas gelingt. Oder dass sie in ihr Recht kommen, eigenständig und aus eigener Kraft zu leben. Dass sie wieder auf eigenen Beinen stehen können. Oder wieder am Leben teilnehmen können.

Barmherzigkeit macht Menschen stark. Sie hat kein Interesse daran, dass Schwache schwach bleiben. Ob in der Schule oder im Krankenhaus, ob im Seniorenheim oder der Behinderteneinrichtung, ob in der Flüchtlingsunterkunft oder im Gefängnis.Barmherzigkeit will Menschen fähig machen, gut als Menschen zu leben.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Gott sei Dank: Empowerment

Gott ist unverbesserlich. Unverbesserlich auf der Seite der Menschen.

Im Jahr der Barmherzigkeit, das Papst Franziskus ausgerufen hat, wird der Horizont ganz weit gespannt. Für die Bibel steht die Geschichte, die Gott mit den Menschen erlebt, unter ziemlich üblen Vorzeichen. Von Anfang an wiederholt sich das Muster: Ein Angebot Gottes zu einem guten und friedvollen Leben scheitert an der Langeweile, dem Desinteresse, der Gier, der Überheblichkeit oder der Aggression der Menschen. Die Bibel nennt das Sünde.
Allerdings: Gott ist unverbesserlich. Unverbesserlich auf der Seite der Menschen. Denn er hat überhaupt kein Interesse daran, dass Menschen scheitern, dass sie sich verrennen, dass sie Schiffbruch erleiden. Er hat sie ja anders gedacht. Gut, liebevoll, friedvoll und gerecht. Seine Barmherzigkeit ist der Grund, auf dem wir leben. Weil er offensichtlich immer noch damit rechnet, dass die Menschheit es schaffen kann, aus diesem Planeten den lebenswertesten Ort des Universums zu machen.
Seine Barmherzigkeit will den Menschen nicht klein halten. Sie macht ihn groß und selbstbewusst. Damit er in Gottes Würde leben kann. Als sein Ebenbild. Empowerment: das ist Gottes barmherziges Programm für Menschen.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Woran wir arbeiten. Selbstverständlich.

In jedem Leben gibt es eigene Begegnungen, die verlangen, dass man barmherzig ist.

Was vielleicht selbstverständlich ist, war das nicht immer. Oder vielleicht wollte man es auch nur besser kapieren. Also hat man beschrieben, worin die Barmherzigkeit bestehen kann. Zwei Kataloge sind entstanden. Der erste ist direkt aus der Bibel genommen. Die Älteren haben ihn noch im Katechismus gelernt. Und weil aller guten Dinge im Christentum sieben sein müssen, gibt es sieben leibliche Werke der Barmherzigkeit und sieben geistige. Also: Hungernden zu essen geben und Durstigen zu trinken geben. Den Nackten Kleidung geben und Obdachlose aufnehmen. Kranke pflegen und Gefangene besuchen. Und schließlich die Toten begraben. Und daneben gibt es noch eine Liste mit den geistigen Werken der Barmherzigkeit: die Unwissenden lehren, die Zweifelnden beraten, die Trauernden trösten, diejenigen korrigieren, die Fehler gemacht haben, denen verzeihen, die mich verletzt haben und die Lästigen geduldig ertragen, für andere beten.

Zwei Listen zum Abarbeiten? Überhaupt nicht. Höchstens zwei Listen, die zeigen, wohin die Richtung geht. Und die man ergänzen könnte, weil es in jedem Leben eigene Begegnungen gibt, die verlangen, dass man barmherzig ist. Und was könnte heute dazu gehören? Kinder gut erziehen, Ältere begleiten, Kollegen aushelfen, dem Ehepartner zuhören, Gestresste beruhigen: Noch mehr Ideen? Oder ganz andere? Darum geht es: Dass ich genau da, wo ich gerade bin, das tue, was dem anderen zum Leben hilft. Papst Franziskus findet dafür ein schönes Bild. "Überall wo Christen sind, muss ein jeder eine Oase der Barmherzigkeit vorfinden." Das klingt entspannt und froh.

Dr. Peter-Felix Ruelius

Sei gut zu dir.

Barmherzigkeit will gutes Leben möglich machen.

Wenn Barmherzigkeit mich an den Rand der Verzweiflung bringt, weil ich nicht mehr ein noch aus weiß vor lauter Ansprüchen, die ich selbst oder andere an mich stellen, dann stimmt was nicht. Denn dann habe ich die wichtigste Grundregel noch nicht umgesetzt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Sei anderen gegenüber barmherzig, wie du es dir selbst gegenüber bist. Weil du nicht perfekt sein musst und dich nicht antreiben musst zum Barmherzigkeitsmarathon, der die letzten Kräfte kostet.

Barmherzigkeit will gutes Leben möglich machen. Auch mein eigenes.

Dr. Peter-Felix Ruelius

 
 

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